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# taz.de -- 70 Jahre „Erklärung der Menschenrechte“: Das Ziel im Blick, di…
> Die Erklärung der Menschenrechte ist als Ideal tauglich – nicht aber für
> das tägliche Handeln. Der Verweis darauf darf nicht überstrapaziert
> werden.
Bild: Ein Zaun gegen Menschen und ihre Rechte in Tijuana, Mexiko – Europa hat…
Dieser Montag müsste ein internationaler Feiertag sein – ein Datum des
Ansporns und der Ermutigung: Vor genau sieben Dekaden, am 10. Dezember
1948, wurde auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen (englisch:
United Nations, UN) in Paris [1][die „Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte“ verabschiedet].
Es waren damals nur wenige Staaten Mitglied der UN, der afrikanische
Kontinent war noch weitgehend kolonisiert, der Kampf um nationale
Selbstbestimmung hatte gerade erst begonnen. 48 Staaten stimmten der
„Erklärung“ zu, 8 enthielten sich, aber kein UN-Mitglied votierte gegen die
in 30 Artikeln gegossene Absichtsformelsammlung.
Die dem sowjetischen Einflussbereich zugehörenden Länder, die UdSSR, die
Ukraine, Weißrussland, Polen, die ČSSR und Jugoslawien sowie Saudi-Arabien
und Südafrika waren die Länder, die kein Ja signalisierten. Deutschland,
weder die BRD noch die DDR, nahm nicht an diesem Diskurs teil – das
Deutschland des Nationalsozialismus war erst drei Jahre wenigstens
militärisch besiegt, das Land konnte noch kein Mitglied der UN sein.
Die Charta war aus drei Jahre währenden Beratungen hervorgegangen – die UN,
selbst erst unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs in San Francisco
gegründet, war das Forum schlechthin, auf dem so etwas wie eine globale
Ethik zu formulieren war.
An den Namen der Länder, die sich enthalten hatten, also den 30 Artikeln
nicht zustimmen mochten, lassen sich aus heutiger Sicht die Linien des
gerade erst geborenen Kalten Kriegs um Einflusssphären in der Welt
erkennen: Hier die kapitalistischen Länder, dort die sozialistischen.
Während die einen, mit den USA an der Spitze, vor allem die liberal
gesinnten Paragrafen hervorgehoben wissen wollten, bestanden die
Sowjetunion und ihre Bündnismitglieder auf die Profilierung sozialer
Aspekte.
## Krümel im Kuchen der globalen Politik
Alles, was nur wünschenswert war – und ist! –, fand in der
Menschenrechtserklärung Erwähnung. „Alle Menschen sind frei und gleich an
Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und
sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Es folgen weitere
Passagen – etwa auch, dass niemand nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht,
Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung diskriminiert
werden dürfe. Sklaverei wird ausdrücklich verboten, das Mittel der Folter
ebenso wie grausame Strafen.
Davon abgesehen, dass heutzutage jedes genderbewusste Lektorat das Wort
„Brüderlichkeit“ durch „Geschwisterlichkeit“ ersetzen würde, fehlt es…
Erklärung bei der Aufzählung jener Kategorien, wegen der jemand nicht
diskriminiert werden dürfe, am Hinweis auf die sexuelle Orientierung. Aber
die Moral von der sexuellen Selbstbestimmung unter Erwachsenen gehörte
damals eben noch zu den Angelegenheiten der Nichtsagbarkeit.
Aber das sind womöglich nur Details, Krümel im Kuchen der globalen
Politiken: Denn die Menschenrechtserklärung ist eine Charta der Ideale, und
in gar keiner anderen Hinsicht war sie von den UN-Mitgliedern gesehen und
beabsichtigt worden. Sie ist kein völkerrechtlicher Vertrag, die Einhaltung
ihrer Bestimmungen ist nicht einklagbar – grundsätzlich nicht, aber auch,
weil es keine Instanz gibt, die ihre Geltung im wirklichen Leben
durchsetzen könnte.
Tatsächlich spiegelte die Menschenrechtserklärung nicht die
gesellschaftlichen oder staatlich-rechtlichen Verhältnisse wider. Die
Todesstrafe war in den meisten Ländern noch gültig, Kriege je nach
strategischer Lage opportun, das liberale Ur-Gut der Meinungsfreiheit war
zumindest in weiten Teilen der kapitalistischen Sphäre Common Sense, nicht
jedoch in den sowjetischen Ländern.
## Menschenrechte spielen nie eine Rolle
Von Geschlechtergerechtigkeit konnte nur bedingt die Rede sein, zumal in
den fünfziger Jahren die Moral der nicht berufstätigen, nur für familiäre
Reproduktionszwecke nutzbaren (Ehe-)Frau eine meist christlich begründete
Renaissance feierte; in Südafrika herrschte ein Apartheidssystem der
blutigen Niederdrückung der nichtweißen Bevölkerung. Und im Zusammenhang
mit Saudi-Arabien von Geschlechtergerechtigkeit zu sprechen, ja, wie es in
der Menschenrechtserklärung heißt, vom Recht auf freie Wahl des
Ehepartners, war damals ebenso absurd, wie es dies heute ist.
Man könnte auch sagen: Das Wort „Menschenrechte“ war nie so populär wie
heute, und das hat nicht allein mit der langen Rechtsgeschichte des
bürgerlichen Zeitalters zu tun, die zur „Erklärung der Menschenrechte“
führte. Viele moralische und philosophische Erwägungen haben dazu geführt,
dass aus einem globalen Wust an rechtlichen Willkürformeln so etwas wie ein
kodifiziertes Global-Ideal für das Zusammenleben von Menschen in Staaten
und über sie hinaus werden konnte.
