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# taz.de -- Parallelwelt Bundeswehr: Schuss nach hinten
> Weil die Bundeswehr trotz Dürre Raketen testete, brannte ein Moor über
> einen Monat lang. Was treibt die Truppe auf ihren Übungsplätzen?
Bild: Konnte man sogar in Hamburg riechen: Brand auf dem Testgelände „WTD 91…
BREMEN taz | Das Feuer rauchte so stark, dass sich in nur einer Woche
Hunderte von BürgerInnen bei der Leitstelle des Landkreises Emsland über
die Geruchsbelästigungen beschwerten. Die Löscharbeiten des brennenden
Moores auf dem Waffen- und Munitionstestgelände („[1][WTD 91]“) bei Meppen
gestalteten sich schwierig: „Das Areal ist von Blindgängern verseucht“,
sagte der Direktor der Bundeswehr-Anlage.
Außerdem musste für zusätzliches Wasser gesorgt werden, damit sich der
Brand unterirdisch nicht weiter ausbreitete. Eine Woche, so der Direktor,
könnten die Löscharbeiten durchaus noch dauern, denn die oberste Schicht
des Moorbodens sei „knochentrocken“.
Nein, hier ist nicht die Rede von dem Moorbrand, der vor wenigen Wochen auf
demselben Schießplatz durch den Abschuss von Raketen ausgelöst wurde,
sondern von einem Feuer im Juli 2010. Die Bundeswehr hatte munter Munition
erprobt, trotz Hitze und Trockenheit. Und fand das auch ganz
unproblematisch: So sagte damals, vor acht Jahren, der Direktor der Anlage
gegenüber der Meppener Tagespost: [2][„Wir verzeichnen im Jahr 80 bis 100
Feuer.“ Diese würden in dem militärischen Sperrgebiet fast alle
„erprobungsbedingt ausgelöst“.]
## Bundeswehr blieb untätig
Über den damaligen Moorbrand wurde nur regional berichtet. Dabei brannte es
fast zwei Wochen lang und es ist angesichts der Rauchentwicklung zumindest
nicht unwahrscheinlich, dass auch damals mindestens die
Kohlenmonoxid-Grenzwerte überschritten wurden. Bloß: Offenbar hat damals
keiner danach gefragt. Und freiwillig rückt die Bundeswehr keine Daten raus
– ja, freiwillig unternimmt sie offenbar nicht einmal Schadstoffmessungen.
Denn auf die Frage, warum es keinerlei Messwerte aus den ersten zwei Wochen
des jüngsten, gewaltigen Moorbrandes auf der Anlage gebe, sagte Anfang
Oktober der Sprecher von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen
(CDU): „Weil sie dort nicht angefordert waren.“ Erst als der Rauch schon
bis Bremen gezogen war und sogar im 200 Kilometer entfernten Hamburg zu
riechen war, wurden Messungen „angefordert“.
Sonst wäre wohl immer noch nicht überprüft worden, was da eigentlich
ausgestoßen wurde auf dieser brennenden Fläche von zeitweise zwölf
Quadratkilometern, wie viel Stickstoffoxide, Feinstaub und Kohlenmonoxid –
ob also eine Gefahr für die Bevölkerung bestand.
Aber nicht nur die Bundeswehr blieb untätig, sondern auch der Landkreis
Emsland. Auch er wartete über zwei Wochen ab, bevor er Messungen in Auftrag
gab: Erst vom 21. September an, fast drei Wochen nach Beginn des Brandes,
fanden im Auftrag des Landkreises Messungen durch den ABC-Zug Leer statt,
und ab dem 22. September führte das Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen in
Amtshilfe weitere Untersuchungen an verschiedenen Messpunkten durch. Vorher
verließ sich der Landkreis auf die Bundeswehr.
## Undurchsichtige Messwerte
Auf deren Auftrag hin hatte die Feuerwehr Leer in der Nacht vom 18. zum 19.
September Kohlenmonoxid-Konzentrationen gemessen, die teilweise bei mehr
als dem Doppelten des zulässigen Grenzwerts lagen. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, über einen Zeitraum von acht
Stunden einen Grenzwert von etwa 9 ppm (parts per million) nicht zu
überschreiten – an einer Stelle lag der Wert jedoch bei 20 ppm, an anderen
zwischen 12 und 14 ppm.
Dennoch halten sowohl die Bundeswehr als auch der Landkreis im Einklang mit
dem Landesgesundheitsamt bis heute an der Einschätzung fest, die Werte
hätten eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Bevölkerung „nicht
erwarten lassen“. Denn, so deren Begründung: „Eine kurzfristige
Überschreitung von solchen Langzeit-Durchschnitts-Richtwerten stellt nicht
automatisch eine akute Gesundheitsgefahr dar.“
Ob es tatsächlich nur eine „kurzfristige Überschreitung“ gab, weiß
allerdings niemand, denn Daten vom Brandbeginn am 3. September bis zum 18.
