# taz.de -- Politik straft für zu niedrige Mieten: Zu günstig für München | |
> Vorwurf „Liebhaberei“: Wer in der bayerischen Landeshauptstadt billig | |
> vermietet, bekommt Probleme mit dem Finanzamt. | |
Bild: Nur von oben hübsch: Der Mietmarkt in München ist die Hölle | |
München/Berlin taz | Wolfgang Donhärl hat die Liste mit den aktuellen | |
Mieten für sein Haus in der Münchner Aurbacherstraße kopiert und legt sie | |
auf den niedrigen Tisch im Wohnzimmer. Halb im Sofa versunken, meint man, | |
es müsse sich um einen Irrtum handeln – vielleicht um ein Mietshaus im | |
Bayerischen Wald oder in der Oberpfalz, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht | |
sagen? Die drei großen Altbauwohnungen im ersten Stock etwa werden für 4,79 | |
Euro, 5,18 Euro und 5,52 Euro pro Quadratmeter vermietet. Seit die Mieter | |
dort Ende der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre eingezogen sind, hat sich | |
daran nichts geändert. Für andere Wohnungen in dem fünfstöckigen Altbau | |
zahlen die Mieter 6,77 Euro oder 9,17. Der höchste Quadratmeterpreis liegt | |
bei 11,82 Euro, die Bewohner waren 2013 eingezogen. | |
Hausbesitzer Donhärl, 52 Jahre alt, schaut einen mit seinen lebendig | |
blitzenden Augen an und sagt: „Ich finde, so wie wir das machen, ist es das | |
Normale.“ Wir – das sind seine Schwester und er, die nach dem Tod der | |
Mutter Ende vergangenen Jahres das Haus geerbt haben. Die höchste Miete mit | |
1.300 Euro für 110 Quadratmeter erscheint auch günstig, bei Neuvermietungen | |
muss man in dieser Gegend mit dem Doppelten und mehr rechnen. Und alles im | |
Donhärl-Haus liegt auch unter dem, was das Finanzamt als „erzielbare Miete“ | |
ansieht – 12,50 Euro. | |
Und das ist das große Problem der Geschwister Donhärl: Sie vermieten zu | |
günstig. | |
Das Finanzamt verlangt 1 Million Euro an Schenkungs- und Erbschaftssteuer. | |
Diese können die Donhärls aber aus ihren Mieteinnahmen nicht aufbringen. | |
Sie vermieten wohl zu fairen Preisen, aber viel zu günstig im | |
[1][Wohnungs-Hotspot München]. Und viel zu günstig gemessen am Mietspiegel, | |
der für die Höhe der Steuern herangezogen wird. | |
Über den sagt Volker Rastätter, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des | |
Münchner Mietervereins, der taz, das sei ein „Mieterhöhungsspiegel“: „D… | |
Mietspiegel orientiert sich am Spekulationsmarkt.“ Denn für die | |
Ermittlungen der ortsüblichen Vergleichsmiete werden – so das Bundesrecht – | |
nur Mieterhöhungen und Neuvermietungen der letzten vier Jahre erfasst. | |
Donhärls niedrige Mieten etwa fließen darin nicht ein, weil sie schon lange | |
gleich sind. Dafür werden aber etwa jene Neuvermietungen aufgenommen, die | |
ein Online-Portal momentan im Viertel München-Au anpreist, wo auch die | |
Aurbacherstraße liegt: 68 Quadratmeter für 1.500 Euro, 65 für 1.900, 131 | |
Quadratmeter kosten 3.290 Euro. Jeweils kalt. | |
Als Kind hat Wolfgang Donhärl selbst in dem Haus in der Aurbacherstraße | |
gewohnt. Er erinnert sich, wie die Oma einmal in der Woche zur nahe | |
gelegenen Paulaner-Brauerei ging und die zwei Kästen Bier als „Haustrunk“ | |
abholte. Den gab es für Brauereibeschäftigte und deren Angehörige, der | |
Großvater hatte dort das Chemielabor geleitet. Vor eineinhalb Jahrzehnten | |
zogen Donhärl, der ebenfalls Chemiker ist, und seine Frau wieder ein, | |
gründeten eine Familie. Auch die Schwester lebt im Haus. „Uns geht es ja | |
nicht schlecht, wir leben hier kostenlos“, sagt Donhärl und führt im | |
Schnelldurchgang durch seine Wohnung im dritten Stock. Hohe Decken, große | |
Räume, Erker, viel Platz. Alles super. Durch ein Fenster zeigt er ein | |
bisschen stolz auf die Türme der Frauenkirche, die in der Ferne im | |
