# taz.de -- Konferenz zu Accessible Yoga: Entspannt euch, es ist nur Yoga! | |
> Dicke, körperlich eingeschränkte oder kranke Menschen werden beim Yoga | |
> häufig ausgeschlossen. Eine Bewegung aus den USA will das ändern. | |
Bild: Yoga bedeutet nicht nur sexy Posen im Sonnenaufgang | |
RHEINSBERG taz | Dörte atmet tief durch die Nase ein und bringt ihre Hände | |
über den Kopf. Sie reckt und streckt ihren Körper, atmet aus und geht in | |
eine tiefe Vorbeuge. Atmet ein und tritt zurück, bringt ihre Knie und den | |
Oberkörper zum Boden, atmet ein, streckt den Oberkörper in eine Rückbeuge | |
und wechselt bei der Ausatmung in den herabschauenden Hund. Es ist der | |
erste Teil des Sonnengrußes, Millionen von Menschen üben ihn jeden Tag auf | |
der Welt. Aber Dörte besitzt einen dicken Körper – und das passt für viele | |
nicht in das Bild eines Yogis. | |
Eine kurze Recherche in sozialen Medien zeigt ein einheitliches Bild von | |
denen, die Yoga praktizieren. Knapp 60 Millionen Nutzer*innen posten unter | |
dem Hashtag #yoga auf Instagram und die Körper der Yogis entsprechen bis | |
auf wenige Ausnahmen einem Typus: Sie sind jung, weiß, weiblich, sehr | |
schlank und sehr flexibel. | |
Hier setzt Accessible Yoga an, eine Graswurzel-Bewegung aus den USA, deren | |
Unterstützer*innen sich am vergangenen Wochenende auf einer Konferenz im | |
brandenburgischen Rheinsberg trafen. Anliegen von Accessible Yoga ist die | |
Inklusion all jene*r, die bislang wenig oder keinen Zugang zu Yogaklassen | |
finden: Menschen mit körperlichen oder psychischen Erkrankungen, Alte oder | |
Dicke, Menschen in Rollstühlen und People of Color. Motto der Bewegung: „If | |
you have a mind and a body, you can do yoga“(dt. Wenn du Geist und Körper | |
hast, kannst du Yoga machen). Ist doch klar, könnte man meinen. | |
„Wir wollen nicht weniger als eine Revolution anzetteln, eine innere und | |
eine äußere“, erklärt Gründer Jivana Heyman. Die innere sei es, die | |
Philosophie des Yoga zu nutzen, um Glück und Gelassenheit im Leben zu | |
finden. [1][Ihr Grundgedanke ist radikal antikapitalistisch], im Zentrum | |
steht die Vergänglichkeit aller Dinge, die Streben nach Geld oder Prestige | |
geradezu lächerlich erscheinen lässt. Äußere Revolution heißt für Heyman, | |
eine soziale Bewegung zu sein, die der Kommerzialisierung von Yoga Grenzen | |
setzt und die Vorstellung wandelt, wer Yoga üben und unterrichten kann und | |
wie ein Yogi aussieht. | |
Heyman selbst ist über den Tod zum Yoga kommen. Der Amerikaner hatte sein | |
Coming-out inmitten der Aids-Epidemie der 80er Jahre. Er lebte in San | |
Francisco und musste zusehen, wie seine Freund*innen um ihn herum | |
reihenweise erkrankten und starben. Voller Wut ging er auf die Straße, | |
kettete sich an Metro-Züge. Die Wut, erzählt er, brachte ihn nicht weiter, | |
seine Freunde starben weiter. [2][Er begann in einem Hospiz zu arbeiten und | |
dort Yoga zu unterrichten.] „Tod und Krankheit sind für mich schon mit | |
Mitte 20 ganz normal gewesen“, erzählt der 51-Jährige. | |
Im Seehotel in Rheinsberg, einem barrierefreien Domizil, haben sich 100 | |
Teilnehmer*innen und 18 Speaker*innen versammelt, um in Workshops und | |
Vorträgen von ihrer Arbeit zu berichten, sich zu vernetzen und Yoga zu | |
machen. Fast alle Teilnehmer*innen sind selbst Lehrer*innen, manche kommen | |
in Rollstühlen, andere tragen weniger sichtbare Versehrtheiten mit sich. | |