September existieren ja gar nicht und Langzeitmessungen gab es ebenfalls
nicht: Die Messungen der Feuerwehr fanden an den insgesamt 20 Messstellen
jeweils lediglich 20 Minuten lang statt.
Erst am 20. September ermittelte die Gefahrstoffmessstelle Nord der
Bundeswehr die Konzentration einiger weiterer Schadstoffe. Am selben Tag
erfolgte eine andere Messung durch die Schießplatz-Dienststelle selbst,
danach übernahm der Landkreis Emsland.
Zur großen Überraschung aller untersuchte die Bundeswehr jedoch „rein
vorsorglich“ das Brandgelände nach Spuren von Radioaktivität. Dabei hatte
es bis dahin nicht einmal einen Verdacht auf derartige Belastungen gegeben.
Die Erklärung des Bundesverteidigungsministeriums dazu brachte ebenfalls
keine Klarheit: „Wir haben keine Hinweise darauf, dass jemals auf dem
Gelände Uranmunition getestet worden ist“, hieß es da. Auch die
niedersächsische Landesregierung hat [3][laut NDR] keine Hinweise darauf,
dass auf dem Bundeswehrgelände radioaktive Munition verschossen wurde.
Wieso wurde dann aber überhaupt danach gesucht? Eine plausible Antwort
darauf gibt es nicht, bloß das Testergebnis: keine Spuren von
Radioaktivität. Immerhin.
## „Momentan sind alle sauer“
Jan Deters, Sprecher des Linken-Kreisverbandes Emsland, sieht in den
Vorgängen „die Chance, endlich einen anderen Umgang“ mit dem Schießplatz …
Meppen zu finden. „Denn selbst die Kreispolitiker sagen jetzt: Da hat die
Bundeswehr richtig Scheiße gebaut.“ In der Tat wurde nach den Messungen auf
Radioaktivität Landrat Reinhard Winter (CDU) ungewöhnlich deutlich: „Es
kann nicht sein, dass es der Bundeswehr erst jetzt einfällt, dass
möglicherweise radioaktive Strahlung oder giftige Schwermetalle freigesetzt
wurden, die eventuell als Gefährdung für die Bevölkerung oder für unsere
Einsatzkräfte einzustufen sind.“
Auch in der Bevölkerung habe der Ruf des militärischen Testgeländes zum
ersten Mal gelitten, meint Deters: „Bisher war es ja immer so, dass alle
meinten, die WTD sei ein Segen für den Landkreis, weil sie viele ordentlich
bezahlte und gute Arbeits- und auch Ausbildungsplätze bietet.“
Dass es in der Vergangenheit immer wieder gebrannt hat und nicht nur 2010,
sondern auch 2006 durchaus auch in größerem Ausmaße, hätten die
EmsländerInnen als „naturgegeben“ hingenommen. „Aber jetzt scheinen sie
wach geworden zu sein.“ Deters beobachtet einen Sinneswandel, „der ohne
diese riesige Rauchwolke wahrscheinlich nicht stattgefunden hätte. Egal,
mit wem ich rede: Momentan sind alle sauer.“
Auf der von der emsländischen Linken organisierten Demo gegen den
Schießplatz Ende September in Meppen war davon freilich wenig zu spüren:
Mit 24 TeilnehmerInnen fand sie kaum Anklang. „Mit der Linken geht man im
Emsland halt nicht gemeinsam auf die Straße“, sagt Deters. Und auch die
Friedensbewegung habe im Landkreis „eher keine Tradition“.
