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# taz.de -- Die Wahrheit: Blaubeermatschige Arschbanane
> Für Melancholiker, Weltverneiner, Arschlöcher: Das neue Feelbad-Magazin
> „Grimme“ erobert rasant den deutschen Zeitschriftenmarkt.
Bild: Der hässlichste Hund der Welt auf Seite 33 im Magazin
[1][Jetzt also die Neon]. Das ehrwürdige Lifestyle-Magazin für die
postpubertäre Generation wird im Juli eingestellt. Existenzielle Fragen wie
„Kennst du zu viele Leute?“ oder „Sex mit deinem besten Freund?“ müssen
sich die unbedarften Mittzwanziger wieder allein beantworten.
Die Neon-Pleite ist jedoch nur eine von vielen: Der deutsche
Zeitschriftenmarkt liegt am Boden. Eine ganze Branche steht vor dem Aus. Ab
dem Jahr 2030, so Spiegel-Chef Brinkbäumer, gibt es weltweit keine einzige
Zeitschrift mehr, außer dem Spiegel und der Dogs Today.
Mutige Neuerscheinungen gibt es kaum. Nur ab und an eine unmutige, und
immer mit „Feelgood“-Profil. Fröhlich, heimelig, weichgezeichnet kommen
diese neuen Totgeburten der deutschen Printwelt daher. So wie das
hygge-Magazin, seit letztem Sommer auf dem Markt. „Hygge“ heißt auf
Dänisch: gemütlich. „Wir feiern das neue Miteinander, genießen
Selbstgemachtes, spüren das gute Gefühl von Geborgenheit und Glück!“,
posaunt die zuständige Gruner+Jahr-Redaktion heraus, die übrigens komplett
undänisch besetzt ist.
Bei hygge geht es um all das, was schön ist: Ein schöner Kakao bei
Kerzenschein, ein Picknick im – jetzt kommt’s – Sommer oder lachende
Blondschöpfe mit Blaubeerschnuten, aus deren Mundwinkeln selbstgebackene
Zimtsterne quillen.
## Coverboy Söder
„Min gud, diese handgequirlte Blaubeerscheiße kauft doch kein Mensch“,
sagte die dänische Medienforscherin Inger Nielsen bereits im letzten Herbst
voraus, und so kam es. Auch hygge steht vor dem Aus. Doch: Die Konkurrenz
schläft nicht. Seit zwei Wochen gibt es ein neues Magazin, diesmal aus dem
Hause Hubert Burda Media. Auch dieses Blatt ist dänisch inspiriert. Es
heißt Grimme, zu Deutsch: hässlich. Grimme ist alles, was unschön und
eklig, abstoßend und unangenehm ist. Auf dem Cover prangt das Konterfei von
Markus Söder. Das allein würde bereits reichen, doch dem Bayern steckt in
jedem Nasenloch als i-Tüpfelchen noch ein gammliges Mohrrübchen. „Für
25.000 Euro Tagesgage mach ich alles“, ließ Söder verkünden.
Thematisch ist Grimme enorm. Da ist der Tatsachenbericht „Alles, was beim
Picknick schiefgehen kann“, bebildert mit ausgelaufenen O-Saft-Gläsern,
Müsli mit Taubenkacke, Wichsflecken auf der Isodecke und Ameisenarmeen in
der Hose. Auch nicht viel angenehmer: Die Reportage „Handicap: Leben mit
Familie“ oder „Durchfall. Alles, was man wissen muss“ mit ganzseitigen,
tiefenscharfen Fotos. Denn: In Grimme ist alles unansehnlich, außer der
Fotoqualität, da ließ sich der Verlag nicht lumpen. Am schönsten: die
vierfarbige Fotostrecke „Achselpilz in Sachsen-Anhalt“. Astrein auch der
Erlebnisbericht „Ein Abend mit Gästen“, dessen Tipps am Ende („Gäste
ausladen – so geht’s!“) zum Nachmachen animieren.
Ein Highlight in der Heftmitte ist das Interview mit den beiden
Top-Misanthropen Gudrun Pausewang und Wolfgang Schäuble. Die namhaften
Knatterer diskutieren wortreich über das Ende des Humanismus und der Welt
im Allgemeinen, über Popelmännchen und Würmer im Darm, wobei man einander
notorisch beleidigt und an Weltuntergangsvisionen überbietet, am Ende
jedoch die 90-jährige Grande Dame der Apokalypse als argumentative Siegerin
hervorgeht.
## Magazin für Arschlöcher
„Hej, niemand will Menschen beim fröhlichen Spaßhaben oder Schlemmen im
klimaneutralen Sommerhäuschen zusehen“, sagt Jacob Kierkegaard, der für die
Blattgründung extra als Chef aus Kopenhagen angeheuert wurde. „Wir hingegen
spiegeln das Lebensgefühl vieler Bürger wieder. Melancholiker,
Weltverneiner, Arschlöcher, Fatalisten wie du und ich – da ist für jeden
was dabei!“ Der Erfolg gibt ihm recht. Von der Erstauflage, 350.000 Stück,
sind bereits 346.798 Exemplare verkauft. Vor allem im Emsland und in
Vorpommern betteln die Leser um Nachschub.
Satte 130 Seiten ist Grimme stark. Volle acht Seiten nimmt allein das
„Trendthema Tod“ ein, mit dem Do-it-yourself-Leitfaden „So machst du dein
Testament“ und dem philosophisch grundierten Essay „Geburt – der Anfang v…
Ende“. Grimme trifft den Nerv der Zeit, etwa mit dem mitreißenden Plädoyer:
„Raus aus der Natur“ und der Extrabeilage für Literaturfreunde:
„Wiederentdeckt: Noch traurigere Märchen von Hans Christian Andersen!“
„Zunächst sollte das Magazin ja ‚røvbanan‘ heißen“, verrät uns der
Chefredakteur, „das heißt auf Deutsch ‚Arschbanane‘ und ist ein beliebtes
dänisches Schimpfwort. Aber so mutig war der Burda-Konzern dann doch nicht.
Stattdessen haben wir eine gleichnamige Rubrik eingeführt, bei der unsere
Leserinnen und Leser ausdrucksstarke, rektale Staudenfrucht-Selfies
einschicken können!“
Auf Trittbrettfahrer muss der deutsche Zeitschriftenmarkt übrigens nicht
lang warten: Der Misanthrop, Miesepetra oder, für die kleinen Grantler,
Grummelino sind bereits in Planung.
20 Apr 2018
## LINKS
[1] /Magazin-Neon-wird-eingestellt/!5497045/
## AUTOREN
Ella Carina Werner
## TAGS
Medien
Zeitschriften
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