| # taz.de -- Die Wahrheit: „Gulag? Haben Sie Gulag gesagt?“ | |
| > Die Georgien-Woche der Wahrheit: Ein äußerst lehrreicher Besuch im gar | |
| > niedlichen Stalin-Museum von Gori. | |
| Bild: Nicht sauber: Josef Wissarionowitsch Stalin, genannt Koba, der Unbeugsame | |
| Wenn du nach Gori, eine Kleinstadt in Georgien, reist, kommst du nicht | |
| daran vorbei. Allein schon, weil es so groß ist. Riesenhaft und | |
| marmorfarben thront es in der Innenstadt: das Stalin-Museum, dessen Fahne | |
| bis zur Bushaltestelle weht. Dort setzt mich der Reisebus ab. Den anderen | |
| Aussteigenden laufe ich hinterher, entlang der Stalin-Allee, vorbei an der | |
| „Stalin-Skola“. Vor mir ein Trupp Chinesen sowie drei aufgekratzte | |
| russischsprachige Damen mit Fellmützen. | |
| In Russland sind 45 Prozent der Bevölkerung der Meinung, Josef Stalin sei | |
| „ein starker, beeindruckender Mann“. In Georgien sind es 75 Prozent. In | |
| Gori, Stalins Geburtsstadt, sicher um die 100 Prozent, betrachtet man die | |
| Bewohner, die neugierig am Straßenrand stehen und uns Richtung | |
| Allerheiligstes winken. Da ist es. Weiß und wuchtig. Ein richtiger Palast. | |
| Das Museum ist in drei Bereiche unterteilt, die wichtigsten | |
| Lebensabschnitte des namhaften Jahrhunderttyrannen: frühe Kindheit, | |
| mittlere Kindheit und Schulzeit. Ganz hinten befindet sich noch ein | |
| weiterer Raum. Ich schließe mich der nächsten Führung an, geleitet auf | |
| Englisch und Russisch. Der Museumsführer heißt Giorgi Kapatschwili, wie | |
| sein Namensschild verrät. Zu siebt laufen wir ihm nach: Die drei Russinnen, | |
| ein Rucksackpärchen, ein Typ mit US-Käppi und ich. | |
| Als erstes – Stalins frühe Kindheit. Eine hölzerne Wiege. An den Wänden | |
| goldgerahmte Cinematografien: Stalin in georgischer Lederhose, Stalin mit | |
| Schultüte. Der „Sosso“, wie seine Großmutter ihn liebevoll nannte, der | |
| „kleine Bergfasan“, wie seine Mutter ihn zärtlich umschrieb. Auf einem | |
| Samtpolster blitzen drei Milchzähne. | |
| ## Exponate aus der Schulzeit | |
| Wortreich präsentiert der Führer Exponate aus „Sossos“ Schulzeit: eine | |
| Brotdose, ein Schulheft, noch ein Schulheft. Ein drittes Schulheft, diesmal | |
| liniert, sowie eine Zwille, die Überreste einer Stinkbombe und eine | |
| aufgeblasene Schweineblase, vermutlich eine Art Furzkissen, war der kleine | |
| Sosso doch für seine Lausbubenstreiche bekannt. In einem Kasten aus | |
| Tresorglas: Stalin Notizbuch für poetische Einfälle. Als Heranwachsender | |
| war Stalin Dichter, erklärt der Führer, schließt die Augen und deklamiert | |
| ein Liebesgedicht. „Für eine frühe Geliebte?“, erkundige ich mich. Nein, | |
| tadelt der Museumsführer, für die heilige Jungfrau Maria, aus Stalins | |
| religiöser Phase. | |
| Dann geht es stracks Richtung Jugend – ein handgestrickter Tabaksbeutel | |
| sowie die typisch georgische Duduki, eine Langflöte. Ferner eine selbst | |
| gebaute Steinschleuder, eine größere Steinschleuder und eine wirklich sehr, | |
| sehr große Steinschleuder. Gori, erklärt unserer Führer, galt einst als | |
| wildeste Stadt des Kaukasus. Große, unbeugsame Männer habe sie | |
