# taz.de -- Die Wahrheit: Supi Beutel mit Bart | |
> Von Hassfigur bis Popelesser – der moderne Hipster im europäischen | |
> Vergleich. Mit Chinohose und Hitler-Schnurri! | |
Bild: Vollzeit-Hipster mit typischer Gesichtsausrüstung | |
Jeder kennt ihn, jeder hasst ihn: den zeitgenössischen „Hipster“ mit seinem | |
Vollbart, der engen Chinohose und den viel zu schicken Hosenträgern. Wie | |
selbstzufrieden er sich mit seinem Jutebeutelchen im Hipster-Café räkelt, | |
sich eine Latte nach der anderen reinpfeift, im Mundwinkel eine | |
Selbstgedrehte, mit seinem arroganten Hipsterlächeln, dass jeder anständige | |
Normalbürger sofort ausrufen möchte: „Wo ist ein Eimer? Ich muss kotzen!“ | |
Genau so und nicht anders steht der Widerling uns vor Augen. | |
Aber nicht vor den Augen aller Europäer. In Polen zum Beispiel sieht der | |
Hipster ein bisschen anders aus. In Polen trägt der „Hipsterysz“ stets | |
einen Zwirbelbart, verschiedenfarbige Socken und unbedingt mintfarbene | |
Kontaktlinsen, sonst geht er nicht aus dem Haus. Sein Bohnenkaffee ist | |
nicht selbst gemahlen, sondern überhaupt nicht gemahlen. Die ganzen | |
Kaffeebohnen schwimmen in der aufgeschäumten Milch herum, was den | |
polnischen Normalo komplett wahnsinnig macht. | |
Auf der anderen Seite der Ostsee hingegen, droben in Finnland, hat der | |
„Hipsterii“ wiederum seinen ganz eigenen Stil. Zwischen Helsinki und | |
Näkkälä trägt er einen riesenhaften Schlapphut, Monokel und ein mit | |
Glitzerpailletten verziertes Holzfällerhemd, um sich vom finnischen | |
Holzfäller-Mainstream abzugrenzen, vor allem aber ein Fingerbart-Tattoo – | |
für Uneingeweihte: einen Schnurrbart auf den Zeigefinger gemalt und quer | |
über die Oberlippe gehalten, selbstverständlich in Form eines | |
Hitler-Schnurris. | |
## Heimischer Holzfabrikschlot | |
Der finnische Hipster darf das. In den Kaffeehäusern baut er Figuren aus | |
Popel und raucht wie ein heimischer Holzfabrikschlot, doch nur | |
Fremdgedrehte, was für Hipsteriis sehr zeitaufwändig ist, andauernd | |
herumzuwieseln und immer einen Blöden zu finden, den man anschnorren kann. | |
Hipster imaginiert man gemeinhin männlich, spannenderweise ist aber der | |
dänische „Høpster“ weiblich! Der feminine Høpster hört Chansons per | |
Walkman, trägt eine Hans-Christian-Andersen-Dauerwelle und Stoffbeutel mit | |
trashig-ironischen Aufschriften wie zum Beispiel: „I love Germany“. Die | |
Høpster blinzelt durch ihre selbstgebaute Nerd-Brille aus Legosteinen in | |
Trendfarben, leider zerbricht Letztere alle naselang. | |
Im Niederländischen sagt man nicht Hipster, sondern „Ecoidiot“. Die Flamen, | |
also Nord-Belgier, sagen jedoch lieber „Man met baard“. Idealtypisch | |
lümmelt sich dieser Typus in kleinen, lokalen Szene-Cafés, die in Belgien | |
„Starbucks“ heißen. Er trägt Süßkartoffelpommes in den Nasenlöchern und | |
einen Jutebeutel mit der Aufschrift „Ik ben niet zooo trots op een | |
Belgische“, was sich leicht mit „Ich bin nicht sooo sehr stolz, ein Belgier | |
zu sein“ übersetzen lässt. | |
Der Clou: Über seinem Hemdkragen prangt eine Fliege aus echten, mit | |
Heißklebepistole zusammengeklebten Stubenfliegen – Benelux-Trash pur! In | |
gelben Reclam-Bändchen liest er die großen belgischen Dichter, obwohl es | |
überhaupt keine großen belgischen Dichter gibt. Er bloggt über Chinohosen, | |
oft bis spät in die Nacht, und träumt von einer urbanen Existenz in der | |
Slowakei, dem Hipster-Eldorado schlechthin. | |
## Heimische Radiergummispitzen | |
Denn in der Slowakei gibt es mehr Hipster als Normalbürger! Dort sitzen sie | |
sogar in den Parlamenten und Seniorenheimen, ja bereits in den | |
Grundschulen. Jeder Slowake will ein Hipster sein. „Hipsterskys“ palavern | |
den ganzen Tag in schönstem Retro-Tschechoslowakisch und nagen dabei an den | |
Radiergummispitzen ihrer unbehandelten Bleistifte, was die heimische | |
Kautschuk-Produktion enorm ankurbelt. | |
Im Gegensatz dazu ist nirgendwo der Hipsterhass größer als in Österreich. | |
Vermutlich, weil es dort überhaupt keine Hipster gibt. Auch weiter südlich, | |
in Albanien, ist der „Hipstërafshim“ eine zentrale Hassfigur, vor allem in | |
den rund 850 selbstkopierten Karikaturen-Fanzines, die übrigens auch von | |
den albanischen Hipstern gern gelesen werden, Stichwort Selbstironie. | |
Die Erkennungszeichen albanischer Hipster: Verbeulte Zylinder, riesige | |
Retro-Kopfhörer aus Salzteig und lässige Schnurrbärte aus Nacktschnecken, | |
von denen es im regenreichen albanischen Hochland noch mehr als Hipster | |
gibt. | |
In ihrer Freizeit baggern Hipstërafshims am liebsten an irgendeiner | |
Latte-macchiato-Mutter herum, die auf albanisch „Nënë frappuccino“ heißt. | |
Oder sie sehen herab auf die Normalbürger, die „Idiotës Normalistës“. | |
Welche wiederum am liebsten Holzfällerhemden und Vollbärte tragen und in | |
ihrer Freizeit Popel futtern – darin übertrumpft einzig und allein nur noch | |
von den österreichischen Normalbürgern, die sich aus Popeln | |
Hitler-Schnurris kneten – ach, gepriesen sei die europäische Vielfalt! | |
14 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Ella Carina Werner | |
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