Aber mehr als ein Ideal ist es eben nicht. Die Vorläuferorganisation der
UN, der Völkerbund, war ethisch ähnlich verfasst – ohne dass dieses
Selbstverständnis auch nur ansatzweise die Tyrannei der völkischen
Ideologie in Deutschland inklusive Holocaust verhindert hätte. Kein Krieg
nach der Erklärung der Menschenrechte ist ausgeblieben, keine Misere im
Hinblick auf persönliche Rechte verhindert worden.
Folter, Sklaverei, Misshandlungen von Menschen, die Verfolgung von
religiösen Minderheiten [2][wie neulich in Myanmar], ein Krieg wie in
Ruanda vor fast 25 Jahren, die Vietnamkriege Frankreichs und der USA in den
fünfziger bis siebziger Jahren oder auch [3][die Bombardierung des Jemen]
aktuell durch Saudi-Arabien: Menschenrechte spielen nie eine Rolle.
## Wenn Wahlen helfen würden
Seit vielen Jahren gibt es eine Kritik am Menschenrechtsverständnis der
UN-Erklärung von 1948 – nicht nur aus chinesischer Perspektive, die darauf
beharrt, dass das Individuum keine Referenzgröße für politische Moral sein
kann, es schon gar keine einklagbaren Rechte hat. Im arabischen Diskurs
wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht anerkannt, der Religion
ohnehin der Vorrang vor jedem Verständnis von Säkularität gegeben.
Die Menschenrechtscharta hat in vielen Ländern einen jeweils anderen Klang
– und dem kapitalistischen Westen, den liberal-rechtsstaatlichen Ländern
wird vorgeworfen, mit den Menschenrechten imperiale Politik zu begründen –
bis hin zum Krieg gegen Afghanistan 2001, der durch Spin-Doctors des
US-Pentagon auch mit der Verankerung von Frauenrechten im von Clans
durchwirkten Land legitimiert worden war.
Anders formuliert: Die „Erklärung der Menschenrechte“ nicht zum
völkerrechtsfähigen Material zu erklären, sondern nur zu einem Ideal, an
dem Orientierung zu finden sei, war kein Akt politischer Bosheit, sondern
nichts als realistisch. Aber dass Ideale, Vorstellungen von dem, wie ein
besseres Leben aussehen kann, nichts nützen, wäre auch falsch. Ein zu
erreichender Punkt ist besser als ein Weg, der kein Ziel hat.
Illusionen zu hegen wäre trotzdem falsch. Es gibt, laut
Menschenrechtserklärung von 1948, ein Recht auf freie Beweglichkeit in der
Welt, für Menschen, nicht nur für Waren – dies genau trieb die Helfer*innen
an, [4][die auf dem Mittelmeer flüchtende Menschen retteten]. Und tut es
noch. Und doch schafft Italien mit seiner neuen libertär-rechtsradikalen
Regierung aktuell so gut wie alles ab, was auch nur näherungsweise als
menschenrechtlich anerkannt werden kann. Standards der bürgerrechtlichen
Zivilität können suspendiert werden – das ist für Menschen, die eine
bessere Welt schlechthin wollen, und zwar für alle, nicht nur jene im
eigenen Land, schwer frustrierend: Und keine Instanz könnte helfen, den
alten, nicht grenzgeschlossenen Zustand wieder herzustellen, es sei denn,
Wahlen brächten andere Parteien an die Regierung.
## Plapperei auf nicht mal hohem Niveau
Es gibt kein Menschenrechtsmilitär, das für eine Weltregierung nötig wäre.
Das ist die eigentliche Crux. Und ein Segen zugleich. Weil es viel zu viele
unterschiedliche Interessen gibt, politische und kulturelle. Hannah Arendt
mochte als Philosophin die Sehnsucht nach Durchsetzung von Menschenrechten
nicht. Sie pries etwas, das sie „limitiertes Denken“ nannte. Sie hätte, wie
der französische Philosoph Étienne Balibar es kürzlich forderte, ein „Recht
auf Gastfreundschaft“ für einen hübschen, für jeden linken Smalltalk
applausfähigen Einfall gehalten, nicht jedoch für politisch realisierbar.
Die Orientierung am Besseren dort, wo konkreter Einfluss möglich ist, im
Lokalen, Nationalen.
Oder, wie früher, bei Amnesty International, als man sich um einzelne
Gefangene (in China, Ägypten, Chile oder Guatemala) kümmerte – nicht gleich
um die ganze Welt. Die Möglichkeiten, etwas zum Besseren zu wenden, haben
dort ihre Plätze – im Begrenzten. Die Rede von der Welt, die sich zu
kümmern habe, war für Arendt Plapperei. Als Ideal tauglich, als Leitschnur
– nicht jedoch als Brevier für das tägliche Handeln. Der Verweis auf
Menschenrechte darf nicht überstrapaziert werden. Sonst wird es noch mehr
von der Sorte des italienischen Innenministers Matteo Salvini geben. Der
sagt zu Menschenrechten kalt: Mir doch egal – Italien zuerst.
9 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.amnesty.de/70-jahre-allgemeine-erklaerung-der-menschenrechte
[2] /Rohingya/!t5007757
[3] /Krieg-im-Jemen/!5553404
[4] /Schwerpunkt-Flucht/!t5201005
## AUTOREN
Jan Feddersen
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