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# taz.de -- Konflikt zwischen Ukraine und Russland: Die gespaltene Stadt
> Der Konflikt zwischen Kiew und Moskau droht zu eskalieren. Die
> ukrainische Hafenstadt Mariupol lebt schon seit Jahren mit der Bedrohung.
Bild: Streng bewacht: der Hafen von Mariupol
Mariupol taz | Der Montag ist grau, menschenleer und trostlos im Hafen von
Mariupol. Vor der Hafeneinfahrt wartet kein einziger Lastwagen, gelangweilt
sieht der Pförtner den Möwen hinterher, die die Hafeneinfahrt über den
Luftweg verlassen. Er wundert sich über einen Besucher, der die Kais sehen
will. Nur an zwei der insgesamt 18 Kais im Hafen liegen Schiffe.
Früher, so hört man, habe es Warteschlangen vor den Kais gegeben. Irgendwo
fährt ein orangefarbener Gabelstapler. Am Rand des Hafens hat sich eine
Gruppe Bewaffneter niedergelassen. Rechtsextreme Asow-Kämpfer, eines der
vielen nationalistischen Freiwilligenbataillone, die die Ukraine gegen die
Separatisten schützen, die nur rund 25 Kilometer vor der Stadt stehen und
die Grenzen der [1][„Volksrepublik Donezk“] verteidigen.
Dabei ist der „Feind“ auch in der eigenen Stadt. Mariupol ist eine
gespaltene Stadt – und das nicht erst seit der Blockade des Asowschen
Meeres, über das Mariupol immer weniger Stahl in alle Welt verschifft.
Nicht erst, seitdem der ukrainische Präsident Poroschenko das Kriegsrecht
für diese und andere Regionen der Ukraine ausgerufen und [2][vor einem
Krieg mit Russland gewarnt] hat.
Mariupol ist die östlichste Großstadt der Ukraine. Die Hafenstadt zählt
knapp 500.000 Einwohner, und einige von ihnen wären gerne wie die
„Volksrepublik Donezk“ losgelöst von der Ukraine. 2014 wollte ein Teil der
Einwohner ein Referendum über die Zugehörigkeit der Stadt abhalten, über
Monate lieferten sich proukrainische und separatistische Anhänger Kämpfe.
2015 kamen bei einem Angriff der Separatisten auf die Stadt 30 Zivilisten
ums Leben. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland bestimmt auch
heute noch den Alltag, auch wenn die Priasovskij Rabochij, die größte
Zeitung Mariupols, lange Zeit kaum mehr darüber berichtet hat.
## Kiew für Kriegsrecht, Mariupol dagegen
Bauarbeiter aus Donezk, die früher eine Stunde nach Mariupol brauchten,
hängen nun bei jedem Grenzübergang acht Stunden fest.
Verwandtschaftsbesuche in der „Volksrepublik Donezk“ sind zu einem
Politikum geworden. Und auch die Lokalpolitik hat sie entschieden: Seit
2015 regiert hier der „Oppositionsblock“, eine Partei, die deutlich
freundlichere Töne gegenüber Russland anschlägt als die Regierung in Kiew
und den Dialog mit den „Volksrepubliken“ will.
Und offenbar will das auch die Mehrheit der russischsprachigen Bewohner.
Der Oppositionsblock holte bei den Wahlen mit 64 Prozent die deutliche
Mehrheit. Als das ukrainische nationale Parlament am Montag in Kiew das
Kriegsrecht beschlossen hat, stimmte der Oppositionsblock dagegen.
Es gibt aber auch andere – patriotischere – Stimmen in der Stadt. Olena
Solotarjewa wartet in der Nähe des ehemaligen griechischen Theaters im
Zentrum der Stadt. Das ganz in Weiß gehaltene Gebäude mit seinen zwei
wuchtigen Säulen am Eingang und den verspielten Skulpturen ist die
Visitenkarte der Stadt. Es erinnert daran, dass es die Griechen waren, die
vor etwas mehr als 200 Jahren Mariupol gründeten, und daran, dass sich auch
heute noch 13 Prozent der Bevölkerung als griechischstämmig verstehen. Vom
Humanismus ist dieser Tage in der Stadt hingegen wenig zu spüren.
„Ich freue mich darüber, dass sie das Kriegsrecht ausgerufen haben“, sagt
Olena Solotarjewa, die eigentlich Dozentin für technisches Englisch ist. Zu
Kriegsbeginn 2014 wurde sie zur Aktivistin. Aus Überzeugung. Aus
Patriotismus. Sie unterstützte an der Front stehende ukrainischen Soldaten
und Freiwillige. „Ich kann mich noch gut an 2014 erinnern“, schildert
Solotarjewa. „Da war niemand auf den Angriff vorbereitet. Und was haben wir
bekommen?“ Heute sei die Ukraine, die ukrainische Armee besser vorbereitet.
