# taz.de -- Die Wahrheit: „Ich sah schwimmende Lokomotiven!“ | |
> Bis in die Haarspitzen von Drogen inspiriert: Berühmte Kinderbuchautoren | |
> packen aus, wie sie ihre Gedankenwelten entstehen ließen. | |
Bild: „Der einzig gute Weg, kindgerechte Bücher zu verfassen, sind saugute H… | |
Zigtausend Möchtegern-Autoren versuchen sich daran, doch nur wenige | |
beherrschen diese einzigartige Kunst: gute Kinderliteratur zu verfassen. | |
Aber wie geht das? Wie schreibt man hochwertige, einfühlsame Kinderbücher? | |
Gibt es da eine Erfolgsformel? Horst Eckert alias „Janosch“ hat eine. Ohne | |
Umschweife verrät er sie in jedem Interview: „Ich musste zwei bis drei | |
kleine Gläser Whisky oder Cognac oder ein größeres Glas Cuba libre trinken | |
und mit dem Verstand aus meinem Kopf aussteigen.“ Der Vater von Tigerente | |
& Co. nennt auch Gin oder Wodka eine alternative, praktikable Möglichkeit. | |
Machen das alle hochkarätigen Kinderbuchautoren so? Ist dies der einzig | |
zielführende Weg? Sternhagelvoll Geschichten für die Allerkleinsten zu | |
verfassen? Astrid Lindgren ging sogar einen Schritt weiter: „Der einzig | |
gute Weg, kindgerechte Bücher zu verfassen, sind saugute Halluzinogene“, | |
verkündete die Schwedin 1962 in einem Brief an ihre Lektorin Selma | |
Olofsson. Bis zu ihrem Tod schwor die Grande Dame der gehobenen | |
Kinderromane auf ein Gemisch aus Julmarmelade und psychoaktiven | |
Zauberpilzen aus dem reich bewaldeten Småland. | |
Pilze, die die sprachbegabte Naturfreundin am liebsten selber pflückte, um | |
ihren eigenen Zustand nach dem Konsum minutiös zu protokollieren: „Meine | |
Pupillen weiteten sich, meine Körperhärchen richteten sich auf, eine | |
kolossal euphorische Grundstimmung breitete sich in mir aus. Monotone | |
Birkenlandschaften, matschige Moore, ja das gesamte schwedische Hinterland | |
und alle hässlichen Bälger darin empfand ich plötzlich als schön!“ | |
Visionen überkamen die Hobby-Mykologin, Visionen von der Existenz einer | |
glücklichen Kindheit in abgehängten Provinzdörfern. Die Trilogie „Bullerb�… | |
schrieb sie in einem einzigen, 73-stündigen Rausch. Das Kapitel „Lasse und | |
Bosse pflücken Pilze“ liest sich augenzwinkernd als selbstreferenzielle | |
Passage. Nach Fertigstellung kam das kalte Erwachen, aber da war das | |
millionenschwere Manuskript bereits in der Post. | |
## Downer wie im Märchen | |
Auch der Däne Hans Christian Andersen bediente sich nicht selten, genauer | |
gesagt, immer extrem wirksamer Substanzen: „Meine Sache waren jedoch eher | |
die Downer“, schrieb der Schöpfer der niederschmetterndsten Märchen der | |
Welt einst in sein Tagebuch. Seine selbst gemischten Depressiva, bestehend | |
aus einer Messerspitze Engelstrompete, Stechapfel und vergammelter | |
dänischer Remoulade, waren legendär. Sein Trick: Rasch hochputschen, kurze | |
Euphoriemomente auskosten, in denen die Dinge zu schweben begannen – und | |
dann, in der knallharten Absturzphase, wenn die Stimmung ziemlich weit | |
unten war, sofort drauflos schreiben, morbide Märchen am laufenden Band | |
produzieren, pro Horrortrip eins. | |
„Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und „Die kleine Meerjungfrau“ s… | |
auf diese Art entstanden. „Bei Gott, ich musste!“, rechtfertigte sich der | |
greise Andersen 1874 kurz vor seinem Tod in seinen privaten Aufzeichnungen: | |
„Sonst wäre es nicht so schön düster geworden. Das war ja der Zeitgeist. | |
Und so kannten mich die Leute. Da steckte ich drin, in der Depri-Schublade, | |
und kam nicht mehr heraus.“ | |
Weniger selbstkritisch zeigte sich der deutsche Kinderkrimi-Pionier Erich | |
Kästner. Der beliebte Humorapostel favorisierte das Schnüffeln. Klebstoff, | |
Kleister, Omnibusabgase, die ganze Palette: „Wie sonst hätte ich mich in | |
die rotznasigen Proletenkinder meiner sozialkritischen Romane | |
hineinversetzen können?“, schrieb er achselzuckend in seiner sechsteiligen | |
Autobiografie. | |
Seine Landsfrau Cornelia Funke hingegen verriet erst kürzlich in einem | |
Interview mit Geolino, sie höre beim Schreiben in ihrem kalifornischen | |
Gartenhäuschen am liebsten Death Metal. „Einfach so. Wegen des witzigen | |
Kontrasts, der Fallhöhe. Meine Lieblingstruppe Dying Fetus auf Anschlag | |
gedreht, und die infantilen Geschichten schreiben sich von selbst.“ | |
## Literatur wie Kaugummi | |
Nicht weit von Funke lebt auch Bestseller-Kinderbuchautor Jeff Kinney, der | |
bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Mikro grinst und preisgibt, die | |
Bände „Gregs Tagebuch 1–47“ auf Lachgas, Ritalin und Center-Shock-Kaugum… | |
verfasst zu haben, um sich in die Welt eines pubertierenden Losers optimal | |
hineinfühlen zu können. | |
Weniger konsumorientiert, ja eher asketisch gab sich wiederum der | |
US-Klassiker Eric Carle. Komplett ausgehungert, nach dreiwöchiger | |
Radikalfastenkur, konnte er erst sein geniales Opus Magnum „Die kleine | |
Raupe Nimmersatt“ verfassen. | |
Fazit: So viele gute Kinderbücher – so viele verschiedene Erfolgsrezepte. | |
Und was ist mit Whisky, Cognac & Co.? Zu Janoschs Vorbildern zählt niemand | |
geringerer als Altmeister Michael Ende („Das kleine Lumpenkasperle“), der | |
täglich zehn Dosen Karlsquell-Bier trank, um irgendwie aus dem Kopf | |
auszusteigen, dem Verstand ein Päuschen zu gönnen und die eigene Fantasie | |
zu triggern: „Schwimmende Lokomotiven und sprechende Drachen kann ich mir | |
sonst halt nicht so gut vorstellen“, verteidigte sich der Träger des | |
Bundesverdienstkreuzes am Bande nonchalant in seinen Memoiren. | |
Hoffentlich mussten diese wahren Helden der Kinderliteratur nie den Affen | |
schieben – außer Herrn Nilsson, Cheeta oder King Louie. | |
1 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Ella Carina Werner | |
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