milchigen Winterlicht zu sehen sind. „Wir sind keine barmherzigen | |
Samariter“, sagt er mehrfach. „Aber Gewinnmaximierung wollen wir nicht.“ | |
## Wer günstig vermietet, ist der Dumme | |
Als die Mutter gestorben war, wurden die Steuern für die Schenkung – einen | |
Teil des Hauses überschrieb die Frau noch zu Lebzeiten auf die Kinder – und | |
die Erbschaft festgesetzt: auf insgesamt 990.000 Euro, also fast eine | |
Million. Neben den potenziell möglichen Mieteinnahmen fließt bei der | |
Berechnung der Wert des Gebäudes mit ein. Dieser wird anhand des | |
Bodenrichtwertes ermittelt. „Das ist in München eine ganz heiße Sache“, | |
sagt der Mieterschützer Rastätter. Denn der Bodenrichtwert bemisst sich | |
nach den Verkaufspreisen in der Umgebung in den letzten zwei Jahren. „Und | |
wer kauft solche Häuser?“, fragt Donhärl: „Nur noch Spekulanten.“ | |
Wie dann die Mieter aus ihren Heimen getrieben werden und Luxuswohnungen | |
für den teuren Verkauf entstehen, wurde schon vielfach beschrieben. Was | |
darauf folgt, zeigt die neueste Immobilienbeilage der Süddeutschen Zeitung: | |
Eine 79-Quadratmeter-Altbauwohnung in Schwabing, kernsaniert, wird für 1,29 | |
Millionen Euro angeboten. In der Maxvorstadt gibt es 150 Quadratmeter für | |
2,7 Millionen. | |
Wolfgang Donhärl und seiner Schwester fehlt die 1 Million Euro für die | |
Steuer. In solchen Fällen verkaufen Erben häufig – gerade wenn es sich um | |
größere und zersplitterte Erbgemeinschaften handelt. „Das ist der | |
Mechanismus, das ist mir ganz wichtig“, meint Donhärl. „Ein solches Haus | |
ist dann weg, das geht in den Spekulationsmarkt.“ | |
Wer günstig vermietet, ist der Dumme: Es gibt ähnliche Fälle im Münchner | |
Raum. Fast schon stadtbekannt ist der [2][Vermieter Wolfgang Fischer aus | |
der Nymphenburger Straße, ein ehemaliger Schauspieler]. Wegen angeblich zu | |
günstiger Vermietungen im von seiner Tante geerbten Haus unterstellt ihm | |
das Finanzamt „Liebhaberei“. Dieser steuerrechtliche Begriff bedeutet, dass | |
der Vermieter angeblich keine Gewinnabsicht hat. Folge: Ausgaben kann er | |
nicht wie sonst bei der Steuer geltend machen. Für Aufsehen sorgte Fischer, | |
weil er Eltern mit einem neugeborenen Kind die Miete um 50 Euro reduziert. | |
Das konnte das Finanzamt nicht nachvollziehen. | |
## Vorwurf: „Liebhaberei“ | |
Ein weiterer Fall: der [3][Münchner Orden der Barmherzigen Schwestern, über | |
den der Bayerische Rundfunk berichtet hat]. Die Organisation betreibt | |
zahlreiche Krankenhäuser und Pflegeheime. Um dringend benötigtes Personal | |
in der nicht gut bezahlten Branche zu bekommen, vermietet sie günstig | |
Dienstwohnungen. Eine Pflegehelferin, die 2.500 Euro brutto verdient, | |
erhält eine Wohnung beispielsweise für die Hälfte des marktüblichen | |
Preises. Das wiederum passt dem Finanzamt nicht, es berechnet die | |
Mietersparnis als geldwerten Vorteil – also als zusätzliches Einkommen, | |
das versteuert werden muss. Damit wird die Absicht unterlaufen, dringend | |
benötigte Pflegekräfte nach München zu holen. | |
Ähnliche Fälle gibt es auch in anderen Städten. Hans H. gehört in einem | |
durchsanierten teuren Berliner Gentrifizierungskiez ein Haus, dessen | |
Wohnungen er zu günstigen Preisen vermietet. Für die Bewohner*innen ist | |
Hans H. ein Segen, für das Finanzamt ein Fluch. Das verlangt seit einigen | |
Jahren von dem Mann, er möge seine Mieten erhöhen. Manche Mieter*innen | |
haben seit ihrem Einzug vor über 20 Jahren keine einzige Mieterhöhung | |
erhalten und bezahlen für eine rund 100 Quadratmeter große Wohnung rund 400 | |
Euro Brutto kalt im Monat – mehr als eine Traummiete in einem finanziell | |
überhitzten Viertel. Das ist zu wenig, argumentiert das Finanzamt. Das ist | |
