# taz.de -- Die Wahrheit: Schlochtatz am Ponau | |
> Vor dem Internet, im analogen Zeitalter, wurde mit Methoden recherchiert, | |
> die heute niemand mehr kennt: mit Gott, Geduld und eigenen Gedanken. | |
Bild: Vollzeit-Hipster mit typischer Gesichtsausrüstung | |
„Wie habt ihr eigentlich früher recherchiert?“, fragen mich meine Kinder. | |
Uff, da muss ich selber erstmal überlegen. Also … zu meiner Zeit, als ich | |
jung war, in den achtziger Jahren, im Zeitalter der Analogie, war das so: | |
Man hing in seinem neongelben Sitzsack, grübelte so herum, und plötzlich | |
kam einem eine Frage in den Sinn: Wie heißt eigentlich die Hauptstadt von | |
Ungarn? Eine brennende, eine quälende Frage, auf die man dringend eine | |
Antwort brauchte, jetzt sofort. Aber es gab noch kein Internet. Das war das | |
Problem. | |
Wenn man früher etwas wissen wollte, tat man das, was damals allgemein | |
üblich war: Man fragte Gott. Richtete Arme und Pupillen gen Himmel und rief | |
oder raunte, wenn man nicht wollte, dass es jemand durch die Leichtbauwände | |
hörte: „Lieber Gott! Wie heißt die Hauptstadt von Ungarn?“ | |
„Die Antwort fängt mit B an und hört mit T auf“, antwortete Gott, der ein… | |
immer erst zum Selberlösen animieren wollte, wie jeder gute Vater. Manchmal | |
wusste es Gott aber auch nicht, zum Beispiel bei Bundesliga-Ergebnissen, | |
oder er tat so, als habe er die ganze Sache akustisch nicht verstanden, | |
etwa beim Thema Polytheismus. „Gute Frage, nächste Frage“, brummte er dann. | |
Ansonsten tat man eben das, was in den achtziger, neunziger Jahren | |
eigentlich alle taten, man horchte in sich hinein. Ganz tief. „Wie heißt | |
die Hauptstadt von Ungarn?“ Schon kam es aus dem tiefsten Inneren hervor: | |
„Schlochtatz“. Schlochtatz war es! Schlochtatz am Flusse Ponau. Freudig | |
trug ich es in mein Erdkunde-Referat ein. Ganz neue Topologien entstanden, | |
nie geahnte Seenlandschaften, Kriegsgebiete, Universen, die Weltkarte wurde | |
jede Woche neu geschrieben, das förderte die allgemeine Kreativität. | |
Wenn aus dem Inneren einmal überhaupt gar nichts kam, haben wir einfach | |
geraten. Man muss nicht immer alles ganz genau wissen. Ich dachte zum | |
Beispiel lange, Hunde legen Eier. Es war eigentlich ganz schön, auch mal | |
etwas nicht ganz genau zu wissen. | |
Meistens aber haben wir uns gar keine Fragen gestellt. Die Hauptstadt von | |
Ungarn? Pah, wen interessiert’s? Das waren Luxusprobleme, dafür hatten wir | |
keine Zeit. Es war der Kalte Krieg, die digitale Revolution, der große | |
Browserkrieg in den Jahren 1995 bis 1998, das kann man sich heute gar nicht | |
mehr vorstellen! Wir hatten ja nichts, außer Faxgeräte, Flutschfingereis | |
und immer gute Laune, wenn wir Sommerhits sangen: „Sing Hallelujah …“ | |
Und wenn wir es doch unbedingt wissen wollten und Gott und unser Innerstes | |
keinen blassen Schimmer hatten, dann fuhren einfach hin und schauten nach. | |
Faktencheck: Budapest! Das dauerte dann manchmal etwas länger, aber dann | |
hatte man es wirklich profund, nicht immer dieses verwässerte Wissen aus | |
zweiter und dritter Hand wie heutzutage … | |
8 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Ella Carina Werner | |
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