| # taz.de -- Der Hausbesuch: Allgäuer Tango | |
| > Als Selbstversorger leben Rosemarie Wegemann und Arthur Bay auf ihrem Hof | |
| > in der Nähe von Kempten. Ihre Kraft ziehen sie auch aus der Musik. | |
| Bild: Er war ihr Tangolehrer, so lernten sie sich kennen. „Dabei führe ich g… | |
| Das Leben als Selbstversorger ist Knochenarbeit: Im Sommer fehlt Wasser, im | |
| Winter sind sie oft eingeschneit. Doch für Rosemarie Wegemann und Arthur | |
| Bay bedeutet es Glück. Zu Besuch auf dem „ErlebnisHof Millers“ bei Kempten | |
| im Allgäu. | |
| Draußen: Alpenvorland. Bis zum Horizont Wiesen, zwischendurch Tannen. Hier | |
| hört man kaum Autos, stattdessen Kuhglocken von überall her. Die Höfe hier | |
| werden von einer Quelle versorgt – wer mehr Vieh hat, bekommt mehr. „Es | |
| wird gerecht verteilt“, sagt Rosemarie Wegemann. Sie und Arthur Bay haben | |
| viel Vieh: Hühner, Perlhühner, Kühe, Schweine, Esel, sieben Pferde. Wenn | |
| das Wasser im Sommer weniger werde, müsse man, statt zu duschen, eben in | |
| den Weiher springen. | |
| Drinnen: Wenn Rosemarie Wegemann und Arthur Bay durch das Fenster schauen, | |
| blicken sie auf eine Kapelle. Davor stehen Sonnenblumen und ihre Esel. | |
| Schauen sie durch ein anderes, können sie im Sommer ihre Hühner scharren | |
| sehen. Wegemann und Bay sitzen am Esstisch, er blickt geradeaus, | |
| nachdenklich. Sie spricht entschieden, ihre Stimme ist laut. Sie ist braun | |
| gebrannt und dünn von der Arbeit. „Wir brauchen jedenfalls kein teures | |
| Fitnessstudio zu bezahlen.“ An einer Wand hängt eine große Uhr, sie tickt �… | |
| viel zu schnell. Die größte Herausforderung für die beiden sei die Zeit. | |
| „Ein Tag hat nur vierundzwanzig Stunden“, sagt Wegemann. „Und die Woche in | |
| der Landwirtschaft sieben Tage.“ | |
| Werkstatt: Die Zimmerdecke über ihnen ist hölzern, zartgelb und blau, mit | |
| feinem Muster bemalt. Darunter steht der einzige Heizofen im Haus. „Das hat | |
| man früher ja so gemacht, nur ein Zimmer geheizt“, sagt Wegemann. Das | |
| Esszimmer ist zugleich Wohnzimmer und Werkstatt. In einer Ecke steht ein | |
| kleines Sofa. An den Wänden hängen Geigen – fertige und halb fertige. Bay | |
| baut sie an seiner Werkbank, die gegenüber dem Esstisch steht. Er verkauft | |
| sie in die Schweiz, an den Bodensee, nach München. „Über die Winterzeit | |
| will ich ein Cello fertig kriegen, das wird sogar hier in der Gegend | |
| bleiben.“ | |
| Angekommen: Vor acht Jahren sind sie ins Allgäu gezogen. Um den Hof zu | |
| finden, haben sie ein Jahr gebraucht. „Wir haben zwischen Schottland, | |
| meiner Heimat, und Kroatien gesucht“, sagt Arthur Bay. Im Allgäu fühlen sie | |
| sich inzwischen zu Hause. „Wenn man riecht wie die Einheimischen, ist das | |
| kein Problem.“ | |
| Frei: Morgens zwischen vier und fünf beginnt der Tag. Dann wird | |
| gefrühstückt, der Stall gemacht, werden die Kühe gemolken – von Hand. | |
| „Danach gehe ich meistens in einen fremden Stall“, sagt Wegemann. „Ich | |
| arbeite außerhalb, in der Betriebshilfe.“ Fällt ein Bauer aus, springt sie | |
| ein. „Irgendwie muss das Geld ja reinkommen.“ | |
| Selbstversorger: Bay und Wegemann versorgen sich, so gut es geht, selbst. | |
| Manchmal müssen sie Kompromisse machen. Beim Zucker. „Und Öl, solche | |
