# taz.de -- Koch über Gemeinschaftsverpflegung: „Kantinenbashing ist Volkssp… | |
> Patrick Wodni wechselte vom Sterne-Restaurant in eine Krankenhaus-Küche. | |
> Ein Gespräch über die Angst vor „Hasenfutter“, Googles Kantinen und gut… | |
> Essen. | |
Bild: Kantinenkochen ohne Convenience Food: Patrick Wodni in der Klinik Havelh�… | |
taz am wochenende: Herr Wodni, diese Geschichte ist wohl einzigartig: Ein | |
Koch, der es in jungen Jahren schon in ein Berliner Sternerestaurant | |
geschafft hat, wechselt in ein anthroposophisches Krankenhaus, um dort für | |
die Patienten zu kochen. Sind Sie verrückt? | |
Patrick Wodni: Die Geschichte klingt nur verrückt, wenn man sie so kurz | |
erzählt. | |
Und die Langfassung? | |
In der Langfassung war meine Station beim Nobelhart & Schmutzig nur eine | |
kurze Episode in meiner Kochlaufbahn. Ich beschäftige mich schon seit | |
Jahren mit guter Gemeinschaftsverpflegung, mit der Frage, wie man bio und | |
preiswert auch für viele Leute kochen kann. | |
Aber wenn man einmal in der obersten Liga des Kochens angekommen ist, will | |
man dann nicht dort bleiben? | |
Mir hat das nie etwas gegeben zu sagen: Hey, ich arbeite in dem und dem | |
Restaurant. Und alle so: Wow. Ich habe ein besseres Gefühl, wenn ich nach | |
Feierabend in der Umkleide stehe und mir sagen kann: Okay, ich habe heute | |
irgendwie ein saugutes Essen für fünfhundert Patienten oder tausend Kinder | |
gemacht. | |
Nun hat Kantinenessen einen ziemlich miesen Ruf … | |
Ja, Kantinenbashing ist Volkssport. Ich denke da an die Simpsons. Da steht | |
eine dicke, rauchende alte Frau und klatscht undefinierbaren Brei auf ein | |
Tablett. Das ist das Bild. | |
Gemeinschaftsverpflegung wird ein immer wichtigeres Thema, egal ob in der | |
Kita, in Schulen, in Mensen oder im Krankenhaus. Warum ist das so? | |
Das Interesse an guter Ernährung und Essen ist so groß wie noch nie zuvor. | |
Gleichzeitig sind so wenig Menschen wie nie zuvor dazu bereit, das selbst | |
zu machen. Kantinenessen macht einen immer größeren Teil dessen aus, was | |
die meisten täglich essen. | |
Und was ist daran das Problem? | |
Das Hauptproblem ist, dass man in vielen Kantinen mit extrem wenig Geld und | |
natürlich auch relativ wenig personellen Ressourcen etwas schaffen soll, | |
was der Kunde dann am Ende gerne isst. | |
Aber wandeln sich die Kantinen nicht? | |
In vielen Kantinen wird versucht, das, was man schon immer gemacht hat, | |
irgendwie anders anzumalen, gesünder zu verkaufen. Aber letztlich ändert | |
sich meiner Meinung nach nicht so viel, gerade in Großküchen mit einem | |
hohen Convenience-Food-Anteil, wo Köche von ihrem Handwerk total entfremdet | |
sind. Da wird kein Brot mehr gebacken, keine Zwiebeln werden mehr | |
geschnitten. Alles ist vorbereitete Tiefkühlware. | |
Was ist das gute Essen, das Sie sich vorstellen? | |
Ich habe zum Beispiel inzwischen eine ganz andere Vorstellung von | |
Lebensmittelqualität als die, die mir in der Berufsschule beigebracht | |
wurde. Dort lernt man: Das Zeug muss makellos aussehen und die und die Form | |
haben. Aber man lernt ganz wenig über den Geschmack. Das ist der deutsche | |
Gaumen: Alles soll schön aussehen, egal ob es mittelmäßig schmeckt. | |
Wie haben Sie im Berliner Krankenhaus Havelhöhe die Patientenverpflegung | |
umgekrempelt, dass es dort nun krummes Gemüse gibt und keine Tiefkühlware? | |
Es hat mich vor allem eine Menge Gespräche gekostet, mit den Patienten, den | |
Köchen und auch neuen Zulieferern. Eigentlich hatte jeder ein | |
Mitspracherecht. | |
Sie haben sich als Erstes ein Netzwerk aus kleinen Produzenten | |
zusammengestückelt. | |
Ja, und da hat mir auch meine Erfahrung aus dem „Nobelhart & Schmutzig“ | |
geholfen. | |
Die Küche dort nennt sich „brutal lokal“ … | |
Das ist ja nicht einfach nur ein Sternerestaurant, sondern es arbeitet | |
inzwischen mit über fünfzig Produzenten aus der Berliner Umgebung zusammen. | |
Wann wussten sie, dass die Sache im Krankenhaus Havelhöhe gelingen kann? | |
Zum Beispiel als ich sah, wie Köche und Produzenten sich unterhielten, wenn | |
angeliefert wurde. Es ist was anderes, ob ein Kühllaster kommt oder der | |
Fischer. Einer der Köche angelte gern und irgendwann saßen die beiden im | |
Büro und unterhielten sich stundenlang über Angeln. Auf einmal war der | |
immer ganz aufgeregt, wenn der Fisch kam. Wenn ein Gesicht und ein | |
Bezugspunkt da ist, fassen die Köche die Ware ganz anders an. | |
Und die Patienten? | |
Die haben wir auch mit eingebunden. Die Umstellung durfte nicht mehr | |
kosten, ich hatte nur 4,74 Euro pro Patient und Tag. Wenn man da mit guten | |
Zutaten kochen will, bedeutet das: weniger Fleisch. Klar gab es Widerstand | |
gegen das ganze „Hasenfutter“. Aber dann zeigte sich, viele Patienten | |
kannten die Gerichte einfach nicht. Ich hatte am Anfang die Originaltitel | |
auf den Speiseplan geschrieben und die Gerichte mit der Zeit immer mehr | |
eingedeutscht. Das hat viele Schwellenängste beseitigt. Und wenn ich | |
erklärt habe, wir wollen Fleisch in guter Qualität anbieten, aber weil das | |
kostet, gibt es eben weniger, hat niemand gesagt: Wie blöd. | |
Eine gute Kantine in der Schule, in der Kita, im Büro. Das könnte doch auch | |
ein sehr gutes Marketinginstrument sein. | |
Die Einzigen, die das wirklich so nutzen, sind Großkonzerne: Dropbox, | |
Google, Microsoft haben in den USA inzwischen alle | |
Superhightech-Monsterkantinen. Die geben aber auch pro Tag und Mitarbeiter | |
knapp dreißig Dollar für das Essen aus. Ich glaube nicht, dass das ein | |
Vorbild sein kann. Die Mitarbeiter sollen die Erfahrung machen, wenn sie | |
auswärts essen gehen: Schmeckt nur halb so gut wie in der Arbeit und dort | |
ist es noch umsonst. So entsteht keine Wertschätzung für gutes Essen. | |
Nicht? | |
So bindet man nur Mitarbeiter. Und im Endeffekt wird auch dort mit | |
Großlieferanten zusammengearbeitet und nicht auf die Herkunft der Zutaten | |
gesehen. Es geht darum, das Eigeninteresse an unserem täglichen Essen zu | |
fördern | |
5 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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