Heute wüssten sie, dass sie sich auf ihre Armee verlassen könnten.
## Feinde: Russland und ukrainische Oligarchen
Die neue Situation beunruhige sie zwar, aber sie habe nicht mehr so viel
Angst vor dem Krieg wie damals. Wie viele andere hier hat sich Solotarjewa
an die ständige Kriegsgefahr gewöhnt. Immer wieder höre sie nachts die
Geschosse. Mittlerweile hat sie schon gelernt, allein vom Geräusch zu
erkennen, welche Seite geschossen habe. „Wenn es ‚tuk-tuk‘ macht, sind es
unsere. Wenn es ‚tuuuuk‘ macht, dann sind es die anderen“, sagt sie.
Seit ein paar Jahren ist Solotarjewa auch in einer neuen Partei aktiv, der
„Macht der Menschen“. Und da stehe man als kleine Partei mit acht Prozent
der Wählerstimmen dem Oppositionsblock gegenüber. In Mariupol gilt der
Oppositionsblock, der von der ukrainischen Regierung gerne als
„prorussisch“ bezeichnet wird, als sehr industrienah. Oberbürgermeister
Wadim Bojtschenko war vor seiner Wahl Personalchef in einem der beiden
Stahlwerke der Firma Metinvest, die dem ostukrainischen Oligarchen Rinat
Achmetow gehören und zu den Hauptarbeitgebern der Stadt gehören.
35.000 Menschen arbeiten dort, 23 Prozent des städtischen Haushalts, so
eine Sprecherin der Stadt, stammen von diesen beiden Fabriken. In der neuen
Partei „Kraft der Menschen“ von Aktivistin Olena Solotarjewa sagt man halb
scherzhaft, dass der Oppositionsblock in Mariupol eigentlich Partei von
Metinvest heißen müsste.
Die Ukraine habe mit Russland nicht nur einen äußeren Feind. Man habe lange
gegen Russland gekämpft und sei erst spät darauf gekommen, dass auch in der
Stadt einiges im Argen liege. Seitdem der Oligarch Achmetow, der auch der
reichste Mann der Ukraine ist, in den 90er Jahren die Stadt mit seinen
Fabriken Azovstal und Ilyich in Beschlag genommen habe, würde die Stadt
fast nur noch für diesen Oligarchen arbeiten. Und das heißt natürlich, dass
die Arbeiter manipulierbarer geworden sind. Und die stimmten dann bei den
Wahlen so ab, wie der Konzern Metinvest von Achmetow das wolle.
## Halbe Million Einwohner, 13 Züge pro Tag
Früher, so die Aktivistin, in den 90er Jahren, habe es noch kleinere
Unternehmen gegeben. „Damals hatten wir zahlreiche kleinere Unternehmen,
Leichtindustrie, eine Likörfabrik, Kühlschrankproduktion, Brotfabriken.“
Diese Unternehmen habe man ganz gezielt in den Bankrott getrieben. „Dadurch
hat die Konkurrenz dieser Firmen in Donezk einen neuen Absatzmarkt in
Mariupol bekommen.“ So etwas sei Raubtierkapitalismus, wie man es vom
Anfang des 20. Jahrhunderts kenne.
Auch logistisch sei Mariupol in einer Sackgasse. Zu Zeiten der Sowjetunion
habe man einen lebendigen Zugverkehr in viele Städte, sogar einen Flughafen
gehabt. Doch wegen des 2012 eröffneten Flughafens von Donezk sei der
Flughafen von Mariupol unrentabel geworden. Und schon lange vor dem Krieg
habe man der Stadt nur noch zwei Fernverbindungen mit der Bahn gelassen,
nach Kiew und nach Moskau.
Heute treffen täglich nur mehr 13 Züge am Hauptbahnhof von Mariupol ein,
ein Gebäude, das an einen Provinzbahnhof erinnert. Nur die
schwerbewaffneten Polizisten erinnern daran, dass Mariupol im Zentrum eines
internationalen Konflikts steht, der nun weiter zu eskalieren droht.
Einen, den man hätte vermeiden können, findet Viktor Grammatikov. „Ich bin
sehr beunruhigt über diese Situation. Wir hatten doch mal
freundschaftliche, brüderliche Beziehungen zu der anderen Seite. Und nun
machen sie so was.“ Mit sie meint Grammatikov die eigene Regierung in Kiew.