| Sachen. Aber wir haben Feldgemüse.“ Getreide bauen sie nicht an, das soll | |
| aber noch kommen. „Wir haben die Erntetechnik nicht hier oben, das müssten | |
| wir alles von Hand ernten.“ Bay erklärt: „Um zwei Kilo Brot zu machen, | |
| braucht man drei Stunden, nur um das zu ernten“. Ein Haferfeld gibt es aber | |
| schon, für die Pferde. | |
| Tauschen: Die beiden züchten Tiere, gefährdete Rassen. Oft tauschen sie – | |
| „einen Gockel gegen Honig“ zum Beispiel. „Unser interessantester Tausch w… | |
| mal eine Geige gegen einen Miststreuer“, sagt Wegemann, „einen | |
| pferdebetriebenen Miststreuer“, fügt Bay hinzu. Ganz ohne Geldverkehr | |
| leben, das ginge nicht. Auch wenn sie das gern würden. „Wenn wir Heu | |
| machen, müssen wir einen Traktor unterhalten. Unsere Maschinen müssen | |
| gepflegt werden, und dann die Versicherung und all so ein Blödsinn.“ | |
| Nahrung: In ihrer Küche backen sie Brot , machen Käse. Gekocht wird auf | |
| einem Holzofen. „Wenn man Käse selbst macht, dann weiß man, was Käse | |
| überhaupt ist,“ sagt Wegemann. Kaufe man im Supermarkt, denke man nur | |
| daran, wie teuer der Käse ist. Es würde nicht so viel im Abfall landen, | |
| „wenn man schwitzen müsste“. Das gelte auch beim Kochen und Heizen: „Wenn | |
| man das Holz erst mal klein machen und lagern muss, geht man anders damit | |
| um, als wenn man nur einen Schalter betätigt.“ | |
| Wo kommen sie her? Wegemann ist 1959 geboren, in München aufgewachsen, | |
| Stadtkind. Trotzdem ist sie mit Tieren aufgewachsen, sagt sie: „Pferde | |
| sowieso immer.“ „Eine Ziege im Keller“, fügt Bay hinzu und lacht. Bis ihr | |
| Vater gesagt habe, dass Tiere nicht ins Haus kämen. Nach der Schule ging | |
| sie nach Kalifornien, Berkeley, studierte dort Ökologie. Machte später in | |
| Deutschland eine Ausbildung in der Landwirtschaft. | |
| Musikstunden: Wegemann und Bay verbindet beides: die Landwirtschaft und die | |
| Musik. Während der Schulzeit besuchte Wegemann ein Konservatorium, als | |
| Jungstudentin. Heute arbeitet sie auch als Musiklehrerin, gibt Klavier- und | |
| Querflötenunterricht, „unten im Dorf“, sagt Bay. In dem kleinen Weiler | |
| leben sie fernab davon. Ihre Zeit teilt Wegemann frei ein, anders als an | |
| der Musikschule, wo sie früher war. „Wenn wir dann Heu draußen haben, sage | |
| ich: Jetzt gerade kann ich nicht.“ | |
| Melken: Bay ist zwei Jahre älter, kommt aus Schottland. Mit 17 ging er, um | |
| Instrumente zu bauen – hat eine Lehre bei einem Geigenbauer gemacht. „Ich | |
| bin mit meinen Eltern für eine Ferienreise von Schottland nach Deutschland | |
| gekommen und habe die Stelle dort gefunden“, sagt er, er brach die Schule | |
| daraufhin ab. Bay lernte bei einem Holländer, „der Selbstversorger war“, | |
| auch Kühe hatte. Da habe er geholfen. „Ich kann mich erinnern, dass ich ein | |
| Bild gesehen habe, wo du ’ne Kuh melkst“, sagt Wegemann zu ihm, „und ich | |
| meiner Mutter das Bild geschickt habe und geschrieben hab: Und melken kann | |
| er auch.“ | |
| Tango: Kennengelernt haben sie sich Ende der 90er, beim Tangotanzen in | |
| Konstanz, wo Bay ein Musikgeschäft hatte. Er war ihr Lehrer. Beim Tango | |
| führe ja der Mann. „Aber ich übernehme halt gerne die Führung.“ Bay | |
