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# taz.de -- Die Wahrheit: Sind alle Dänen komplett hygge?
> Ein spontaner Feldversuch zum dänischen Lebensgefühl Nummer eins mit
> fatalen Folgen – nicht nur für skandinavische Arschbananen …
Im Sommer war ich in Dänemark. Dänemark, das ist: Meer, Dünen,
Lastenfahrräder, Legoland, gutes Design, schlechtes Bier für acht Euro. Vor
allem aber Entspanntheit. [1][„Hygge“] ist mehr als eine Erfindung [2][von
Lifestyle-Magazinen], „hygge“ ist in Dänemark gelebte Realität. Pfeifend
radeln die Dänen über die extra-breiten Radwege, nie würden sie einem Bus
hinterherrennen, und als im April 1940 die halbe Wehrmacht in den Vorgärten
stand, erhoben sich die Dänen ruhig aus ihren konfiszierten Hängematten und
murmelten: „na gød“. Kann ein ganzes Volk wirklich komplett „hygge“ se…
Einer solch kulturellen Einzigartigkeit lässt sich nur in einem spontan
organisierten Feldversuch auf den Grund gehen.
Kopenhagen, eine gewöhnlicher Mittwoch, 16 Uhr. Alle Dänen haben
Feierabend. Ich natürlich nicht. Bei uns Deutschen fängt da die Arbeit
gerade erst an. Auf einer Parkbank am Kanal sitzt ein goldblondes,
langmütig lächelndes Pärchen um die dreißig. Ein Picknickkorb ist
aufgeklappt, die beiden futtern Krabbenbrötchen. Wie zufällig schlendere
ich auf sie zu, baue mich vor ihnen auf. Ich lege mir die richtigen Worte
zurecht, auf Deutsch. Alle Dänen sprechen deutsch. Dann räuspere ich mich,
recke die Brust: „Hallo, grüßt euch …“, die beiden blicken freundlich a…
„… ihr beiden Dumpfbacken!“ Spannend. Wie werden sie reagieren?
Die Dänen schauen erst mich an, dann einander – und mümmeln versonnen
weiter. „Na, wie geht’s euch denn, [3][ihr Arschbananen?]“, frage ich.
Røvbanan, das habe ich gegoogelt, gilt in Dänemark als das schlimmste
Schimpfwort. „Arschbananen ohne Transfair-Siegel“, lege ich nach. Das
trifft die Bildungsbürgerdänen noch ein wenig härter.
Der Bärtige kaut auf seinen Krabben. Lange. Dann erkundigt er sich, wer ich
eigentlich sei. „Leni Riefenstahl, du Flachlandfresse!“, pariere ich. O
Mann, die Armen. Selbstverständlich kostet mich das Überwindung. Spaß macht
das nicht, aber das muss einfach sein. Jetzt werden kulturelle Grenzen
ausgelotet. Später werde ich sie über meinen Feldversuch aufklären, später
werden wir gemeinsam darüber herzlich lachen, „war doch nicht echt“, werde
ich sagen, bis tief in die Nacht werden wir zusammensitzen in einem dieser
pittoresken Fisch-Bistros und über skandinavischen Kubismus diskutieren,
aber noch nicht jetzt.
## Lego-Face-Fressen en masse
„Hast du nichts zu erwidern, Lego-Face?“, höhne ich. „Oder du, kleine
Meerjung-Bitch, du …“, jetzt bloß nicht über die Wortwahl nachdenken, „…
Riesenkackhaufen einer zahnlosen schwedische Hure im Norwegerpulli!“ Jetzt
hab ich sie. Die beiden Nachbarländer, die Erbfeinde. Mehr Schmach geht
nicht. Oder doch? Vorsichtshalber haue ich noch ein paar freche Thesen
heraus: „Königin Margarethe hat einen Schnurrbart! Hamlet war ein Loser!“
So langsam beginnt es, doch ein wenig Spaß zu machen. Den Dänen leider
auch. Sie grinsen und glucksen, wie nur waschechte Dänen giggeln, dunkel
und sanft gleich einer Ostseewelle. Der Bärtige bietet mir etwas von seinen
Krabben an. „Jetzt reicht’s mir aber“, knöttere ich, „du … son of a …
Die Dänin hört jetzt auf zu kichern. „Son and daughter of a bitch“,
korrigiert sie und hebt einen Zeigefinger. Aha. Jetzt habe ich sie. Die
Dänen sind extrem emanzipiert. Fünfzig Prozent Frauen in
Führungspositionen, Frauenquoten überall. Jetzt ist’s Zeit für die nächste
Stufe. Ich greife tief in meinen Rucksack, setze mir eine SS-Mütze auf und
tanze vor ihnen her: „Und jetzt, immer noch hygge?“
Ein Polizist in hellblauem Halbarmhemd nähert sich, hebt die Hand zum Gruß.