Aus ganz Europa und den USA sind die Teilnehmer*innen angereist, die | |
Konferenz wird in drei Sprachen simultan übersetzt. Wie im Yoga üblich, | |
sind deutlich mehr Frauen* als Männer* gekommen, viele haben das Alter von | |
50 Jahren überschritten. Statt knapp sitzenden Tops dominieren gemütliche | |
Zwiebellagen und warme Socken. | |
Vorträge und Workshops gibt es zu den verschiedensten Themen, etwa zur | |
Sichtbarkeit von People of Color im Yoga, zur Arbeit mit autistischen | |
Kindern, zum Nutzen von Yoga für Menschen mit Psychosen oder der medialen | |
Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen. | |
## Yoga auf dem Stuhl | |
Noch vor dem Frühstück bittet Liz Oppedijk zum Chair Yoga: Get fit where | |
you sit (dt. Werde fit, wo du sitzt) ist ihre Devise. Die quirlige | |
Engländerin mit einem grauen Lockenschopf kam erst in ihren 50ern nach | |
einer Verletzung zum Yoga. „Wir sehen immerzu junge und fitte Menschen Yoga | |
machen. Aber gerade Ältere können immens von einem sanften Programm | |
profitieren“, erklärt Oppedijk. Auf einem Stuhl zu sitzen und zu meditieren | |
mag noch gut vorstellbar sein. Doch wie geht eigentlich ein Sonnengruß auf | |
einem Konferenz- oder im Rollstuhl? Und wie bringt man seinen Körper von | |
einer Position in die nächste, ohne dass der Allerwerteste von der | |
Sitzfläche rutscht? | |
Yoga hat in seiner Sanskrit-Übersetzung viele Bedeutungen, aber eine der | |
meist genutzten ist das Beruhigen des Geistes. Vom Ursprung gedacht hat die | |
Technik wenig damit zu tun, seinen schlanken, leicht bekleideten Körper am | |
Strand in Stellung zu bringen, eine Leggins mit sichtbarem Label in die | |
Kamera zu halten, seinen Fuß hinter den Kopf zu klemmen und das Ganze auf | |
Instagram zu posten. | |
Fast immer werden diese Bilder mit Botschaften konterkariert, die innere | |
statt äußere Flexibilität propagieren und von dem irrenden Streben nach | |
Perfektionismus erzählen, doch alles unter dem Label der Body Positivity. | |
Die Bild-Text-Schere könnte nicht größer sein, denn von Lebenskrisen, | |
inneren und äußeren Verletzungen ist lediglich zu lesen, während die Bilder | |
in sozialen Medien Yogis zeigen, die mit ihren fortgeschrittenen Übungen | |
auch im Cirque du Soleil auftreten könnten. | |
Wie lässt sich ein Hexenschuss auch ordentlich in Szene setzen? Wie mit | |
Innenmeniskusriss posieren? Beides sind häufige Verletzungen im Yoga. Der | |
Vortrag des Berliner Orthopäden Günter Niessen, der sich auf Yoga | |
spezialisiert hat, handelt dann auch von Verletzungsprävention im Yoga. | |
Von einer anderen Form der Unsichtbarkeit kann Donna Noble erzählen: „Ich | |
war oft die einzige Woman of Color in meinen Yogastunden – dabei war ich | |
die Lehrerin“, erzählt die Londoner*in, die ein spezielles Programm für | |
dicke Frauen entwickelt hat. Immer wieder seien Freund*innen zu ihr | |
gekommen. „Sie wollten gerne Yoga machen, trauten sich aber nicht, weil sie | |
sich zu dick, zu ungelenk, zu unsportlich fühlten oder nicht genügend Geld | |
für die schicken Studios hatten.“ | |
## Zu dicke Schenkel für Yoga | |
Eine Teilnehmer*in von Nobles Workshop in Rheinsberg erzählt, dass sie nach | |
ihrem gerade beendeten Teacher Training noch größere Probleme mit ihrem | |
Körper habe. Von ihrer Lehrer*in sei sie wie eine Außenseiterin behandelt | |
worden, nach dem Motto: Du und deine dicken Schenkel können diese | |
Alternative versuchen, wenn’s anders nicht klappt. | |
