# taz.de -- T. C. Boyle über Crispr-Babys: „Das ist jetzt in der Keimbahn“ | |
> In China kamen wohl die ersten gentechnisch veränderten Babys auf die | |
> Welt. Der Schriftsteller T. C. Boyle findet: Wir sollten besser nicht | |
> Gott spielen. | |
Bild: „Wir kennen die wesentlichen Antworten auf unsere Existenzfragen nicht�… | |
taz am wochenende: Mister Boyle, für Sie war die Nachricht dieser Woche, | |
dass in China wohl [1][die ersten gentechnisch veränderten Babys] geboren | |
worden sind , vermutlich keine Überraschung. Oder? | |
T. C. Boyle: Na ja, mein Erzählband „The Relive Box“ ist noch nicht ins | |
Deutsche übersetzt, aber die dritte Geschichte darin heißt „Are We Not | |
Men?“. Diese Frage habe ich aus einem Roman von H. G. Wells, in dem ein | |
verrückter Forscher versucht, aus Tieren einen Menschen herzustellen. Meine | |
Geschichte untersucht diese Möglichkeiten. Sie prophezeit auch, dass es die | |
Chinesen sind, die uns die ersten genmanipulierten Babys geben. Und … here | |
we are. | |
Damit scheint eine weitere Ihrer Vorhersagen wahr geworden zu sein. | |
Zwischen Mexiko und den USA wird eine Mauer gebaut, wie Sie in den | |
Neunzigern schrieben. Und in China wurde die [2][DNA der Embryonen offenbar | |
mit der Genschere Crispr/Cas9 verändert.] Genau wie in [3][„Are We Not | |
Men?“]. | |
Das kann einem Angst machen, oder? Alles, was ich schreibe, wird wahr. | |
Wahrscheinlich sollte ich über den Weltfrieden und glückliche Romanautoren | |
schreiben. | |
Aber? | |
Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, mich mit Crispr zu beschäftigen – | |
als sich die Artikel häuften, während des Crispr-Durchbruchs. Und im Laufe | |
meiner Karriere habe ich mich am meisten für unser Verhältnis zu unserem | |
Planeten interessiert. Für unseren Bezug zur Umwelt, unser Dasein als | |
Tierart unter anderen Tierarten – etwas, das die Religion bestreiten würde, | |
das viele Menschen bestreiten, weil sie denken, wir seien besonders. Aber | |
natürlich sind wir Tiere! Dieser chinesische Wissenschaftler, He Jiankui, | |
behauptet, er hätte diesen Zwillingen ein Gen entfernt, um sie immun gegen | |
das HI-Virus zu machen. Er hat damit allerdings nicht nur eine Veränderung | |
dieser beiden Mädchen bewirkt. Diese Genmutation wird in die Menschheit | |
weitergetragen. | |
Durch diese Mädchen und ihre Kinder. | |
Und die Kinder ihrer Kinder und so weiter. Es gibt genügend Artikel, die | |
erklären, dass das Fehlen dieses speziellen Gens sie beispielsweise | |
anfälliger dafür macht, an der Grippe zu sterben. Oder an anderen | |
Krankheiten, die Konsequenzen sind unvorhersehbar. Und selbst wenn sie | |
vorhersehbar wären, selbst wenn allen Kindern dieser Welt nun dieses Gen | |
entnommen werden könnte und wir uns keine Gedanken mehr um Aids machen | |
müssten: Die tragen etwas in sich, das unnatürlich ist. Und jedes Kind, das | |
sie zeugen, wird diese Mutation haben. Für immer. Das ist das Problem: Es | |
betrifft nicht bloß ein Individuum. Das ist jetzt in der menschlichen | |
Keimbahn. | |
Was befürchten Sie? | |
Das Ganze könnte, wie in meiner Geschichte, extrem rassistisch sein und | |
bestimmte Zustände verschlimmern: Eine dominante Ethnie hätte die Kontrolle | |