Ob hier alles in Ordnung sei, alles so richtig schön „hygge“, erkundigt er
sich auf Dänisch. „Ja, Wikingerpopo!“, speihe ich aus. Er guckt fragend.
Vielleicht kann er kein Deutsch. Die Dänin übersetzt. „Vikingerne Ansigt!�…
gluckst der Polizist und wünscht uns allen noch einen hyggeligen Tag, ehe
sein Fahrrad im Stadtgewusel verschwindet.
## Deutsch-Dänischer Krieg und so
Jetzt sind wir wieder zu dritt. Die Dänen schauen mich an, gespannt, was
kommen mag. Ich entscheide mich, nun mehr auf performative Elemente zu
setzen. Ich simuliere einen epileptischen Anfall. Ich entwerfe spontan eine
Solo-Tanzperfomance, Thema: der Deutsch-dänische Krieg 1864.
Das Pärchen ist jetzt beim Nachtisch angelangt. Aus einer hübschen Lunchbox
der Marke „Emsa“ bieten sie mir ein paar Blaubeeren an. Ich strecke die
Hand aus und schleudere die Lunchbox in den Kanal. „Emsa ist eine deutsche
Marke“, rufe ich: „Heil Emsa!“ Die beiden Dänen blicken der Lunchbox nac…
die für kurze Zeit im Kanalwasser schwimmt und am Ende kentert. „Na gød“,
murmeln sie. Dann holen sie ein weitere Lunchbox hervor und bieten mir
erneut Blaubeeren an, noch größere, noch dunkler schimmernde als die
ersten.
Das ist mir alles zu viel. Jetzt reicht es aber, ihr Ferienhaus-Wucherer,
ihr Dancenter-Nazis. Das Leben ist keine Hängematte im beerenumrankten
Ferienhausgarten. Ich rufe: „Königin Margarethe schläft mit Prinz Charles!�…
Dann greife ich zum Äußersten und schreie: „Lego ist schlechter als
Playmo!“ Die Dänin fragt, ob ich vielleicht doch ein paar Blaubeeren
möchte. „Hamlet ist schwul!“, deliriere ich, „Mads Mikkelsen kann nicht
schauspielern! Und wann verübt ihr an euren putzigen Grönländern den
nächsten Genozid, ihr Arschbananen, wobei die weibliche Form nicht
mitgemeint ist?“ Wobei sich meine Stimme dreimal überschlägt. Dann sacke
ich in mich zusammen.
Irgendjemand nimmt mich ganz fest in den Arm. Als ich wieder zu mir komme,
liege ich ausgestreckt auf der Parkbank. Eine Hand krault mein Haar.
„Beruhig dich, Heidi Klum“, gurrt die sanfte Stimme der Dänin. Kein Wunder,
wenn sie Deutsche wäre, wäre sie auch so angespannt: trauriges
Durchschnittseinkommen, elende Arbeitszeiten, abartiges Design und kaum
Zugang zum Meer.
„War übrigens alles gar nicht echt“, schluchze ich, „war übrigens nur e…
Feldversuch. Empirie!“ Und ob ich noch mehr von diesen saftigen Blaubeeren
haben könne? Am Ende gehen wir ins nächste Fisch-Bistro und diskutieren
über skandinavischen Kubismus.
10 Nov 2018
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## AUTOREN
Ella Carina Werner
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und dann auch noch tief in den französischen Pyrenäen.
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