| # taz.de -- Josef Stalin und Georgien: Ein Geschenk Gottes | |
| > Im Dorf Sikilija ist die Verehrung für Stalin groß. Jetzt haben ihm die | |
| > Bewohner ein Denkmal errichtet. Sogar einstige Opfer der Repression freut | |
| > das. | |
| Bild: Auf georgisch wird Stalin იოსებ ბესარიონის … | |
| Sikilija taz | „Die ganze Welt steht in Stalins Schuld, besonders die | |
| Georgier. Ich bin ihm vor allem dafür dankbar, dass er diese Region von den | |
| Muslimen gesäubert hat“, sagt Guram. Der 79-Jährige lebt in dem georgischen | |
| 300-Seelen-Dorf Sikilija, in der Region Samzche-Dschavacheti, nicht weit | |
| entfernt von der Grenze zur Türkei. Vor Kurzem machte das Dorf landesweit | |
| Schlagzeilen. Die Bewohner hatten mit eigenen Mitteln eine Installation | |
| errichtet – zu Ehren von [1][Josef Stalin], „dem Vater aller Völker“. | |
| Guram ist stolz, dass er einer der Initiatoren ist. Zwar ist jede | |
| sowjetische und nazistische Symbolik per Gesetz verboten. Doch mittlerweile | |
| finden sich vergleichbare Gedenkstätten in vielen Regionen Georgiens. 2018 | |
| drohte die Regierung, derartige Umtriebe gerichtlich zu verfolgen. Doch bis | |
| jetzt ist es bei der Ankündigung geblieben. | |
| „Sie können dieses Denkmal entfernen. Aber Stalin können sie uns Georgiern | |
| nicht nehmen“, sagt Guram. Trotz seines Alters geht er aufrecht und festen | |
| Schrittes durch das Dorf. Die anderen Bewohner nicken ihm respektvoll zu. | |
| Vor 75 Jahren wurden Gurams Familie sowie rund 100 weitere georgische | |
| Familien von der Sowjetmacht in diesem Dorf angesiedelt. Zuvor war die | |
| ursprüngliche Bevölkerung, muslimische Mezchetinzen, nach Usbekistan | |
| vertrieben worden. | |
| ## Per se verdächtig | |
| Diese Aktion war lediglich ein Teil der Massendeportationen aus | |
| Samzche-Dschavacheti, die Stalin 1944 befohlen hatte. An die 100.000 | |
| Menschen wurden mit Zügen nach Zentralasien verbracht. Als Muslime aus | |
| einer Region, die lange unter türkischer Herrschaft gestanden hatte, galten | |
| sie der sowjetischen Führung per se als verdächtig. | |
| Erst 1999, nachdem Georgien Mitglied des Europarates geworden war, | |
| verpflichtete sich Tiflis, diesen Menschen die Rückkehr zu ermöglichen. Bis | |
| ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde, vergingen weitere acht | |
| Jahre. Doch darin waren keine staatliche Hilfen vorgesehen. „Für diese | |
| Leute fühlt sich niemand zuständig. Der Staat kümmert sich nicht um sie, da | |
| er es ablehnt, Verantwortung für diese Verbrechen zu übernehmen“, sagt die | |
| Historikerin Zira Mezchischwili. | |
| Sie hat vor über zehn Jahren die Nichtregierungsorganisation Tolerant | |
| gegründet, die versucht, die Rückkehrer zu unterstützen. Von 3.000 Personen | |
| sind jedoch lediglich 32 Familien zurückgekommen. „Ich glaube, dass für die | |
| meisten von ihnen vor allem die moralische Rehabilitierung wichtig ist. | |
| Denn das Land, in das sie zurückkehren sollen, ist vor 30 Jahren | |
| verschwunden“, sagt sie. | |
| Doch Rückkehr und Integration werden auch durch die ablehnende Haltung der | |
| Bevölkerung erschwert. Islamophobie und Xenophobie sind nach wie vor ein | |
| großes Problem. In Tiflis und anderen Regionen Georgiens laufen | |
| Ultranationalisten regelmäßig zu einem „georgischen Marsch“ auf, bei dem | |