über die Welt, weiße Haut würde gegenüber dunkler bevorzugt. Denn die Leute | |
werden wählen. Werdende Väter und Mütter werden sich alle Möglichkeiten | |
ansehen, ihrem Kind eine bestimmte Größe zu geben. Vielleicht wollen sie | |
blaue Augen und musisches Talent für ihr Kind, einen sehr hohen IQ. Sie | |
werden die bestmögliche Mischung der Gene beider Elternteile erhalten und | |
Designerbabys machen. Es heißt immer so landläufig, die Leute werden so was | |
nicht tun. Aber wir sehen ja: Der Mann in China hat schon damit angefangen. | |
[4][In „Are We Not Men?“ ist exakt das Realität:] Paare suchen sich | |
Merkmale für ihr Kind im Genlabor aus, als würden sie nach der richtigen | |
Vorspeise auf der Speisekarte suchen. Größe, Augenfarbe, Intellekt. | |
Ist die Hundekatze einmal aus dem Sack – für die Geschichte habe ich die | |
„Hundekatze“ erfunden –, ist eine solche Technologie also einmal verfügb… | |
wie jetzt, dann wird sie genutzt. Allein die Anstrengungen, die Eltern | |
heute auf sich nehmen, um ihre Kinder auf eine besondere Schule zu | |
schicken! Sie wären klar im Nachteil, wenn ihr Kind in eine Klasse ginge, | |
in der alle anderen Kinder genmanipuliert wurden – um schlauer zu sein oder | |
besser in Mathe. Natürlich: Am Anfang wird das eine Menge Geld kosten. Es | |
werden sich nur die Wohlhabenden leisten können, die bereits privilegiert | |
sind. Sie werden einen Supervorteil gegenüber den Armen haben. | |
Wie sähe die Welt mit einer genetisch modifizierten Elite aus? | |
Ich sehe das nicht sehr hoffnungsvoll. Die Diskriminierung in hundert | |
Jahren kann man sich ja jetzt schon vorstellen – die der genetisch | |
Modifizierten, „Überlegenen“, gegenüber den „Normalen“. Man wird die | |
normalen Menschen als animalischer und verzichtbarer betrachten. Denken Sie | |
dran, wie wir unsere Tiere behandeln, die Schimpansen – weil sie nicht | |
menschlich sind. Es wird der Punkt kommen, an dem Menschen als weniger wert | |
gelten. Als weniger Mensch. Wegwerfbar. Lesen Sie Aldous Huxleys „Schöne | |
neue Welt“! Es ist prophezeit. | |
Und trotzdem verspricht die Methode viel. Man will mit Crispr das Gen | |
eliminieren, [5][das bei Frauen Brustkrebs verursacht.] Oder damit Mücken | |
resistent gegen den Malaria-Erreger machen. | |
Stimmt, das ist die Verwendung, die wir jetzt für Crispr haben. Aber wie | |
verhindert man, dass es leichtsinnig verwendet wird? Ich war gestern in der | |
Zoohandlung und habe dort in der Tropenfischabteilung zum ersten Mal | |
genetisch modifizierte Fische gesehen, die Gene von Quallen in sich tragen, | |
damit sie superhell leuchten. Das sind Freaks der Natur – sie sind längst | |
da. Es ist schon unter uns. | |
Denken Sie, wir können lernen, Crispr sorgsam – richtig – zu verwenden? | |
Das hier ist der erste Missbrauch von Crispr. Wir haben Krebstherapien, wir | |
stellen monoklonale Antikörper her, aber okay, wenn eine Genmanipulation | |
immun gegen Krankheiten macht? Wundervoll. Bloß: Wer wird das regulieren | |
und sagen, es reicht? Warum keine Menschen mit vier Händen machen, wenn es | |
ihnen zu helfen scheint, warum nicht jedes Wesen kreieren, das du willst? | |
Um die „Hundekatze“ noch mal zu erwähnen: Es ist theoretisch möglich, Gene | |
jeder Tierart in einen Menschen zu implantieren. Wir sind also nicht so | |
