# taz.de -- Repression gegen arme BremerInnen: Von Bahnhof zu Bahnhof | |
> Erst verscheucht die Stadt Obdachlose vor dem Bremer Hauptbahnhof, nun | |
> gibt es Pläne, wie man sie auch vom ehemaligen Güterbahnhof vertreiben | |
> kann. | |
Bild: Vom Bremer Hauptbahnhof (Hintergrund) verdrängt: Bleibe eines Obdachlose… | |
BREMEN taz | Mit repressiven Mitteln geht die Stadt gegen Obdachlose am | |
ehemaligen Güterbahnhof in Bremen vor. Die Wirtschaftsbehörde und die ihr | |
unterstellte Wirtschaftsförderung planen derzeit, mit Zäunen, einem | |
Sicherheitsdienst und Strafanzeigen die gestiegene Anzahl von Wohnungslosen | |
auf den Brachflächen loszuwerden. Die Stadt ist die Eigentümerin der Fläche | |
und Gebäude des ehemaligen Güterbahnhofs. Laut Behörden kommt es häufiger | |
zu Konflikten, nachdem dort immer mehr Menschen untergekommen sind. Dass | |
dort immer mehr Wohnungslose leben, hat einen einfachen Grund: Seit einiger | |
Zeit werden sie vom Vorplatz des Hauptbahnhofs vertrieben. | |
Die Sozialbehörde teilte der taz mit, dass in einem ressortübergreifenden | |
Gespräch mehrere Maßnahmen vereinbart wurden: Die Umzäunung des Areals, die | |
Einrichtung eines Sicherheitsdienstes, um Identitätsfeststellungen | |
durchzuführen und infolgedessen Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs zu | |
erstatten – damit auch die Polizei tätig werden kann. | |
Während ein Zaun vor den befahrenen Schienen noch sinnvoll erscheint – | |
[1][Anfang des Jahres starb ein Obdachloser auf den Gleisen,] nachdem ihn | |
ein Zug erfasst hatte –, wirken die anderen Maßnahmen eher repressiv. | |
Die Wirtschaftsbehörde wollte zunächst keine Auskunft dazu erteilen und | |
verwies auf ihr Statement von Ende September, laut dem sich die bis dahin | |
überschaubare Lage in einem nicht mehr tolerablen Rahmen befinde, | |
[2][sodass eine weitere Duldung nicht mehr möglich sei]. Nach erneutem | |
Nachbohren bestätigte die Referentin der Wirtschaftsförderung, Andrea | |
Bischoff, dass Maßnahmen wie ein Sicherheitsdienst und eine Umzäunung im | |
Gespräch seien, aber eine Entscheidung über die Umsetzung noch nicht | |
getroffen sei – „Wir prüfen derzeit noch alle Möglichkeiten“, sagte | |
Bischoff. | |
## Künstler*innen genervt und gestört | |
Der Künstlerzusammenschluss „Verein 23“, der die Hallen des Güterbahnhofs | |
zwischennutzt, schätzt, dass 20 bis 30 Wohnungslose auf den Rampen der | |
Gebäude leben. Neben der Behörde hatte auch Norbert Bauer, Vorstand des | |
Vereins, von Konflikten mit den Obdachlosen berichtet: Die Lage habe sich | |
verschlechtert und einige Künstler*innen seien von offenen Feuern, | |
herumliegenden Spritzen und den hygienischen Bedingungen genervt, gestört | |
und verängstigt. | |
Probleme gab es laut Wirtschaftsförderung auch zwischen dem Wagenplatz | |
„Querlenker“ und der auf der Brachfläche nebenan lebenden Gruppe | |
osteuropäischer Wohnungsloser. Die Innere Mission schätzt ihre Anzahl auf | |
noch einmal 20 bis 25 Personen, die in Hütten, Verschlägen und Autos leben. | |
Anders als deutsche Wohnungslose haben sie keinen Anspruch auf | |
Obdachlosenhilfe oder Sozialleistungen. Die Wiese mit den slumartigen | |
Hütten grenzt direkt an den Wagenplatz der Querlenker*innen, der einen | |
jährlich erneuerten Pachtvertrag mit der Stadt hat, und sich auf eine | |
Anfrage der taz nicht meldete. | |
Repressive Maßnahmen oder sogar eine Räumung sind aus Sicht von Bertold | |
Reetz von der Inneren Mission, die auch die Bahnhofsmission betreibt, | |
dennoch die schlechteste Lösung. Er sagt: „Wir sind gegen Räumungen – am | |
Güterbahnhof und auch am Bahnhofsvorplatz.“ | |
Denn was den Obdachlosen widerfährt, ist eine Vertreibung von Bahnhof zu | |
Bahnhof: Im Vorfeld der Eröffnung des Investoren-Großprojekts „City Gate“, | |
eines 100 Millionen Euro teuren Neubaus am Hauptbahnhof, ließ Innensenator | |
Ulrich Mäurer (SPD) Drogenabhängige und Obdachlose schon mal vorsorglich | |
vom Bahnhofsvorplatz vertreiben. Dort gibt es seit Kurzem mehr | |
Videoüberwachung, einen Sicherheitsdienst und einen ständig postierten | |
Mannschaftswagen der Polizei. Die Botschaft kommt an: Obdachlose und | |
Drogenabhängige drängeln sich nun mangels Alternativen am Güterbahnhof und | |
am Siemens-Hochhaus. | |
[3][Zwar sei geplant], einen Unterstand mit Toilette und | |
Sozialarbeiter*innen in Bahnhofsnähe an der Fußgängerbrücke vor der alten | |
Post einzurichten, das werde aber vor Dezember oder Januar voraussichtlich | |
nichts, sagt Reetz. Er fordert die Stadt auf, schon vorher einen | |
bahnhofsnahen Anlaufpunkt für die Wohnungslosen einzurichten, die dort | |
ihren Lebensmittelpunkt hätten. | |
„Wenn man Leute vertreibt, muss es Alternativen geben“, sagt Reetz. | |
Momentan balle sich die Szene tagsüber auf engem Raum im Innenhof des | |
Siemens-Hochhauses und nachts am Güterbahnhof. Es bringe nichts, sie von | |
dort aus einfach erneut zu vertreiben. „Bremen muss es sich erlauben, die | |
Menschen zu dulden, sonst gehen sie halt weiter in den Wall oder den | |
Bürgerpark.“ An einer Räumung würde sich die Innere Mission auf keinen Fall | |
beteiligen, so Reetz. | |
Noch schlimmer ist die Lage für nicht-deutsche wohnungslose | |
EU-Bürger*innen: Obwohl sie keinen Anspruch auf Transferleistungen haben, | |
gibt es laut Reetz die stille Vereinbarung, sie für bis zu drei Tage in | |
Hilfseinrichtungen aufzunehmen. Sobald die Temperaturen unter vier Grad | |
sinken, nehme man ohnehin alle auf. Aber viele kämen gar nicht erst: Trotz | |
der widrigen Umstände gehe es den meisten EU-Bürger*innen an Bremens | |
Güterbahnhof immer noch besser als in ihren Herkunftsländern. | |
8 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kreiszeitung.de/lokales/bremen/toedlicher-unfall-obdachloser-br… | |
[2] /Archiv-Suche/!5534716&s=g%C3%BCterbahnhof&SuchRahmen=Print/ | |
[3] /Archiv-Suche/!5534398&s=bahnhofsvorplatz&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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