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# taz.de -- Der Hausbesuch: Früher Sekt, heute Wut
> Anja Barbian-Stiller war 30 Jahre Flugbegleiterin. Nach der
> Air-Berlin-Pleite wird sie entlassen – und schreibt ein Buch, „um nicht
> durchzudrehen“.
Bild: Um glücklich zu sein, reichen ihr Gesundheit und Familie: Anja Barbian-S…
Für Air Berlin flog sie die lange Strecke – bis zur Insolvenz der Fluglinie
vor etwas mehr als einem Jahr. Zu Besuch bei der früheren Flugbegleiterin
Anja Barbian-Stiller in Königswinter bei Bonn.
Draußen: Der Ölberg, Familienhäuser mit teils wilden, teils auch sehr
ordentlichen Gärten. Große Autos, viele Hunde. Anja Barbian-Stiller hat
auch zwei dunkelbraune, die zur Begrüßung kommen. Bäume, die 40 Jahre alt
sind, ein Teich mit japanischen Fischen, ein Strandkorb, den sie sich
selbst zum 50. geschenkt hat. Ein Rosengarten, ein Grabstein mit dem Namen
„Anna“.
Drinnen: Auf dem Kamin stehen eingerahmte Bilder. Auf einem ist Anna zu
sehen. Der Labrador posiert mit der Patchworkfamilie: Anja Barbian-Stiller,
ihrem Mann, dessen zwei Söhnen, ihrem Sohn und ihrer Tochter. Eine hohe
Glasflasche voller farbiger Schichten Sand. Jede Schicht steht für einen
Ort, an dem sie dank ihrer Arbeit war: Teneriffa, Phuket, Mombasa, Florida
– und viele mehr. In schwarzer Schrift steht für jede Schicht der Name der
Stadt oder die Abkürzung des dortigen Flughafens. Dazu Souvenirs aus aller
Welt, ein Klavier, riesige Sofas, die farblich zu den Hunden passen. An den
weißen Wänden Bilder von Mohnblumen und abstrakte Bilder von
Barbian-Stillers Mutter – die habe die Malerei autodidaktisch erlernt „und
liebte die Esoterik“.
Nach der Insolvenz: Anja Barbian-Stiller hörte vor etwas mehr als einem
Jahr auf einer Autofahrt im Radio, dass Air Berlin insolvent sei. „Ich
konnte es nicht glauben, dass ich aus den Nachrichten und nicht von meinem
Arbeitgeber erfahre, dass wir pleitegehen“, sagt sie, denn zu dieser Zeit
war sie Stewardess bei dieser Fluggesellschaft. Die Nachricht kommt zu
einem schlechten Zeitpunkt: Einige Tage später liegt sie im Krankenhaus und
scherzt mit der Krankenschwester über Flugzeugtoiletten, während ihr Blut
durch eine Maschine geleitet wird, damit sie ihrem älteren Bruder
Stammzellen spenden kann.
Lachanfälle: „Ich bin nicht witzig, aber ich lache gerne“, sagt sie. An
Bord musste sie sich manchmal in der Toilette einsperren, bis der
Lachanfall vorbei war. Zu Hause sei der Humor ihres Mannes Trost. Er habe
einen „bösen Humor“, der aber hilfreich sei in schwierigen Situationen. Ihr
Mann habe sie nicht nur überzeugt, dass lustige Passagen im Buch vorkommen
sollen, sondern auch, dass sie das Buch überhaupt veröffentlichen sollte.
Das Buch: Nach der Pleite von Air Berlin hat sie sich entschieden, ein Buch
zu schreiben. „Die Air Berlin Affäre … aus Sicht einer Stewardess“ kam im
Februar 2018 raus. „Ich habe es für mich geschrieben “, sagt sie. Sie
wollte darin nicht nur ihre eigenen Erfahrungen erzählen, sondern etwas
unternehmen, um „diese Handvoll Manager zu enttarnen, die die
Air-Berlin-Affäre als Deal lang geplant haben“.
Kein Happy End: Der Profit sei immer wichtiger, der Mensch immer
unwichtiger. Auch darum geht es in Barbian-Stillers zweitem Buch, das sie
gerade neben ihrer Arbeit bei der Fluggesellschaft Condor („da fühle ich
mich wohl“) und ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten (etwa als Tierschützerin
und Unterstützerin von Gewalt- und Missbrauchsopfern), schreibt. Das Buch
spielt in einer dystopischen, aber nicht weit entfernten Zukunft und
selbstverständlich im Flugzeug. Es habe kein Happy End.