| sie gegen Menschen aus muslimischen Ländern hetzen. | |
| ## Viele Jahre gewartet | |
| Doch einige der Rückkehrer sind trotzdem zufrieden. Wie Rejs Mansulov, der | |
| in dem Nachbardorf Klde lebt, 12 Kilometer von Sikilija entfernt. „Darauf | |
| habe ich viele Jahre gewartet“, sagt der 86-Jährige und lächelt. Er | |
| erinnert sich noch gut an das Jahr 1944. „Sie verfrachteten uns in Waggons. | |
| Die hatten keine Fenster und es war eiskalt. Überall waren Wanzen. Viele | |
| erfroren, die Leichen wurden einfach aus dem Zug geschmissen“, erzählt | |
| Rejs. | |
| Doch trotz dieser schrecklichen Erlebnisse lässt er auf Stalin nichts | |
| kommen und findet die Errichtung der Gedenkstätte richtig. „Stalin war ein | |
| guter Mensch“, sagt er, nickt eifrig, sein grauer Bart zittert. „Er hat uns | |
| nichts Schlechtes angetan. Und es war doch Krieg.“ | |
| Schätzungen zufolge gehen die Opfer der Stalinschen Repressionen in die | |
| Millionen. Mit ihnen hat Guram kein Mitgefühl. Die unzähligen Opfer des | |
| Massenmordes hat er Stalin längst verziehen. Aber Muslimen vergeben, die | |
| einen georgischen Nachnamen tragen, das kann er nicht. | |
| „Ja, Menschen wurden deportiert und erschossen, aber die Zeiten waren eben | |
| so. Das Wichtigste ist doch, dass wir dank Stalin überlebt haben und der | |
| Faschismus nicht gesiegt hat“, sagt er. Seine hellbraunen Augen werden | |
| feucht und er wendet schnell den Blick ab. | |
| ## Private Spender | |
| Am Rande des Dorfes erhebt sich auf einem Hügelchen eine kleine orthodoxe | |
| Kirche. An ihr werkelt Guram bereits seit zehn Jahren herum. Den Bau haben | |
| private Spender finanziert. „Das ist die wichtigste Sache, die ich in | |
| meinem Leben gemacht habe“, sagt er. Hilfe habe er von einem „guten | |
| Menschen“ erhalten, der jetzt in Moskau lebe. | |
| Doch die Kirche ist nicht das einzige religiöse Gebäude im Dorf. An einer | |
| alten verfallenen Moschee im Zentrum hängt eine Tafel. Die Moschee stehe | |
| unter dem Schutz des Staates, heißt es dort „Wäre Stalin nicht gewesen, | |
| wäre diese Erde jetzt nicht georgisch. Einige wollten in unser Dorf | |
| zurückkehren, doch wir haben gesagt: Wenn ihr hier leben wollt, nehmt den | |
| orthodoxen Glauben an.“ | |
| Guram und Rejs sind mit ihrer Meinung nicht allein. Der „Führer“ Stalin ist | |
| in ganz Georgien sehr beliebt. Laut einer Umfrage des Carnegie-Zentrums | |
| von 2012 (jüngere Untersuchungen gibt es nicht) bewerten 45 Prozent der | |
| Georgier Stalin positiv. | |
| Der 32-jährige Tifliser Historiker Irakli Chvadagiani, der seit über zehn | |
| Jahren über [2][die sowjetische Vergangenheit] forscht, hat so seine eigene | |
| Interpretation für diese Nostalgie. Ihm zufolge habe die sowjetische | |
| Propaganda um Stalin herum eine Vielzahl von Mythen aufgebaut, an die die | |
| Menschen bis heute glauben. | |
| Guram lädt zu sich nach Hause ein. Über dem Tisch im Wohnzimmer hängt ein | |
| Stalin-Porträt aus Metall. Er füllt zwei Gläser mit selbst gemachtem Wein. | |
| Dann bringt er den ersten Trinkspruch aus. „Ich trinke auf Gott“, sagt er. | |
| „Auf Gott, der Stalin diesem Land und der ganzen Welt geschenkt hat.“ | |
| Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
| 9 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sandro Gvindadze | |
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