| hervorgebracht, niemand natürlich so groß wie ER. Und das, obwohl er eine | |
| ganz normale georgische Kindheit gehabt habe: Alkohol, Prügelstrafen, von | |
| Geistlichen misshandelt. | |
| An einem Haken baumelt der Tscherkessenmantel, in dem Stalin zur | |
| „Konspirazia“ ging. „Ah, Konspirazia“, murmeln die Russinnen. „Ja“,… | |
| Giorgi Kapatschwili zärtlich, „er war schon ein politischer Kopf.“ Im | |
| Vorbeigehen winkt er einer hornbebrillten Dame: die Museumspädagogin, im | |
| Schlepptau „kleine Bolschewikis“, die gerade an revolutionären Ideen | |
| werkeln. Frühkindliche Bildung schreibt man hier groß. | |
| Jetzt muss ich mal was fragen. Ich recke den Zeigefinger. Ob wir denn gar | |
| nichts an Stalin … doof fänden? Der Guide starrt mich an. Was ich damit | |
| meinen würde? „Na gibt’s denn hier zum Beispiel gar nichts zu den Gulags?�… | |
| – „Gulasch?“, kräht er zurück, dass die russischen Mütterchen losprust… | |
| Man sieht, den Witz macht er nicht zum ersten Mal. Welches Gulasch? Hier | |
| gäbe es kein Gulasch, auch wenn das zentralgeorgische übrigens zu den | |
| besten der Welt gehöre … | |
| ## Gulag-Scherze unerwünscht | |
| Wer ich denn überhaupt sei, will der Führer wissen, Britin, Deutsche, | |
| Französin? „Trotzkistin“, sage ich. Eisige Stille. „He, Leute“, | |
| beschwichtige ich, „man wird ja wohl noch mal einen Scherz machen dürfen.“ | |
| Jetzt kann ich mich schön aufplustern: Wir Nazi-Nachgeborene seien da ein | |
| bisschen weiter in Richtung Selbstironie. In Deutschland mache man über | |
| Hitler Witze. Ich sage: „Gibt es denn hier gar keine | |
| Grammatik-Bolschewisten oder so?“ Dann räume ich ein, dass man bei uns in | |
| Deutschland Hitler ja auch feiere, „aber eher so unter der Hand“. | |
| „So, so“, zischelt Kapatschwili, ich käme also aus Deutschland, Germania. | |
| „Stalin und Germania“, sagt er und hält für Momente seinen Daumen hoch. | |
| Dann saust dieser wie ein Fallbeil nach unten. „Ihr Deutschen“, knöttert | |
| er, „ihr seid doch nur neidisch. Nur, weil ihr kein Adolf-Hitler-Museum | |
| habt!“ | |
| Jetzt habe ich aber genug: „Kommt, Leute, Stalin war gewalttätig, | |
| blutrünstig, sexistisch und“, ich mache eine Kunstpause, „konnte nicht mal | |
| richtig Duduki spielen!“ Die Augen des Führers blitzen mich an. Das mit der | |
| Duduki nähme ich sofort zurück. Dann wird seine Stimme leiser, fast | |
| flüsternd: Man müsse nicht immer alles schlecht machen. Dies sei eben ein | |
| Gute-Laune-Museum, für jeden sei hier was dabei. Durch Stalin kenne die | |
| Welt immerhin Georgien. Man wolle auch mal stolz sein. Und jetzt müsse er | |
| übrigens weiter. Bald starte die nächste Führung. Im Sauseschritt führt uns | |
| durch den letzten Saal. | |
| Am Ende lockt ein Museums-Shop. Im Angebot: Weingläser mit Stalin-Kopf, | |
| Regenschirme mit Stalin-Kopf, ein Diktatoren-Quartett aus der Reihe | |
| „Heilsbringer“. Am Ausgang überfliege ich das Gästebuch: „So exiting, we | |
| really enjoy it!“, oder: „Great idol. I love him!“ Nur „Iwana from Sibe… | |
| notiert: „It was really funny!“ Dem schließe ich mich an. | |
| 10 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ella Carina Werner | |
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