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# taz.de -- Der Hausbesuch: Aufräumen mit der Ohnmacht
> Nach G20 wollte Rebecca Lunderup Hamburg wieder sauber fegen. 10.000
> Leute halfen mit. Auch für den Bundespräsidenten stand ein Besen bereit.
Bild: Rebecca Lunderup in ihrem Wohnzimmer in Hamburg-Lokstedt
Rebecca Lunderup organisierte die Aufräumaktion nach dem [1][G20-Gipfel in
Hamburg im Juli 2017]. Wenn aus ihrer Sicht etwas getan werden sollte, aber
niemand etwas tut, würde sie immer wieder ein solches Großereignis auf die
Beine stellen. Die Studentin hat da schon etwas im Kopf. Während des
G20-Gipfels in Hamburg wurden Bilder der Gewalt von ihrer Stadt in die Welt
getragen. Das konnte die damals 22-Jährige so nicht stehen lassen.
Draußen: Lokstedt, im Nordwesten Hamburgs. Plattenbau, dritter Stock. Der
Tierpark befindet sich in der Nähe und etwas weiter nördlich das Niendorfer
Gehege, ein Naherholungsgebiet, in dem Rebecca Lunderup oft joggen geht.
Noch weiter nördlich ist sie aufgewachsen.
Drinnen: Die erste gemeinsame Wohnung mit ihrem Freund Timon, vor drei
Jahren sind sie eingezogen, vor vier Jahren haben sie sich kennengelernt.
Über dem Ecksofa: der Sonnenuntergang über Hamburg im Querformat. („Ich
liebe Hamburg, jedes Viertel steht für sich, aber trotzdem bildet alles
eine Einheit.“) Auf einem Regal steht ein Kinderfoto: sie mit ihren beiden
älteren Geschwistern Hannah und Sebastian.
Blindenschrift: Die Namen ihrer Geschwister hat sie sich auf den linken
Unterarm tätowieren lassen – in Brailleschrift, denn ihr Großvater war
blind und hat seinen EnkelInnen die Schrift beigebracht. Als jüngste der
drei Geschwister musste sie immer kämpfen und sich behaupten, sagt sie.
„Das fängt schon damit an, wer im Auto vorn sitzen darf.“
Aufgabe: Ihre Großmutter sagte: „Wenn eine das macht, dann du“. Und bezog
sich auf die Aufräumaktion nach dem G20-Gipfel in Hamburg. Diese hatte
Rebecca Lunderup organisiert, weil sie sich angesichts der Eskalation
hilflos fühlte, aber nicht untätig sein wollte.
Polarisierende Medien: Dass während des G20-Gipfels demonstriert wurde,
findet Lunderup gut. „Das Problem war, dass diejenigen, die friedlich
demonstriert haben, nicht gehört wurden.“ Denn die Bilder von Zerstörung
und Gewalt überwogen in der Berichterstattung. „Es wird das gezeigt, was
polarisiert. Das sieht man in der Flüchtlingsdebatte und das sah man auch
bei G20.“ Das Bild, das dadurch von Hamburg in die Welt getragen wurde,
wollte Rebecca Lunderup so nicht stehen lassen.
Ihr Gipfel: Während des Gipfeltreffens hat sie von zu Hause aus gearbeitet,
weil ihr damaliger Job in der Nähe des Protestcamps Altona lag. Sie saß im
Wohnzimmer vor dem Laptop, im Fernsehen lief die Liveberichterstattung des
Gipfels. Irgendwann ging Arbeiten nicht mehr, die Bilder waren zu stark.
Aber was sie tun könnte, wusste Lunderup auch nicht. An einem Abend
erstellte sie auf Facebook eine Veranstaltung: „Hamburg räumt auf.“ „Dam…
ich wenigstens das Gefühl hatte, etwas zu tun.“ Zwei Tage später, an einem
Sonntag, sollte die Veranstaltung stattfinden. Am Samstag endete der
Gipfel.
Bewusst unpolitisch: Immer mehr Menschen sagten im Laufe zweier Tage auf
Facebook zu, bei „Hamburg räumt auf“ teilzunehmen. „Hilfe, ich rufe mal …
der Polizei an“, sagte Lunderup zu ihrem Freund. Dort waren sie gar nicht
begeistert: „Sie können nicht einfach so eine Veranstaltung machen.“ Aber
wie sich herausstellte, musste Lunderup die Veranstaltung nicht anmelden,
da sie keine politische Kundgebung war. Ein Statement war sie trotzdem:
Dafür, dass Hamburg zusammenhält und die AnwohnerInnen, deren Häuser oder
Geschäfte beschädigt wurden, nicht alleine lässt. Etwa 10.000 Menschen
waren bei der Aufräumaktion dabei, schätzte die Polizei.
