# taz.de -- Mauern und Zäune um Europa: Neue Monumente der Angst | |
> Vor 29 Jahren fiel die Berliner Mauer. Seitdem sind Mauern und Zäune um | |
> Europa gebaut worden, die zusammen sechsmal so lang sind. | |
Bild: Mauern sollten das Staatsvolk einst einsperren, heute sollen sie es vor F… | |
Der vollendet verlogene Euphemismus, dass die DDR sich mit einem | |
„antifaschistischen Schutzwall“ umgeben habe, der, ganz nebenbei, den | |
„ungesetzlichen Grenzübertritt“ verhüten sollte, konnte sich nicht | |
durchsetzen. Auf ewig ist das Bild dieses Staates vielmehr verknüpft mit | |
dem Schießbefehl an der Berliner „Mauer“, die heute vor 29 Jahren geöffnet | |
wurde. | |
Ein Staat, der darauf angewiesen war, seine BürgerInnen einzusperren und | |
der das Verbot der Ausreise mit tödlicher Konsequenz durchsetzte – so | |
disqualifizierte sich der Realsozialismus in den Augen des Westens. [1][Die | |
Mauer war das Sinnbild der Unfreiheit], der Westen inszenierte sich als | |
deren Gegenbild, nicht zuletzt durch den Abbau von Grenzen innerhalb | |
Westeuropas – dem Schengen-Raum. | |
Die Mauern in Europa aber sind nach 1989 nicht verschwunden. Im Gegenteil. | |
Das Zentrum für Friedensforschung an der Universität von Valencia und das | |
Transnational Institute haben in einer Studie untersucht, wie viele | |
„befestigte Grenzanlagen“ seither im oder um den Schengen-Raum errichtet | |
wurden. | |
Die Antwort: 990,1 Kilometer Zaun und Mauern haben 10 der 28 EU-Staaten | |
gebaut, die meisten davon [2][entstanden im Jahr der Balkanroute, 2015]. | |
Schon heute sind die Anti-Flüchtlings-Mauern zusammen rund sechsmal so lang | |
wie einst die 160 Kilometer messende Berliner Mauer. Und dabei wird es | |
nicht bleiben. | |
Mit ihrer Grenzanlage wollte die DDR ihre eigenen BürgerInnen einsperren. | |
Europa verbietet das heute: In der Europäischen Menschenrechtskonvention | |
etwa heißt es: „Jeder Person steht es frei, jedes Land, einschließlich des | |
eigenen, zu verlassen“, fast gleichlautend formuliert es die Allgemeine | |
Erklärung der Menschenrechte. Die neuen Mauern haben einen anderen Zweck: | |
Sie sollen nicht die Ausreise, sondern die Einreise verhindern. | |
Denn ein vergleichbares universelles Recht auf Einreise gibt es nicht. Die | |
Genfer Flüchtlingskonvention aber verpflichtet ihre Unterzeichner, | |
Schutzsuchende nicht abzuweisen. Genau das aber versuchen viele Staaten | |
Europas heute immer konsequenter. Die DDR trieb die Angst vor dem Verlust | |
ihres Staatsvolks um. Darin ähneln ihr die Mauerbauer von heute, [3][etwa | |
der ungarische Präsident Viktor Orbán] und seinesgleichen: Sie fürchten um | |
das, was sie für ethnische Reinheit halten, was für sie das Volk an sich | |
ausmacht. | |
So errichten auch sie Monumente der Angst – Symbole für die wachsende | |
Furcht vor den Fremden einerseits und Orte des Schreckens andererseits für | |
die, die darauf angewiesen sind, sie passieren zu müssen. Denn für sie sind | |
die neuen Grenzanlagen – genau wie für die Ostflüchtlinge einst der Eiserne | |
Vorhang – Orte, an denen sie nicht nur mit Misshandlung, Verhaftung und | |
Internierung rechnen müssen. | |
Es sind auch Orte, an denen sehr wohl immer wieder geschossen wird. Einen | |
expliziten „Schießbefehl“, wie ihn die DDR-Grenzer hatten, gibt es dafür | |
heute nicht. Doch ob das so bleibt, ist nicht gesagt. | |
9 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Essay-zum-Mauer-Zirkeltag/!5482135 | |
[2] /Auf-der-Balkanroute/!5506936 | |
[3] /Ungarn-trotzt-dem-EU-Parlament/!5537239 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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