# taz.de -- taz-Autorin in der „Lindenstraße“: Von obercool bis voll peinl… | |
> Über 30 Jahre wälzt die „Lindenstraße“ Alltagsprobleme als | |
> sozialdemokratisches Erziehungstheater. Die Autorin spielte dort 17 Jahre | |
> lang mit. | |
Bild: Lindenstraßen-Darsteller der „ersten Stunde“ 1997, mit dabei: die Au… | |
Als ich hörte, dass die „Lindenstraße“ eingestellt wird, bin ich schon | |
etwas wehmütig geworden. Dabei könnte es mir herzlich egal sein: Seit ich | |
2002 aus der Serie ausgestiegen bin, habe ich keine einzige Folge mehr | |
geguckt. Was aus meiner Fernseh-Familie Sarikakis, meinem „Bruder“ Carsten | |
und den ehemaligen WG-Genossinnen Urszula und Tanja geworden ist – es war | |
mir herzlich egal, als ich einmal weg war. Ich bin auch nicht mehr zur | |
jährlichen Weihnachtsfeier der Mitarbeiter gegangen, auf die ich ein paar | |
Jahre lang noch eingeladen wurde. | |
Das klingt vielleicht undankbar. Schließlich war ich 17 Jahre lang (mit | |
Unterbrechungen) dabei, habe mit dem Job gutes Geld verdient und viel Spaß | |
gehabt – aber so war es. Bis auf gelegentlich wiederkehrende Alpträume – | |
ich stehe am Set und habe meinen Text nicht parat – ist die „Lindenstraße�… | |
schon lange aus meinem Leben verschwunden. | |
Ambivalent war unser Verhältnis von Beginn an. Natürlich war es obercool, | |
als 16-Jährige „zum Fernsehen“ zu gehen. Über 2.000 Kölner Kinder und | |
Jugendliche kamen damals angeblich zu den Castings, um für eine der sechs | |
zu besetzenden Kinder- und Teenierollen vorzusprechen. Meine halbe Schule | |
war dabei, auch meine Freundin Julia, die wirklich Schauspielerin werden | |
wollte. Ich wollte nicht, fand das alles einfach einen großen Spaß – und | |
wurde zur „Beate Flöter“ gekürt. Später erzählte mir Produzent Hans | |
Geißendörfer, mein Lispeln habe den Ausschlag gegeben. | |
Für kurze Zeit war ich in meiner kleinen Welt der Star: Ich wurde von der | |
Schule mit dem Produktionswagen abgeholt, bekam auf WDR-Kosten die Haare | |
gefärbt – und lernte echte Schauspieler kennen. Aber die Euphorie – meine | |
und die meines Umfeldes – legte sich schnell, als die ersten Folgen | |
ausgestrahlt wurden. Oh Gott, war das peinlich! Wie unecht die Kulissen, | |
wie hölzern die Dialoge. Als ich – in Folge 9 – meinen ersten Auftritt | |
hatte, den meine Freunde und ich zusammen auf einer Geburtstagsparty | |
schauten, brachen alle in schallendes Gelächter aus. | |
## Rheinischer Singsang eines Münchner Mädels | |
Warum, weiß ich nicht mehr. Weil ich so schlecht schauspielerte? Weil die | |
Klamotten so übertrieben bunt waren, „Beate“ sollte ja laut Drehbuch | |
„flippig“ sein? Oder weil ich in rheinischem Singsang geredet habe, was für | |
ein Münchner Mädel schon etwas merkwürdig ist? Mir selbst ist das erst | |
Jahre später aufgefallen, damals hielt ich mein Genuschel für Hochdeutsch. | |
Bei meinen Freunden und in der Familie war „Lindenstraße“ schnell | |
Normalität. Sonntags guckte jeder, montags in der Schule wurde gelästert. | |
Regelmäßig musste ich mich rechtfertigen für Dinge, die in der Serie | |
passierten: „Jetzt kriegt der Benno Aids wegen einer Bluttransfusion? Warum | |