Reservierte Besen: Am Sonntagmorgen um 11 Uhr, eine Stunde vor dem Start
der Aufräumaktion, hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sie zu
einem Treffen eingeladen. Als er die damals 22-Jährige für ihr Engagement
lobte, sagte sie zu ihm: „Für Sie haben wir auch noch einen Besen
reserviert.“ Bald war klar: „Der Bundespräsident und der Hamburger
Bürgermeister hatten natürlich keine Zeit.“
Hass: Nicht alle fanden die Aktion gut. „Vor der Roten Flora im
Schanzenviertel waren Leute, die meinten: Haut ab, wir wollen nicht, dass
ihr hier aufräumt.“ Über Facebook bekam Lunderup Hassnachrichten. Einigen
schrieb sie zurück und bot ein Treffen an, „um darüber zu sprechen, warum
ich diese Aktion organisiert habe“. Auf keine dieser Nachrichten hat sie
eine Antwort erhalten.
Nicht putzen: Bei der Aktion ging es aber nicht nur ums Aufräumen („es war
eher ein Zeichen“). Zuvor war schon die Stadtreinigung vor Ort gewesen.
„Nach einer Stunde hatten wir eigentlich nichts mehr zu tun, aber die Leute
wollten trotzdem noch nicht nach Hause gehen.“ Manche fingen an, Kronkorken
und Kaugummis zwischen den Pflastersteinen herauszupulen und Graffiti, die
für das Schanzenviertel charakteristisch sind, zu übermalen. „Es war ja
nicht so, dass ich dastand und die Leute angewiesen hätte, was sie tun
sollen.“ Wenn sie jetzt davon erzählt, dass es den Vorschlag gab, die
Aufräumaktion ohne konkreten Anlass wieder aufleben zu lassen, meint sie:
„Die Schanze gehört nicht geputzt.“ Für sie ging es darum, zu zeigen:
„Diese Aggressivität, diese Gewalt, so sind die Menschen in Hamburg nicht.“
Bewusst politisch: Ihre Aktion, die bewusst keine politische Positionierung
enthielt, hat sie verändert, politisiert. „Vorher hätte ich nie gedacht,
dass man so etwas als einzelne Person bewirken kann.“
Das denkt sie: Lunderup hat das Gefühl, dass wenige junge Leute politisch
interessiert sind. Geschweige denn aktiv werden. Das ist auch in ihrem
Bekanntenkreis so – „es gehen alle wählen, klar, aber das war’s“. „I…
glaube aber nicht, dass das ein spezifisches Problem meiner Generation
ist.“ An dieser Einstellung stört sie sich: „Es bringt ja nichts, zu Hause
zu sitzen und zu sagen, wie blöd alles ist.“
Polarisierte Gesellschaft: Sie bezeichnet sich selbst als
Organisationstalent. Es gibt einige Themen, für die sie diese Eigenschaft
gern einsetzen würde. Ausländerfeindlichkeit beschäftigt sie. Dass sie
mitbekommt, wie Geflüchtete am Hamburger Hauptbahnhof angepöbelt werden.
„Das geht gar nicht.“ Deshalb denkt Lunderup darüber nach, was sie tun
könnte: „Eine Aktion, die den Zusammenhalt fördert.“
Blöder Chemielehrer: Eigentlich ist sie momentan Studentin. Nach der Schule
hat sie zunächst eine Ausbildung zur biologisch-technischen Assistentin
gemacht und im Anschluss im Labor einer Berufsschule gearbeitet. Da wurde
sie öfter gefragt: „Frau Lunderup, warum sind Sie eigentlich nicht
Lehrerin?“ Das hat sie sich dann auch gefragt. Jetzt studiert sie
Chemietechnik und Biologie auf Berufsschullehramt im dritten Semester. In
der Schule hatte sie Chemie abgewählt („Ich hatte einen blöden
Chemielehrer“). Jetzt will sie selbst Chemie vermitteln, „weil es so viele
Dinge in der Chemie gibt, über die man sprechen muss“. Beispielsweise
Mikroplastik und andere gesellschaftliche Themen. „Das gehört zu Chemie und
Biologie einfach dazu.“
Und was hält sie von Angela Merkel? Respekt sollten wir vor ihr haben,
findet Rebecca Lunderup. „Gerade ihre Entscheidungen in der
Flüchtlingsfrage haben mich überrascht und ich fand es gut, dass sie das so
durchgezogen hat“. Aber den Wechsel an der Parteispitze findet Lunderup
trotzdem notwendig. „Und das war jetzt das erste Mal, dass ich mich in
einem Interview politisch geäußert habe.“
14 Dec 2018
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## AUTOREN
Lisa Becke
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