weit entfernt von H. G. Wells und der Frage „Are We Not Men?“. Sind wir | |
keine Menschen? Die Antwort ist: Nein, sind wir nicht. Nicht mehr. | |
Wovor haben wir am meisten Angst? Das Experiment in China ist bislang nicht | |
mal bewiesen – und die Empörung riesig. | |
Wir sind Produkte der Natur. Wir leben auf einem mysteriösen Planeten und | |
kennen die wesentlichen Antworten auf unsere Existenzfragen nicht: Warum? | |
Was ist passiert? Wo kommt es her, was bedeutet es? Die gesamte | |
Menschheitsgeschichte und Evolution wird durch etwas wie die | |
Crispr-Technologie negiert. Menschliche Designerbabys: Damit beginnen wir | |
eine neue evolutionäre Zeit. | |
Mit ziemlich neuen ethischen Fragen. | |
Klar. Wenn diese Zwillingsmädchen in China aufwachsen, unter dem Radar der | |
Gesellschaft: Wird man ihnen dann später erlauben, Kinder zu kriegen? Wird | |
man sie einsperren und daran hindern – damit sie dieses Gen nicht | |
verbreiten? Von solchen Fragen mal abgesehen: Wer will schon, dass die | |
Menschen länger leben? Bei 7,5 Milliarden Bewohnern auf der Erde und nicht | |
ausreichenden Ressourcen. Bei einem Klimawandel, der die Möglichkeiten, uns | |
zu ernähren, zerstört. | |
Sie werden am Sonntag siebzig. Würden Sie gerne noch viel länger leben? | |
Das Leben verlängern? Ich denke, das würde jeder tun. Vielleicht wird | |
Crispr das auch möglich machen, dann hätten wir noch 20, 30 weitere Jahre. | |
Und das womöglich bei solider Gesundheit. Toll für mich! Aber wer kümmert | |
sich um die ganzen alten Leute? Die Wirtschaft? In mancher Hinsicht ist der | |
Tod eine gute Sache. | |
Warum spielen die Menschen trotzdem so gerne Gott? | |
Wegen ihrer Gehirne und ihrer Egos! Wie kann nur jeder Einzelne von uns, | |
mit all seiner Brillanz und Schönheit und Gier, ernsthaft sterben müssen? | |
Zu John Updike wurde mal in einem Interview gesagt – er war 77, als er an | |
Krebs starb –: „Sie sind sicher recht zufrieden, Sie haben Kinder und | |
Enkel.“ Und Updike sagte: „Ja. Aber die sind nicht ich.“ | |
Und niemand außer Ihnen ist Sie, Mr. Boyle. | |
Oder Sie! So ist es halt, wir müssen gegen die Verzweiflung über unsere | |
eigene Sterblichkeit ankämpfen. Und ich denke, He Jiankui hat versucht, das | |
zu umgehen. Für immer zu leben. Gott zu sein. | |
Er sagt, er sei stolz. | |
Na ja, er wollte der Erste sein. Und wir reden über ihn, richtig? Er hat | |
Crispr nicht erfunden, aber wir reden über ihn. Er hat das Verbot | |
gebrochen. Jetzt ist er berühmt. Aber wollen Sie die gute Nachricht hören? | |
Bitte. | |
In 3,5 Milliarden Jahren – so ungefähr – wird die Sonne aufflammen und die | |
Erde verbrennen, bis sie nicht viel mehr ist als ein verkohltes Stück | |
Brikett. | |
2 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Genmanipulierte-Neugeborene-in-China/!5550287 | |
[2] /Debatte-Gentechnik/!5091004 | |
[3] http://www.newyorker.com/magazine/2016/11/07/are-we-not-men | |
[4] /T-C-Boyle-ueber-die-US-Gesellschaft/!5469992 | |
[5] https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-test-soll-frauen-mit-brustkr… | |
## AUTOREN | |
Annabelle Seubert | |
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Boyle ist Menschenfreund und Einsiedler, Patriot und Querulant. |