# taz.de -- Interview mit Pilzexpertin: „Auch im Volkspark findet man Pilze“ | |
> Giftig oder essbar? Pilzsachverständige Tamara Pilz Hunter über | |
> zweifelhafte Methoden zur Giftbestimmung und ein ganz besonderes | |
> Hühnchen. | |
Bild: In diesem Herbst sind die Böden in Brandenburgs Wäldern extrem trocken … | |
taz: Frau Pilz Hunter, Sie sind Pilzexpertin und seit März eine der ersten | |
vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) geprüften Pilzsachverständigen | |
in Berlin. Zunächst mal eine ganz blöde Frage: Pilz Hunter, ist das ein | |
Pseudonym? | |
Tamara Pilz Hunter: (lacht) Nein, das ist mein echter Name. Ich bin eine | |
geborene Hunter, mein Vater ist Engländer. Später habe ich meinen Mann | |
geheiratet, und der heißt nun mal Pilz. Ich habe mir lange keine Gedanken | |
darüber gemacht, aber jetzt bin ich sozusagen bei meiner Berufung | |
angekommen. Als ich mich beim BUND für den Pilz-Kurs anmelden wollte, | |
dachten die erst, ich verarsche sie. | |
Haben Pilze Sie schon immer fasziniert? | |
Überhaupt nicht! Bei anderen Leute liegt das ja in der Familie, die haben | |
schon mit Oma Pilze gesammelt, bei mir war das nicht so. Ich habe 30 Jahre | |
in Israel gelebt und mit meinem Mann ein Stück Land bewirtschaftet, also in | |
einer Region, in der unter natürlichen Bedingungen kaum Pilze wachsen. Wir | |
haben aber welche gezüchtet, vor allem sogenannte Vital- oder Heilpilze, | |
wie sie in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet werden. Als | |
wir nach Deutschland gezogen sind, habe ich zum ersten Mal an einer | |
Pilzexkursion teilgenommen. Da hat mich das Thema in seinen Bann gezogen. | |
Was machen Sie denn nun als geprüfte Pilzsachverständige? | |
Ich bin dazu qualifiziert, Pilze zu bestimmen, wobei die Unterscheidung von | |
giftigen und essbaren Pilzen ein zentraler Aspekt ist. Natürlich kann ich | |
nicht alle Arten kennen, allein in Europa gibt es ungefähr 5.000 | |
verschiedene Großpilze. Mit den Pilzgiften und den Symptomen, die sie beim | |
Menschen verursachen, kenne ich mich aus, bei einer Pilzvergiftung kann ich | |
also einen Arzt beraten. Zur Ausbildung gehören aber auch Fragen der | |
Ökologie und Soziologie der Pilze: Auf welchen Böden kommen sie vor, wovon | |
ernähren sie sich, in welchen Pflanzengemeinschaften leben sie? | |
Bestimmte Pilze wachsen immer in der Nähe von bestimmten Bäumen, richtig? | |
Genau, das hängt von ihrer Ernährungsform ab. Es gibt die Symbiosepilze, | |
auch Mykorrhiza genannt, die mit Bäumen zusammenleben, was uns auch bei der | |
Bestimmung hilft. Wir finden das vor allem auf nährstoffarmen Böden, da | |
erleichtern die Pilze den Bäumen die Aufnahme von Nährstoffen, weil ihr | |
Myzel viel tiefer und weiter verzweigt ist als das Wurzelsystem des Baumes. | |
Die Bäume geben den Pilzen wiederum etwas, was diese nicht erzeugen können: | |
Kohlenhydrate. Von dem Handel profitieren beide. Wenn sich jetzt übrigens | |
der Boden verändert, etwa weil durch Landwirtschaft Nährstoffe eingetragen | |
werden, beobachten wir auch einen Rückgang dieser Pilze. Anderen macht das | |
nichts aus, etwa den parasitischen Pilzen, die auf Bäumen leben, und den | |
saprophytischen, die auf totem Holz gedeihen. | |
Sie kennen sich ziemlich gut aus, war die Prüfung schwierig? | |