| entgegnet: „Das war eine Herausforderung.“ Heute geben sie zusammen | |
| Tangostunden, in einer Gastwirtschaft im Dorf, zweimal die Woche. „Noch ein | |
| Standbein“, sagt Bay. | |
| Führung: Die Führung übernehme Wegemann immer noch gerne. Während ihrer | |
| Arbeit in der Betriebshilfe müsse sie jedoch auch folgen. „Da muss ich das | |
| natürlich in dem Sinne machen, wie die Bauern das haben wollen“, sagt sie. | |
| Es halte fit, sich in neue Systeme zu denken. „Da bleibt man im Kopf | |
| flexibel.“ | |
| Perspektiven: Auf ihrem Hof gehe es nicht darum, wer recht habe, „sondern | |
| darum, die Perspektiven in Deckung zu bringen.“ Auch da könne Tango helfen. | |
| Bay sagt: „Im Tango ist das Wesentliche der nonverbale Dialog. Es ist ja | |
| nicht so machomäßig, wie das aussieht, sondern es ist eine feine | |
| Kommunikation, und das Leben hat das auch an sich, dass wir ständig im | |
| Austausch sind.“ | |
| Austausch: Auch mit den Menschen im Allgäu seien sie viel in Kontakt. Hier | |
| gebe es eine „große alternative Szene“, sagt Wegemann, es bestehe eine | |
| große „Sehnsucht“ nach einem Leben wie ihrem. Viele seien mit ihnen „auf | |
| einer Wellenlänge“ und fänden „das, wie wir leben, gut“, sagt Wegemann, | |
| „oder interessant“, ergänzt Bay. Durch die Betriebshilfe komme Wegemann | |
| viel herum und lerne andere Bauern kennen. | |
| Rückständig: Vielen Bauern seien sie aber suspekt. „Weil wir halt auch zum | |
| Teil die Flächen mit den Pferden bewirtschaften, ist das dann für die eher | |
| rückständig.“ Manche könnten sich noch erinnern, dass ihre Eltern das noch | |
| getan hätten. „Die Bauern sind oft so damit beschäftigt, ihren eigenen | |
| Betrieb zu machen, dass sie nicht darüber hinausgucken können.“ | |
| Zukunft: Wie sie sich das Älterwerden vorstellen? „Gar nicht“, sagt | |
| Wegemann. „Es kommt sowieso immer anders.“ Oft lösten sich die Dinge auf | |
| eine Art und Weise, wie man sie sich nicht hätte ausdenken können. Wichtig | |
| sei: weitermachen. „Wenn man denkt: Das ist jetzt die totale Katastrophe, | |
| dann gehe ich noch einen Schritt weiter, und oft löst es sich dann von | |
| selbst. Und wenn es wirklich die totale Katastrophe ist, dann ist es | |
| sowieso die totale Katastrophe.“ Bay sagt: „Hier in dem Nachbarhaus, da | |
| wohnte ein Ballonfahrer, ein richtig sportlicher Typ, und dann war er so | |
| krank, dass er sich plötzlich nicht mehr bewegen konnte und war ein | |
| Pflegefall.“ Mit 54. | |
| Pläne: Anfangs wollten sie vor allem pädagogische Arbeit machen. „Wir | |
| wollten Leuten Landwirtschaft nahebringen, deshalb heißen wir auch | |
| ‚ErlebnisHof‘.“ Die Menschen sollen verstehen, wo die Lebensmittel | |
| herkommen, das wertschätzen. | |
| Lebendigkeit: Manchmal werden sie einfach angeschrieben, erzählt er. Etwa | |
| von einer Frau, die herausfinden wollte, „wie es war, vor hundert Jahren zu | |
| wohnen“. Kein Problem: „Ich habe ihr gesagt, ihr kriegt unsere Knechtkammer | |
| unterm Dach, das Badezimmer ist tabu“, Bay lacht. „Sie kam nur einmal zum | |
| Melken mit ihren Kindern, das hat ihr gereicht.“ | |
| 23 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Lea Diehl | |
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