# taz.de -- Urteil zu Schadensersatz nach Arztfehler: Hausbau für behindertes … | |
> Das OLG Frankfurt entscheidet: Ärzte müssen bei einer fehlerhaften | |
> Betreuung auch Kosten für einen barrierefreien Neubau übernehmen. | |
Bild: Die Eltern hatten nach Geburt ihres Kindes geklagt | |
Eltern, die wegen eines Arztfehlers ein behindertes Kind bekommen, können | |
als Schadensersatz auch Kosten für den Bau eines behindertengerechten | |
Hauses verlangen. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main | |
in einem jetzt veröffentlichten Urteil. | |
Die Ärzte hatten in dem Fall auf Wachstumsverzögerungen im Mutterleib | |
unzureichend reagiert und nicht die notwendigen Folgeuntersuchungen | |
vorgenommen. Deshalb blieb zunächst unerkannt, dass das Kind den Gendefekt | |
Trisomie 18 aufwies. Das Mädchen wurde dann mit schweren körperlichen | |
Beeinträchtigungen geboren. Es konnte seinen Oberkörper und Kopf nicht | |
eigenständig halten, weder essen noch krabbeln und erst recht nicht laufen. | |
Vor allem nachts litt das Kind unter massiven Unruhezuständen. Die Eltern | |
waren sich sicher, dass sie die Schwangerschaft abgebrochen hätten, wenn | |
die Ärzte sie richtig betreut hätten. | |
Dass die Ärzte im Prinzip schadensersatzpflichtig sind, hatte bereits das | |
Landgericht Wiesbaden 2014 festgestellt. Im jetzigen Prozess ging es nur | |
noch um die Höhe der Kompensation. Umstritten war dabei, ob die Ärzte (bzw. | |
ihre Versicherungen) auch für die Finanzierungskosten eines | |
behindertengerechten Hausbaus in mittlerer fünfstelliger Höhe aufkommen | |
müssen. | |
Die Eltern argumentierten, dass sie einen ebenerdigen Zugang für das Kind | |
bräuchten. Es sie ihnen nicht zuzumuten, das größer werdende Kind, das nie | |
selbständig laufen werde, ständig in ihre Eigentumswohnung hochzutragen. | |
Auch der Umzug in eine ebenerdige Wohnung sei nicht sinnvoll, weil das Kind | |
nachts so unruhig sei, dass Ärger mit den Nachbarn vorprogrammiert wäre. | |
Mit dem nächtlichen Schreien eines gesunden Kindes sei dies nicht zu | |
vergleichen. Die Eltern hätten nach der Geburt eines zweiten Kindes auch | |
nicht sowieso ein Haus gebaut, denn ihre bisherige Wohnung wäre auch mit | |
zwei Kindern groß genug gewesen. Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hielt | |
die Argumentation der Eltern für überzeugend und sprach ihnen deshalb auch | |
die Zinskosten für das Immobiliendarlehen zu. (Az.: 8 U 181/16) | |
## Für die Folgen einstehen | |
Im konkreten Fall ging es also nur noch um Details. Dass Eltern den | |
Unterhalt für ein ungewollt geborenes Kind als Schadensersatz verlangen | |
können, wenn ein Arztfehler die Ursache war, hat der Bundesgerichtshof | |
schon 1980 entschieden. Damals ging es um eine falsch ausgeführte | |
Sterilisation. 1983 erweiterten die Bundesrichter diesen Ansatz auf | |
unterbliebene Abtreibungen. Ein Arzt hatte damals nicht erkannt, dass die | |
Schwangere an Röteln erkrankt war, worauf sie ein schwer behindertes Kind | |
gebar. | |
In den 1980er und 1990er-Jahren sorgten solche Urteile unter den | |
Stichworten „Kind als Schaden“ oder „wrongful life“ für heftige Diskus… | |
Kritiker sagten: „Ein Kind kann nie ein Schaden sein“. Selbst der Zweite | |
Senat des Bundesverfassungsgerichts machte sich diese Sicht (in einer | |
Nebenbemerkung seines Abtreibungs-Urteils von 1993) zu eigen. Doch der | |
zuständige Erste Senat des Verfassungsgerichts entschied den Streit 1997 im | |
Sinne der bisherigen BGH-Linie: Nicht das Kind sei der Schaden, sondern die | |
Unterhaltsverpflichtung. Wer als Arzt eine Sterilisation durchführe oder | |
Schwangere berate, müsse eben sorgfältig arbeiten, sonst habe er für die | |
Folgen einzustehen. | |
2 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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