Yogalehrerin Noble hört solche Geschichten ständig. Ihr Programm | |
„Curvesomeyoga“ will darum einen geschützten Raum bieten, der die | |
Grundidee des Yoga – also den Geist zur Ruhe bringen – ermöglichen soll, | |
ohne dass die Kursteilnehmer*innen darum fürchten müssen, dass jemand | |
anderes im Raum über die Ästhetik urteilt, während sie in der Yogaposition | |
des abwärtsschauenden Hundes sind. | |
Die Body-Positivity-Bewegung sieht Noble zwiespältig. Für große Firmen und | |
Marken der Yogaszene sei es leicht, sich eine Aktivist*in einzukaufen und | |
habe maximalen Effekt, ohne dass sich die Firmenpolitik ändere. Aber | |
natürlich erhöhen Partnerschaften die Repräsentation. | |
An vielen Geschichten auf der Konferenz wird deutlich, dass Inklusion nicht | |
immer Ziel sein kann. Manche Gruppen brauchen geschützte Räume für sich, in | |
denen sie ihre Körper spüren und kennenlernen und Freude an Bewegung | |
empfinden können. | |
„Wir werden nie eine Massenbewegung sein“, sagt auch Gründer Jivana Heyman. | |
Doch die Gruppe wächst, die Konferenz findet bereits im sechsten Jahr in | |
Folge statt, nach Stationen in den USA und Kanada fand sie zum ersten Mal | |
ihren Weg nach Europa und Deutschland. Seit einigen Jahren hat Accessible | |
Yoga ein eigenes Teacher Training Programm, mehr als 20 Facebook-Gruppen in | |
zehn Sprachen und weltweit Unterstützer*innen. | |
Dass Shannon Roche von der Yoga Alliance, dem Weltverband der | |
Yoga-Lehrer*innen, nach Rheinsberg gekommen ist, zeigt, dass auch die | |
Yogawelt langsam Interesse an Diversität entwickelt. Und wenn es nur ist, | |
weil die Überrepräsentanz Hunderttausender hyperflexibler Yogis | |
sterbensöde ist. | |
23 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Zu-Besuch-im-Osho-Resort-in-Indien/!5473491 | |
[2] /40-Jahre-taz-Konflikte-entschaerfen/!5538766 | |
## AUTOREN | |
Anne-Sophie Balzer | |
## TAGS | |
Yoga | |
Diversity | |
Leben mit Behinderung | |
Kongress | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
fat shaming | |
Trendsport | |
Yoga | |
Yoga | |
Yoga | |
Ruhrtriennale | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fatshaming trifft vor allem Frauen: Deine Mudder ist so fett | |
Frauen, die nicht dünn sind, bekommen oft hässliche Kommentare zu hören. | |
Wieso maßen sich Menschen das Recht an, den Körper anderer zu beurteilen? | |
Parkour: mehr als filmbares Spektakel: Springen, um zu lernen | |
Die Schule ParkourOne nutzt den Sport als Bildungskonzept. Das soll | |
Selbstverantwortung, Teamwork, Problemlösung lehren. | |
Ein Insider erklärt den Yogaboom: „Ich möchte kein Guru sein“ | |
Der Bremer Yogalehrer Klaus Busch unterrichtet die Bewegungskunst seit über | |
20 Jahren. Anders als viele seiner Kolleg*innen hält er sie nicht für ein | |
Allheilmittel. | |
40 Jahre taz: Yoga und Meditationstechnik: Kultur, Körper, Kulturkörper | |
Nach einem Burn-out versucht die Autorin es mit Yoga. Und plötzlich ist da | |
wieder Kraft, wieder Lebensfreude. Aber was ist Yoga überhaupt? | |
40 Jahre taz: Konflikte entschärfen: Yoga kann politisch sein | |
Yoga fängt mit simpler Gelenkgymnastik an. Doch wenn wir loslassen können, | |
hilft das auch bei der Lösung von Konflikten – nicht nur im Privaten. | |
Schorsch Kamerun bei der Ruhrtriennale: Yoga für die Zugezogenen | |
Multikulti und Grenzen: Schorsch Kameruns „Nordstadt Phantasien“ erzählen | |
bei der Ruhrtriennale von der Wandlung eines Arbeiterviertels. |