„Im September haben sie doch schon Schiffe ins Asowsche Meer gefahren“,
sagt Grammatikov „Warum jetzt wieder?“
## Wer provoziert: Putin oder Poroschenko?
Grammatikov ist Chefredakteur des von der Stadt Mariupol finanzierten
Radios „Priasowja“. Und so wie er denkt, dürfte wohl ein Großteil derer
denken, die in Mariupol für den Oppositionsblock gestimmt haben. Für ihn
scheint nicht Russland, sondern die Ukraine der Provokateur. Wenn er über
die öffentlichen Äußerungen Poroschenkos spricht, sagt er Sätze wie: „Das
hätte er besser nicht gemacht“ oder „Dann hätte man eine Provokation
vermieden.“
Dass Kiew das Kriegsrecht verhängt hat, empfindet er als Spiel mit dem
Feuer. Russland habe sich in diesen Konflikt eingemischt, angeblich, um die
russische Bevölkerung zu schützen. „Jetzt werden sie vielleicht die
russische Bevölkerung noch radikaler schützen wollen.“ Und dann könnte es
doch Krieg geben.
Und dann käme die Arbeit im Hafen von Mariupol wohl gänzlich zum Erliegen.
Vor Beginn der Kämpfe im Jahr 2014 wurden hier 14 Millionen Tonnen jedes
Jahr abgewickelt, heute sind es nicht einmal mehr 7 Millionen Tonnen. Und
seitdem Russland im April begonnen hat, Schiffe zu kontrollieren, die die
Häfen von Mariupol und Berdjansk anlaufen, ist es noch mal komplizierter
geworden.
„Schiffe, die nach Mariupol wollen, müssen jetzt oft bis zu einer Woche und
länger warten“, seufzt Alexander Oleynik. Für Schiffseigner entstehen so
Kosten bis zu 15.000 US-Dollar – pro Tag. Oleynik ist der Direktor des
Hafens Mariupol. Für ihn ist klar, dass Russland mit den Kontrollen die
ukrainischen Häfen diskreditieren wolle. Und diese Kontrollen seien auch
eine finanzielle Einbuße für den ukrainischen Staat, der den Hafen
finanziere. Den Niedergang seines Hafens beobachtet Oleynik aber schon
länger.
## Meereszufahrt blockiert
Früher einmal, so der Direktor, sei der Hafen von Mariupol sehr beliebt
gewesen. Wegen der Nähe zum Industrie- und Bergbaugebiet des Donbass haben
man kostengünstig und schnell Güter der Schwermetallindustrie und Kohle
verschiffen können. Mit dem Beginn der Kampfhandlungen 2014 blieben die
ersten Schiffe weg. Doch das eigentliche Problem, so Oleynik, habe man im
August 2017 mit dem [3][Bau der 35 Meter hohen Brücke von der Krim nach
Russland] bekommen. Jetzt können nur noch Schiffe, die nicht höher als 33
Meter aus dem Wasser ragen, in den Hafen von Mariupol kommen.
Dies bedeute, dass Mariupol nun keine Schiffe mehr mit einer Ladung von
30.000 Tonnen abfertigen könne. Schiffe mit richtig schwerer Ladung,
insbesondere mit Gusseisen, das man früher in die USA exportiert habe,
können nun Mariupol nicht mehr anfahren bzw. verlassen. Allein 500.000
Tonnen Metallerzeugnisse und vier Millionen Tonnen Kohle pro Jahr können
nun nicht mehr über Mariupol abgewickelt werden.
Und doch ist Direktor Oleynik Optimist. Man plane derzeit sogar den Ausbau
des Hafens. So wolle man auch landwirtschaftliche Erzeugnisse ab 2019 mit
einem neuen Anlegekai verschiffen. Landwirtschaftliche Güter können in
niedrigen Schiffen transportiert werden. Schließlich sei die Ukraine
weltweit an dritter Stelle im Getreideexport. Derzeit sei man in
Verhandlungen mit einer chinesischen Agrarfirma.
Diese plane in Mariupol den Bau von Lagern für Sonnenblumenkerne und
Sonnenblumenöl sowie eine Leitung, durch die man das Sonnenblumenöl direkt
nach der Verarbeitung in die Tanker pumpen kann. Für die Einweihung der
neuen Anlegestelle 2019 habe sich bereits die US-Botschafterin angekündigt.
Die Beziehungen zu Russland wird das sicher auch nicht verbessern.
28 Nov 2018
## LINKS
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[3] /Der-Konflikt-um-die-Krim/!5549897
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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