Letzteres führt er auch auf das Testgelände zurück, das in seinem
Gründungsjahr 1877 „Kruppscher Schießplatz zur Erprobung
reichweitengesteigerter Heeres- und Marinegeschütze“ hieß und heute der
größte Schießplatz Westeuropas ist. „Dass dafür 1.000 EinwohnerInnen des
Dorfes Wahn aus ihren Häusern und Höfen vertrieben wurden, schieben die
Emsländer bis heute auf die Nazis. Dabei war das schon lange Jahre vorher
geplant“, sagt Deters. Und dass die wirtschaftlich florierende Region schon
lange nicht mehr abhängig ist von Bundeswehr-Arbeitsplätzen, sei bei den
EmsländerInnen ebenfalls noch nicht angekommen: „So sind die Emsländer
eben.“
Selbst der Kreisverband des Naturschutzbundes Nabu habe kein Problem mit
dem Schießplatz, sagt Deters. „Die sagen: Ohne ihn gäbe es kein Moor mehr,
weil sonst alles an die Torfindustrie gegangen wäre.“
## NABU fordert mehr Wasser
In einer Stellungnahme zum Brand beklagt der Nabu-Kreisverband
Emsland/Grafschaft Bentheim zwar, dass die auf dem Testgelände liegenden
Naturschutzgebiete Tinner und Staverner Dose durch die Hitze „auf Jahre
oder Jahrzehnte zu einer Mondlandschaft“ geworden seien, aber ein Ende der
Waffentests fordert er nicht – nicht einmal für den Sommer. Stattdessen
will der Nabu „Wasser, Wasser, Wasser!“ Das Moor müsse „regelrecht
durchtränkt“ werden. „Auf anderen Flächen der Bundeswehr, zum Beispiel dem
Truppenübungsplatz Grafenwöhr, kann man sehen, dass nasse Moore und ein
geordneter Übungsbetrieb keine Gegensätze sind.“
Deters ist dennoch optimistisch: „Immerhin schauen die Leute jetzt genauer
auf das, was die Bundeswehr hier eigentlich veranstaltet und dass die
Auswirkungen ihrer Alleingänge und ihrer Geheimniskrämerei sie alle
betrifft“, sagt er.
Er hofft, dass künftig im Sommer keine Tests mehr auf dem Gelände
stattfinden dürfen: „Ich glaube, wenn der Landkreis und das Land
Niedersachsen genügend Druck machen, dann ist das auch durchsetzbar.“ Und
langfristig fordert er eine Konversion des gesamten Areals: „Vielleicht ist
ja jetzt der erste Schritt in diese Richtung getan.“
Ob der Landkreis ein sommerliches Testverbot anstrebt und welche
Konsequenzen er aus der Brandkatastrophe zieht, bleibt unklar. Auf Anfrage
der taz äußert sich die Landkreis-Sprecherin schriftlich. Das Textgelände
befinde sich seit 142 Jahren im Emsland, heißt es da. Es sei „wichtiger
Arbeitgeber und hat insofern ihren Rückhalt im Emsland“.
Zwar stehe außer Frage, „dass Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in
Fähigkeit und Entscheidungskompetenz der Bundeswehr beim Moorbrand auf die
Probe gestellt wurden“. Eine „umfassende Aufarbeitung der Geschehnisse“ s…
darum notwendig, die Bundeswehr habe dies aber schon angekündigt.
## Was bleibt, sind Fragen
Der Moorbrand ist inzwischen gelöscht, das hat die Bundeswehr am
vergangenen Mittwoch mitgeteilt. Aufklärungsflüge mittels Drohnen würden
aber weiter stattfinden, damit möglicherweise aufglimmende Glutnester
sofort erkannt werden könnten. Denn wenn es so trocken bleiben sollte wie
bisher, kann es jederzeit wieder anfangen zu schwelen.
Was vorerst bleibt, sind neben Staub und Asche und zerstörten Biotopen
mindestens 500.000 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid, das durch den
Brand in die Atmosphäre gelangt ist – und Fragen über Fragen: Warum wurden
erst zehn Tage nach Ausbruch des Brandes zivile Hilfskräfte angefordert,
warum erst zwei Wochen danach mit Schadstoffmessungen begonnen? Warum hat
die Bundeswehr erst am vergangenen Montag ihre Messergebnisse
veröffentlicht? Warum hat sie trotz der extremen Trockenheit schwere
Munition abgefeuert?
Die Bundeswehr hat angekündigt, ihr internes Meldewesen kritisch
hinterfragen zu wollen. Mitte der Woche räumte sie ein, „am Anfang sehr
unglücklich agiert“ zu haben. Nur am Anfang?
Der niedersächsische Landtag und der Bundestag werden sich mit den
Geschehnissen beschäftigen. Die Grünen im niedersächsischen Landtag haben
Fragen zum Krisenmanagement an die Bundeswehr und an die Landesregierung,
die Grünen im Bundestag verlangen ebenso wie die Abgeordneten der
Linkspartei eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse. Das
Verteidigungsministerium hat angekündigt, intern aufklären zu wollen, und
kommende Woche wird sich der Verteidigungsausschuss mit dem Moorbrand
beschäftigen.
Die Staatsanwaltschaft tut das ohnehin: Sie ermittelt. Wegen schwerer
Brandstiftung.
Unseren kompletten Schwerpunkt zum Thema „Truppenübungsplätze im Norden“
finden Sie in der gedruckten taz nord am Wochenende oder [4][hier].
12 Oct 2018
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrtechnische_Dienststelle_91
[2] https://www.noz.de/lokales/meppen/artikel/114448/moorbrand-wutet-bereits-se…
[3] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Radioaktive…
[4] /e-kiosk/!114771/
## AUTOREN
Simone Schnase
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