Wir sind mehr: Barbian-Stiller hat eine Theorie: „Im Flugzeug sitzen 300
Passagiere. 295 davon halten sich an die Regeln, sind freundlich und
höflich. Sie wissen, wie sie sich verhalten müssen, damit ein Flug fair und
sicher für alle durchgeführt werden kann. Doch fünf sind rücksichtslos und
egoistisch, und wegen dieser Gruppe werden alle mitbestraft.“ Sie ist
überzeugt, dass etwas Ähnliches in unserer Gesellschaft passiert. Es dürfe
nicht weiter verallgemeinert werden, denn die 295 seien die Mehrheit, nicht
die fünf, die sagen, dass alle Geflüchteten Terroristen sind. „Die 295
entscheiden, wie viel Raum die anderen fünf erhalten.“
Die Wut bleibt: Anja Barbian-Stiller ist noch immer wütend, wenn sie an Air
Berlin denkt. Die Pleite ist mittlerweile mehr als ein Jahr her, sie kann
jetzt immerhin besser schlafen. „Air Berlin war nur ein Beispiel, das
Problem ist immer aktuell, vor Kurzem bei Ryanair, morgen bei anderen
billigen Fluggesellschaften.“ Vielen ehemaligen Air-Berlin-KollegInnen gehe
es noch schlecht, einige seien noch in therapeutischer Behandlung, erzählt
sie.
Die goldenen Zeiten: Als Flugbegleiterin erlebte sie die „goldenen Zeiten
des Berufes“, als es noch Sekt und heißes Essen gab und alle sich für einen
Flug schick kleideten. Sie brach das Studium ab und lebte von ihrer Arbeit
als Stewardess. Was nur ein Saisonjob werden sollte, wurde ihre Arbeit fürs
Leben. „Es war ein Beruf mit Renommee“, sagt sie.
Warum ich? Anja Barbian-Stiller sagt, ihr passieren „andere Sachen“ als den
anderen. Sie kam gerade zurück von einem Langstreckenflug. Es regnete, sie
war mit Anna, dem Labrador, unterwegs, als sie die am Baum hängende Frau
sah. „Das war, als wäre es nicht real.“ Zum Glück sei ihre Wahrnehmung na…
langen Flüge immer etwas unscharf, aber sie denkt an die anderen Zeugen,
die noch heute davon traumatisiert sind. Ähnliche Beispiele aus ihrem Leben
hat sie mehrere, doch sie wolle lieber das Positive sehen. „Es bringt
nichts, sich zu fragen: Warum ich?“
Trauer, Geduld, Spaß: Sie war dabei, als in Stockholm 2017 ein Mann mit
einem Lkw in einer Einkaufsstraße in eine Gruppe von Personen fuhr und vier
Menschen tötete. Und auch in New York bei einem Amoklauf in einem
Einkaufscenter. Panik oder Angst habe sie aber nie empfunden. „Wir sind
trainiert, um in Notsituationen die Ruhe zu bewahren.“ Nicht nur das.
„Flugbegleiter sind vieles in einem: Psychologe, Arzt, Babysitter, Kellner
… “, zitiert sie eine Kollegin. Man müsse Geduld haben und gute Laune
verbreiten können, um diesen Job gut machen zu können. An Bord habe sie
schon eine junge Frau bei einer Fehlgeburt begleitet und die Urlauber
getröstet, die 2004 nach dem Tsunami geschockt und trauernd aus Südostasien
nach Deutschland zurückkehrten. Sie habe aber auch weinende Babys beruhigt,
Bräuten in Hochzeitskleidern Champagner eingeschenkt, zwei ältere Herren
zum Lachen gebracht, indem sie ihre eskalierende Diskussion mit einem:
„Meine Herren wir sind hier nicht in Loriots Badewanne“, unterbrach.
Glück: Anja Barbian-Stiller findet, dass man vergesse, wie wichtig
Gesundheit sei. Um glücklich zu sein, reicht ihr die. Und ihre Familie, die
mache sie glücklich, auch wenn das nicht originell klinge. „Ich freue mich,
wenn ich merke, dass alle zusammen sind, auch als Patchworkfamilie mit
Höhen und Tiefen. Und wenn meine Hunde mich anlächeln.“
Wie findet sie Merkel? „Früher war ich richtig Fan von ihr“, sagt
Barbian-Stiller. Mittlerweile denke sie, dass die Kanzlerin zu lange im Amt
sei. „Zwei Perioden hintereinander sollten reichen. Zumindest das machen
die Amerikaner gut.“
30 Nov 2018
## AUTOREN
Luciana Ferrando
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Der Hausbesuch
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