gerecht, sagt Hans H.: „Ich will mich an meinen Mietern nicht bereichern.“ | |
Hans H. macht keine Verluste mit seinem Haus, im Gegenteil: Er lebt von den | |
Mieteinnahmen. Die reichen ihm für seinen Lebensstandard, zu dem eine | |
selbst genutzte Eigentumswohnung, ein Auto, ein kleiner Garten und mehrere | |
Urlaube im Jahr zählen. „Mehr brauche ich nicht“, sagt er: „Warum soll i… | |
den Leuten eine Miete aufdrücken, nur weil das Finanzamt meint, ich müsse | |
mich dem Markt anpassen?“ | |
Die Folge der Forderungen der Behörde: Die Ausgaben, die Hans H. für die | |
Instandhaltung des Hauses hat – Reparatur der Dachrinnen, | |
Kellertrockenlegung, so was – erkennt das Finanzamt nicht an. Die seien – | |
wegen der zu geringen Gewinnabsicht des Vermieters – sein privates Hobby | |
und damit wiederum „Liebhaberei“. Das ist absurd, findet Hans H. Denn für | |
die Instandhaltungskosten muss er selbstverständlich aufkommen, die kann | |
und will er auch nicht auf die Mieten umlegen. | |
## Bundespolitik befasst sich nicht mit den Vorschlägen | |
Der Streit zwischen Vermieter und Finanzamt dauert seit Jahren an. Die | |
Auseinandersetzungen haben Hans H. mittlerweile mürbe gemacht. Am Ende | |
gewinnt der Staat, glaubt er. Den Mieter*innen hat er vor Kurzem einen | |
Brief geschickt: Demnächst werde er die Mieten leicht erhöhen müssen, so | |
wolle es das Finanzamt. Wie hoch die Mieterhöhungen ausfallen werden, ließ | |
er jedoch offen. | |
In München nehmen die Geschwister von der Aurbacherstraße einen Kredit auf, | |
um dem Finanzamt die Million zu zahlen – auch wenn ein Einspruch noch | |
läuft. „Wir möchten an dem Haus nichts verdienen“, sagt Wolfgang Donhärl, | |
„aber wir wollen null auf null rauskommen.“ So haben sie die Mieten nun um | |
15 Prozent erhöht. Auf politischer Ebene gibt es Vorschläge, um die | |
Probleme beim günstigen Vermieten zu beseitigen. Der Mieterverein fordert, | |
die gesamten Bestandsmieten, die sich nicht ändern, in den Mietspiegel | |
einfließen zu lassen. So würde dieser gesenkt werden. Bei der Steuer, die | |
sich aus dem Wert ergibt, wird verlangt, damit wie beim Übergang von | |
Betriebsvermögen umzugehen: Werden Firmen von den Erben weitergeführt und | |
die Arbeitsplätze erhalten, so sollen sie bei der Steuer verschont werden. | |
Doch die Bundespolitik befasst sich derzeit nicht mit diesen Vorschlägen. | |
Den ganzen Sachstand bestätigt das für die Finanzämter zuständige | |
Bayerische Landesamt für Steuern in einer Antwort auf eine Anfrage. „Bei | |
Mietwohngrundstücken muss das Finanzamt […] den erzielbaren Ertrag | |
ansetzen, wenn die vereinbarte Miete erheblich – das heißt um mehr als 20 | |
Prozent – von der ortsüblichen Miete abweicht“, teilt eine Sprecherin mit. | |
Bei der vom Arbeitgeber gestellten Wohnung verweist sie auf das | |
Einkommensteuergesetz, wonach der „Sachlohn“, also die Mietersparnis, dem | |
„Barlohn“ gleichzustellen ist. | |
Das Haus in der Aurbacherstraße ist seit seinem Bau 1901 im Besitz der | |
Familie, immer hat auch ein Mitglied darin gelebt. „Da stecken so viele | |
Geschichten drin“, meint Wolfgang Donhärl. „Die Leute hier sind ja nicht | |
nur unsere Mieter, das sind unsere Nachbarn.“ Donhärl wird den Kredit wohl | |
in 25 Jahren abbezahlt haben. Da ist er 77. „Und dann muss ich mich um das | |
Vererben des Hauses an meine beiden Kinder kümmern.“ | |
2 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Mietpreise-in-Deutschland/!5305618 | |
[2] https://www.deutschlandfunk.de/zu-nett-fuer-muenchen-der-vermieter-rebell-u… | |
[3] https://www.br.de/nachrichten/bayern/wenn-der-mietspiegel-guenstige-mieten-… | |
## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
Simone Schmollack | |
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