Schwierig und umfangreich. Als ich die Prüfungsordnung gesehen habe, dachte | |
ich, das sei gar nicht zu schaffen. Aber ich habe fleißig gelernt. (lacht) | |
Neben der schriftlichen Prüfung über die Themen, die ich gerade erwähnt | |
habe, gab es auch eine simulierte Pilzberatung: Da bekommen Sie einen Korb | |
mit 20, 30 verschiedenen Pilzarten und müssen sie klassifizieren. Dabei | |
darf man auch mal einen Pilz nicht erkennen, nur dürfen Sie den dann auch | |
nicht zum Verzehr freigeben. | |
Und wer wendet sich so an die Pilzsachverständige? | |
Wie gesagt, bei Vergiftungsfällen sind wir Ansprechpartner für Ärzte. Wir | |
bieten auch pilzkundliche Exkursionen und Infoveranstaltungen an, vor allem | |
im September und im Oktober sind wir praktisch jedes Wochenende unterwegs. | |
Gerade erst haben mein Kollege und ich eine Gruppe von fast dreißig | |
Personen durch den Wald bei Schloss Dammsmühle geführt. Bei den Exkursionen | |
ist der Naturschutz ein wichtiger Punkt: Wie schaden wir dem Ökosystem | |
möglichst wenig, wenn wir Pilze sammeln gehen? Ich zeige den Leuten aber | |
auch, wie man Pilze richtig zubereitet und lagert. Viele Vergiftungen | |
kommen davon, dass Pilze falsch gelagert wurden. Das sind dann | |
Eiweißvergiftungen, ähnlich wie bei verdorbenem Fleisch. | |
Wie häufig sind denn Pilzvergiftungen? | |
Genaue Zahlen habe ich nicht vorliegen, aber es kommt regelmäßig zu | |
Vergiftungen aller Grade. Das reicht von einfachem Bauchweh bis hin zu | |
gefährlichen Nieren-, Nerven- oder Leberschäden. Manchmal endet so eine | |
Vergiftung mit einer Lebertransplantation. Ich habe letztens eine WG | |
kennengelernt, die haben zusammen ein Pilzgericht gegessen und mussten | |
anschließend alle zur Magenspülung ins Krankenhaus. | |
Haben Sie sich selbst schon mal vergiftet? | |
Nein, nie. Ehrlich gesagt: Als ich mit dem Lernen anfing, habe ich erst mal | |
aufgehört, Pilze zu essen. Ich hatte gar nicht gewusst, wie gefährlich das | |
sein kann. (lacht) Selbst den Champignon im Supermarkt habe ich skeptisch | |
angeschaut. Inzwischen esse ich aber wieder gerne eine gute Pilzpfanne. | |
Wobei mich an Pilzen ja bei Weitem nicht nur das Essen interessiert. | |
Ich kenne mich wenig mit Pilzen aus, weiß aber, dass es immer wieder zu | |
folgenschweren Verwechslungen kommt, etwa beim berüchtigten | |
Knollenblätterpilz. Stimmt es, dass unkundige Sammler den mit einem | |
Champignon verwechseln können? | |
Ja, und das ist wirklich schade, denn es gibt klare | |
Unterscheidungsmerkmale. Wenn man die kennt, verwechselt man diese Pilze | |
nicht. Lernen ist eben die beste Versicherung. | |
Kann man eigentlich an irgendwelchen allgemeinen Merkmalen erkennen, ob ein | |
Pilz giftig ist? | |
Nein, kann man nicht. Der Grüne Knollenblätterpilz hat zum Beispiel einen | |
süßlichen und rosenartigen Geruch, wenn er jung ist, und er soll sogar | |
angenehm nussig schmecken. Natürlich habe ich ihn nie gekostet. Umgekehrt | |
riechen andere Pilze im rohen Zustand nicht so angenehm, sind aber nach dem | |
Kochen gut essbar. Zum Beispiel Heringstäublinge, die riechen fischig, wie | |
der Name schon verrät. Bei der Farbe fällt mir jetzt der Gemeine | |
Schwefelporling ein, der meist auf Laubbäumen wächst und eine starke | |
gelb-orange Färbung hat. Da würde mancher vielleicht denken, dass der | |
