# taz.de -- Jahresbericht zur Deutschen Einheit: Ohne erhobenen Zeigefinger | |
> Der Ostbeauftragte der Bundesregierung hat den Jahresbericht zur | |
> Deutschen Einheit vorgestellt. Der Osten hängt noch immer hinterher. | |
Bild: Stellte den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit vor: Christian Hirte | |
2018 ist ein gutes Jahr, um den Stand der Deutschen Einheit zu prüfen. Zum | |
einen sind Ost- und Westdeutschland in diesem Jahr länger vereint, als sie | |
durch Mauer und Stacheldraht getrennt waren. Zum anderen sorgt der Osten | |
momentan, 28 Jahre nach der Wiedervereinigung, wieder besonders häufig für | |
negative Schlagzeilen, zuletzt [1][wegen der rechtsextremen Aufmärsche in | |
Chemnitz und Köthen]. Der Westen ist in dieser Frage bekannt für seinen | |
erhobenen Zeigefinger, trotz rechter Aufmärsche in Kandel und Dortmund. | |
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), kam wenig | |
überraschend nicht umhin, auch auf dieses Thema einzugehen, als er am | |
Mittwoch in Berlin den neuen Jahresbericht zur Deutschen Einheit | |
vorstellte. Doch die wichtigen wirtschaftlichen Fortschritte in den neuen | |
Ländern, so Hirte, würden derzeit überlagert von gesellschaftlichen | |
Debatten um Rechtsextremismus. | |
Also zunächst zu den Zahlen: Die Wirtschaftsleistung Ostdeutschlands hat | |
sich seit der Wiedervereinigung mehr als verdoppelt. Die Arbeitslosigkeit | |
ist so niedrig wie noch nie. Die Arbeitslosenquote im Osten sank im | |
Dezember 2017 auf 7,1 Prozent gegenüber 8,7 Prozent im Vorjahr. | |
Zwar haben sich die Lebensverhältnisse im Osten denen im Westen angenähert, | |
doch auch 28 Jahre nach der Deutschen Einheit hängt der Osten in wichtigen | |
Wirtschaftsbereichen noch immer hinterher. | |
## Keine Global Player | |
„Wir haben praktisch keine Metropolregionen im Osten, die Wirtschaft ist | |
deutlich kleinteiliger, es fehlen die Global Player“, betonte Christian | |
Hirte. Die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft und ein Mangel an | |
Konzernzentralen großer Unternehmen sind wichtige Gründe für die | |
Wirtschaftsunterschiede zwischen Ost und West. So ist kein einziges | |
ostdeutsches Unternehmen im Börsenleitindex DAX-30 notiert. Und nahezu kein | |
Großunternehmen hat seine Zentrale in Ostdeutschland. Viele ostdeutsche | |
Unternehmen gehören zudem zu westdeutschen oder ausländischen Konzernen. | |
Diese strukturellen Unterschiede führten seit den Neunziger Jahren zu einer | |
massiven Abwanderung junger Menschen. Im Zeitraum von 1990 bis 2016 ist die | |
Bevölkerung in Ostdeutschland um rund 11 Prozent auf 16,2 Millionen | |
Einwohner zurückgegangen. 2015 verzeichneten erstmals seit der | |
Wiedervereinigung alle Länder in Ostdeutschland einen leichten | |
Bevölkerungszuwachs. Diese positive Bilanz war überwiegend auf die hohen | |
Zuwanderung aus dem Ausland zurückzuführen. | |
Bezogen auf die Wirtschaft spricht Christian Hirte von einem positiven | |
Trend in der Annäherung zwischen Ost und West. Nach den tiefgreifenden | |
Umwälzungen in den ostdeutschen Bundesländern wachsen in Ostdeutschland | |
seit 2009 Unternehmen und Einkommen kontinuierlich. | |
Zudem stellt der Bericht fest, dass sich die Lebensverhältnisse weiter | |
angleichen, so zum Beispiel bei Umweltqualität, Lebenserwartung, | |
Gesundheit, Infrastruktur und Wohnverhältnissen. Auch bei Einkommen und | |
Rente geht es, wenn auch langsam, voran. Einzelne ostdeutsche Regionen, wie | |
beispielsweise Jena oder Leipzig haben westdeutsche Regionen in ihrer | |
Wirtschaftskraft bereits überholt. | |
## Die gefühlte Wiedervereinigung | |
Doch einen Aspekt können die Zahlen dann eben doch nicht abbilden: Trotz | |
einzelner Erfolge, so heißt es im Bericht, stelle der Stand der Deutschen | |
Einheit [2][nicht alle Bürger in gleicher Weise zufrieden]. Vor allem in | |
Ostdeutschland schmerzen bis heute die Wunden der SED-Diktatur, aber auch | |
vom wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen in der ehemaligen DDR. | |
„Nicht alles, was heute im Osten geschieht können wir auf Fehler in der DDR | |
zurückführen“, sagt Christian Hirte, der selbst aus Thüringen stammt. „I… | |
kann verstehen, dass viele Menschen in Ostdeutschland heute das Gefühl | |
haben, mit ihren persönlichen Erfahrungen nicht genügend respektiert zu | |
werden.“ | |
Es ist das Gefühl zur Wiedervereinigung, das Fragen aufwirft, die durch | |
wirtschaftliche Erfolge nicht weniger wichtig werden. Hirte sieht dabei | |
besonders in die Medien in der Pflicht: „Die mediale Wahrnehmung überspitzt | |
die Probleme im Osten. Zwar gibt es mehr Vorfälle rechter Gewalt als im | |
Westen, doch die Zahlen sind rückläufig.“ Viele Menschen im Osten sähen | |
ihre Lebenswirklichkeit in den Medien falsch wiedergegeben, sagt Hirte. | |
Wegen ein paar Spinnern dürfe man nicht eine ganze Region verurteilen, so | |
Hirte. „Es darf uns nicht egal sein, wenn so viele Menschen scheinbar das | |
Zutrauen in Staat und Politik verloren haben. Das müssen wir ohne erhobenen | |
Zeigefinger ernst nehmen.“ | |
26 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Weyrosta | |
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