# taz.de -- Junge Geflüchtete verlassen Sachsen: Zufluchtsort Bremen | |
> Zwei junge Geflüchtete flohen vor den Anfeindungen in ihrem sächsischen | |
> Wohnort nach Bremen. Nun mussten sie gegen ihren Willen zurück. | |
Bild: War den Jugendlichen Maxim und Gerome lieber als Sachsen: Bremen | |
HAMBURG taz | Gegen zwölf Uhr mittags stiegen Maxim* und Gerome* am | |
Dienstag in Bremen in den Intercity Richtung Leipzig. Mit ungutem Gefühl. | |
„We are afraid for our life“, sagte Gerome am Telefon zur taz – sie | |
fürchteten um ihr Leben. Die beiden 16-Jährigen aus Guinea, die vor wenigen | |
Monaten nach Deutschland flüchteten, haben ihre Zeit in einer Unterkunft im | |
sächsischen Flöha Nahe Chemnitz in keiner guten Erinnerung. | |
Wenn sie dort das Haus verließen, hätten Bewohner des Ortes sie beschimpft. | |
„Go to your home“ und „Why are you here“, hätten die auf der Straße z… | |
gesagt, berichtet Gerome, also, dass sie „nach Hause“ gehen sollten und | |
gefragt wurden, warum sie da seien. Und obwohl der eine Ohrenschmerzen und | |
einen Abszess am Arm, und der andere ein Magenleiden hat, und sie einen | |
Arzt verlangten, wäre man in Flöha nicht darauf eingegangen. | |
Auch die Mitarbeiter der sächsischen Einrichtung, in der sie lebten, hätten | |
dem Bedrohungsszenario nichts entgegen gesetzt, berichtet Hanno Gärtner*, | |
der in der Bremer Flüchtlingshilfe aktiv ist und die beiden betreut. Ihnen | |
sei gesagt worden, wenn sie Probleme hätten, sollten sie doch durch das | |
Fenster im zweiten Stock flüchten und wegrennen. | |
Maxim und Gerome waren Ende Oktober in Bremen eingetroffen und konnten im | |
Rahmen einer Inobhutnahme in zwei Einrichtungen wohnen. Doch das Jugendamt | |
in Bremen war formal nicht zuständig. Das Problem: Seit November 2015 | |
werden unbegleitete Minderjährige bundesweit nach einem Schlüssel im ganzen | |
Land verteilt. Davon wird nur in Härtefällen, etwa bei ganz jungen oder | |
traumatisierten Kindern, abgesehen. Die beiden Jungen waren nach ihrer | |
Ankunft in Wuppertal daher eben dem Landkreis Mittelsachsen zugeteilt | |
worden. | |
Bei einem Gespräch beim Bremer Kinder- und Jugendnotdienst soll ihnen dann | |
die zwanghafte Rückführung nach Sachsen durch die Polizei für den gestrigen | |
Tag angekündigt worden sein. „Es wurde den Jungen gesagt, dass die Polizei | |
sie jeden Tag holen könne, nicht ohne zu bemerken, dass die Polizei mit | |
Waffen und Handschellen kommen werde“, berichtet Gärtner. Dabei hätten die | |
beiden tatsächlich große Angst gehabt. Sie wollten gar nicht partout in | |
Bremen bleiben, nur eben nicht zurück an den alten Ort. Die Drohung habe | |
aber letztendlich dazu geführt, dass die beiden selbstständig in den Zug | |
stiegen. | |
Generell verliefe die Entscheidung zur Verteilung in ein Bundesland | |
„relativ stumpf“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Bremer Sozialbehörde. | |
„Es reicht nicht aus, dass jemand sich nicht wohl fühlt, um in ein anderes | |
Bundesland auszuweichen.“ | |
Zum konkreten Fall erklärte Schneider, dieser sei „ungewöhnlich, weil die | |
beiden gar nicht aus Bremen kommen“. Die Schuld schiebt er dabei auf | |
Sachsen: Bremen habe die beiden in Obhut genommen und wäre auch bereit | |
gewesen, sie über ein „Amtshilfeersuchen“ aus Sachsen dauerhaft | |
aufzunehmen. Doch das dortige Jugendamt habe die Amtsvormundschaft für die | |
zwei und darauf bestanden, dass sie zurückgeführt werden. | |
„Die Bremer Polizei wurde dann um Amtshilfe gebeten“, sagt Schneider. | |
Deshalb hätten die Mitarbeiter des Bremer Kinder- und Jugendnotdienstes im | |
Gespräch darauf hingewiesen, dass die Polizei sie abholen kommen könne. „Es | |
gab aus Bremer Sicht keinen Grund zu drohen.“ Wenn, dann hätte Sachsen | |
gedroht. „Die beiden haben einen Amtsvormund. Die sagen, wie Eltern, ihr | |
sollt nach Hause kommen.“ | |
Eine Anfrage der taz zum Sachverhalt beim Landratsamt Mittelsachsen wurde | |
gestern bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. | |
## Ungefragt verteilt | |
Der Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BunF) | |
fordert, dass die Wünsche der Kinder und Jugendlichen beim Verteilverfahren | |
berücksichtigt werden, insbesondere wenn sich Angehörige und Bezugspersonen | |
bereits im Land befinden. „Das macht auch mehr Sinn und schützt die | |
Jugendlichen“, sagt BunF-Fachreferent Tobias Klaus. | |
Denn laut Kriminalstatistik galten im ersten Halbjahr 2018 über 2.000 | |
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als vermisst. Bei einer Befragung | |
des Fachverbands unter über 1.000 Fachkräften, welche Gründe sie hinter | |
diesen Abgängen vermuten, nannte die Hälfte, dass Jugendliche an Orte | |
verteilt wurden, wo sie nicht sein wollten. | |
Die beiden Guineer sollen laut Gärtner immerhin nun in Mittelsachsen in | |
eine andere Unterkunft kommen. Außerdem versuche er, über Netzwerke den | |
Kontakt zu halten. | |
Namen geändert | |
28 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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