ungenießbar ist. Tatsächlich ist er gebraten essbar und sehr lecker, ein | |
richtig toller Fleischpilz, aus dem ich herrliche Schnitzel machen kann. Im | |
Englischen wird er nicht umsonst „Chicken of the Woods“ genannt. Auch | |
andere volkstümlichen Methoden sollte man nicht anwenden, wenn es um die | |
Essbarkeit geht. | |
Welche sind das denn? | |
Ach, da gibt es eine Menge. Es gibt Leute, die schwören darauf, einen | |
Silberlöffel mitzukochen. Wenn der sich verfärbt, soll das zeigen, dass der | |
Pilz giftig ist. Sich an solchen Regeln zu orientieren, ist | |
lebensbedrohlicher Unsinn. Der einzige sichere Schutz vor Vergiftungen ist, | |
Gattung und Art des Pilzes sicher zu kennen. | |
Die diesjährige Saison soll ausgesprochen schlecht sein, weil es so heiß | |
und trocken war. | |
Na ja, wenn man über Speisepilze spricht, kann man das sagen, da sind | |
dieses Jahr tatsächlich sehr wenige gekommen. Aber genau deswegen müssen | |
wir jetzt bei unseren Exkursionen viel genauer hingucken und finden Sachen, | |
die wir bei einem großen Angebot nie gesehen hätten. Das ist total | |
interessant. Deswegen würde ich persönlich nicht von einer schlechten | |
Saison sprechen. | |
Welche Speisepilze gedeihen gut in unserer Region? | |
Berlin und Brandenburg haben meist saure Böden, da finden wir bevorzugt | |
Butterpilz, Steinpilz, Pfifferling, Edelreizker, Champignon, Rotkappen, | |
Maronen oder die Krause Glucke mit ihrem hirnartigen Aussehen, die auf | |
Bäumen wächst und sich gut für Suppen eignet. Auch Pilze aus der Gattung | |
der Boviste, darunter gibt es sehr leckere essbare. Ich habe mal einen | |
riesigen weißen Fußball gefunden und Schnitzel daraus gemacht! Und alle | |
Pilze, die auf Bäumen wachsen, wie der Austern-Seitling, der Hallimasch, | |
der Schwefelporling, über den wir schon gesprochen haben. Wir geben bei den | |
Exkursionen übrigens auch Rezepte aus. | |
Wie weit muss ich aus Berlin rausfahren, um schmackhafte Pilze zu finden? | |
Überhaupt nicht! Letztes Jahr bin ich jeden Morgen mit Pilzen heimgekommen, | |
wenn ich mit meinem Hund im Volkspark Friedrichshain spazieren war. Auf | |
einem Holunderstrauch habe ich das Judasohr gefunden, einen Verwandten des | |
Mu-Err. Ich liebe den, obwohl er fast keinen Eigengeschmack hat, aber eine | |
interessante, knorpelige Konsistenz. Ich habe schon überlegt, mal eine | |
Exkursion in der Stadt zu machen, die Leute gehen sonst einfach vorbei und | |
verpassen was. | |
Gibt es Pilze, die nur an speziellen Standorten vorkommen? | |
Ja, gibt es. Zum Beispiel den Ästigen Stachelbart, der sehr gut schmeckt | |
und als Saprophyt auf Totholz wächst. Allerdings bevorzugt auf Buchen. Weil | |
in Brandenburg lange fast nur Kiefern angepflanzt wurden, gibt es hier aber | |
nicht allzu viele Buchen – und weil Buchenholz teuer ist, lässt es auch | |
niemand im Wald verrotten. Jetzt finden wir den Stachelbart vor allem in | |
Naturschutzgebieten, und da dürfen wir ihn natürlich nicht sammeln. | |
Kennen Sie gute Pilzstandorte, die Sie lieber für sich behalten? | |
(lacht) Ich weiß, dass viele Sammler ihr Wissen nicht verraten, aber ich | |
teile gerne mit, was ich weiß, und freue mich, wenn auch andere sich | |
freuen. | |
29 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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