nicht der schwule Carsten?“, oder: „Wieso heiratest du jetzt den Griechen, | |
der ist doch voll panne, immer mit seinem Sirtaki-Getanze!“ | |
In mir tobten Zweifel. Zwar fand ich die Idee der Serie gut: Fernsehen, das | |
von Menschen wie du und ich handelt, die kleinen Probleme des Alltags wälzt | |
und das auch noch als sozialdemokratisches Erziehungstheater. Andererseits | |
war genau das das Problem: Es war eben sozialdemokratisch! Und ich war ein | |
Teenager, der die Welt scheiße fand und Antworten auf große Fragen suchte! | |
Die „Lindenstraße“ war für mich viel zu piefig und eng. | |
Mein größtes Problem aber war: In der Öffentlichkeit war ich auf einmal | |
bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund und konnte kaum irgendwo in Köln | |
hingehen, ohne dass es hieß: „Guck mal, das ist doch die aus der | |
Lindenstraße!“ Denn natürlich kannte niemand meinen echten, höchstens den | |
Rollen-Namen. Trotzdem musste ich dann einen Bierdeckel, Unterarm oder | |
sonst was signieren und – in den Arm genommen von einem glücklichen Fan – | |
für die Digitalkamera posieren. | |
## „Können wir da vielleicht einziehen?“ | |
Überhaupt sind Fans ja eine merkwürdige Spezies. Ich erinnere mich an eine | |
Szene beim jährlichen WDR-Sommerfest auf dem Studio-Gelände in | |
Köln-Bocklemünd. Tausende spazierten durch die potemkinschen Außenfassaden | |
der „Lindenstraße“ und warfen ehrfürchtige Blicke in die Produktionshalle, | |
deren Seitentore aufgeschoben waren, sodass man etwas von den aufgebauten | |
Kulissenwohnungen sehen konnte. | |
Draußen neben der Halle saß ich mit ein paar Schauspielern an einem Tisch, | |
wir gaben Autogramme. Ein älteres Ehepaar näherte sich vorsichtig und | |
fragte höflich: „Da ist doch jetzt eine Wohnung frei, die Bennarschs sind | |
ja ausgezogen. Können wir da vielleicht einziehen?“ | |
Ich dagegen war von Beginn an sehr darauf bedacht, zwischen „Beate“, der | |
„Lindenstraße“ und mir eine klare Trennlinie zu ziehen. Fast als ob ich | |
Angst gehabt hätte, von der „oberflächlichen“ Filmwelt zu sehr eingenommen | |
zu werden und mein „wahres“, rebellisches Ich zu verlieren. Im ersten | |
„Lindenstraßen“-Winter hatte unser Produktionsfahrer einen Unfall. Es war | |
Glatteis, der Volvo rutschte von der Straße und überschlug sich. Im Wagen | |
saßen „Gung“, der damalige Produktionsleiter und ich. | |
Glücklicherweise wurde niemand ernsthaft verletzt. Am nächsten Tag am Set | |
kam Geißendörfer (er hat die ersten Folgen selbst Regie geführt) auf mich | |
zu und sagte: „Ich bin ja so froh, dass dir nichts passiert ist.“ Ich | |
erwiderte schnippisch: „Meinst du jetzt mich oder ,Beate'?“ | |
## Für höhere Weihen verloren | |
Mit der Zeit passierte es natürlich doch – bei einer Dauerserie lässt sich | |
das schlecht vermeiden: Mein Leben und die „Lindenstraße“ vermischten sich | |
immer mehr. Mein damaliger Freund wurde Produktionsfahrer, einen Kumpel | |
brachte ich in der Requisite unter. Als Geißendörfer spitz bekam, dass ich | |
Saxofon lernte, begann auch „Beate“, Saxofon zu spielen. Ich spielte in | |
einer Band – „Beate“ ebenfalls. Und als „Beates“ Band einmal in der S… | |
zu sehen war (normalerweise verschwand „Beate“ zu den Proben im Off), | |
machte meine Band den Drehort klar (das legendäre Can-Studio in | |
Weilerswist) und meine Band-Kollegen bekamen kleine Nebenrollen. | |
Der „Lindenstraße“ war es auch zu verdanken, dass wir einmal einen Auftritt | |
in der Götz-Alsmann-Show hatten. Für den großen Durchbruch hat mein | |
B-Promi-Status aber leider nicht gereicht – Popstar wäre ich ganz gerne | |
geworden. Eine Karriere als Schauspielerin habe ich dagegen nie ernsthaft | |
in Erwägung gezogen. Vielleicht weil ich deutsche Film- und | |
Fernsehproduktionen schon immer zum großen Teil grauslich fand, Theater war | |
sowieso nie mein Ding. Zudem war mir recht früh klar, dass man als | |
Dauerserien-Darsteller für höhere Weihen quasi verloren ist. | |
Obwohl: Til Schweiger hat den Sprung ja geschafft. 1990 zog er mit der | |
Zenker-Familie in die „Lindenstraße“ – und ein, zwei Jahre später wurden | |
wir alle zu seiner ersten Film-Premiere eingeladen: „Manta, Manta“. Dann | |
verschwand er ziemlich plötzlich aus der Serie. | |
Später erzählte mir Geißendörfer, der Produzent Bernd Eichinger habe ihn | |
seinerzeit angefleht, Schweiger ganz schnell aus der „Lindenstraße“ | |
rauszuschreiben, denn er habe Großes mit dem jungen Mann vor. | |
## In der Kantine mit Rowohlt | |
Ich dagegen bin noch ein paar Jahre geblieben. Meine Lieblingsszene: Wie | |
„Beate“ und „Urszula“ dem bösen „Robert Engel“ aus Rache für irge… | |
Schweinerei eine Ratte auf den Allerwertesten tätowierten. Wir überfielen | |
ihn mit gezückten Pistolen, fesselten ihn ans Bett und beschimpften ihn | |
aufs Übelste – alles improvisiert. Gerne denke ich auch an die Gespräche in | |
der Kantine mit „Penner Harry“ Rowohlt zurück, Gott hab ihn selig. | |
Alles in allem muss ich der „Lindenstraße“ also wirklich dankbar sein. Sie | |
hat mein Studium (Politikwissenschaft, Philosophie, Geschichte) finanziert | |
und mir ein komfortables Leben ermöglicht. Nie musste ich mich wie andere | |
Studenten krummbuckeln. Was allerdings auch dazu führte, dass ich 20 | |
Semester bis zum Magister brauchte. | |
Als es so weit war und ich vereinbarungsgemäß aus der Serie aussteigen | |
sollte – ich hatte immer gesagt, nach dem Studium ist Schluss –, bekam ich | |
Muffensausen. Was wollte und könnte ich jetzt tun? Irgendwie war mir in all | |
den Jahren mein Ziel abhanden gekommen, falls ich je eines gehabt hatte. So | |
gaben mir die Produzenten zwei Jahre Aufschub, „Beate“ durfte noch einmal | |
auf die Kacke hauen und ihr WG-Leben mit heimlich installierten Webcams im | |
Internet preisgeben. Als das rauskam, wurde sie rausgeworfen. Schluss! | |
Das Leben ohne Serie war am Anfang nicht ganz leicht – aber schließlich | |
habe ich meinen Weg gefunden. Das Einzige, was ich heute bereue: Mein Opa | |
hatte all meine Auftritte vom Fernseher abfotografiert, einmal im Jahr | |
bekam ich ein Album mit körnigen Fotos, am Ende waren es mehrere | |
Regalmeter. Leider habe ich sie irgendwann alle weggeschmissen. | |
18 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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