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# taz.de -- Schriftsteller über linken Populismus: Den Rechten etwas entgegens…
> Wie halten es AutorInnen mit linkem Populismus und der
> „Aufstehen“-Bewegung? Vier Gastbeiträge.
Bild: Geht das auch mit links? Gemeinsame Demo von AfD und Pegida in Chemnitz a…
Wie immer man dazu stehen mag – in der von Sahra Wagenknecht (Die Linke)
initiierten [1][Bewegung „Aufstehen“] nimmt die Idee eines Populismus von
links konkrete Gestalt an. Sollte man von derlei Versuchen die Finger
lassen? Oder ist die Zeit reif für neue politische Kommunikationsformen?
Müsste vielleicht sogar die Literatur Schlüsse daraus ziehen und aus der
Feuilleton-Bubble heraustreten? Maßgebliche Themen der Zeit leicht fasslich
verhandeln und sie der scheinbaren Diskurshoheit der Rechten entziehen?
Oder muss gegenüber jeglicher Form des Populismus die Integrität der
Literatur verteidigt werden? Am 20. September wird über diese Fragen [2][im
Berliner Literaturforum im Brechthaus diskutiert]. Mit Positionstexten, die
die taz hier vorab dokumentiert, steigen die Schriftsteller*innen und
Publizist*innen Tanja Dückers, Kathrin Röggla, Ingar Solty und Raul Zelik
in die Debatte ein.
## Politische Experimente brauchen Fehlerfreudigkeit
Soziale Ungleichheit und Prekarisierung der Mitte lassen die Volksparteien
erodieren. Mit der ausbleibenden Resozialdemokratisierung der SPD, ihrem
Groko-Eintritt und fortgesetzten Niedergang sowie mit der
wirtschaftspolitischen Rechtswende der Grünen ist Rot-Rot-Grün als
Politikalternative zum kriegerischen Neoliberalismus der „Mitte“ vom Tisch.
Gleichzeitig füllt ein rechtsautoritärer Nationalismus das hinterlassene
Vakuum.
#aufstehen verspricht, dem Rechtsruck durch eine außerparlamentarische
Mehrheitsbewegung für Sozialstaat und friedliche Außenpolitik zu begegnen,
um die Linke wieder in die Offensive zu bringen. An diesem Anspruch muss es
sich messen lassen.
Bertolt Brecht lässt seinen Herrn K. sagen: „Ich habe bemerkt, dass wir
viele abschrecken von unserer Lehre dadurch, dass wir auf alles eine
Antwort wissen. Könnten wir nicht im Interesse der Propaganda eine Liste
der Fragen aufstellen, die uns ganz ungelöst erscheinen?“ Heute wäre
hinzuzufügen: Wir befinden uns in einer historisch neuen Situation, die
Experimentieren von uns verlangt. Dazu gehört auch Fehlerfreudigkeit. Mit
Brecht könnte man sagen: Wir müssen bereit sein, unseren nächsten Irrtum
vorzubereiten. Und für einen kritisch-solidarischen Umgang, der
andersmeinende Linke nicht gleich als „völkisch-nationalsozial“ oder
„kosmopolitisch-neoliberal“ diffamiert, sondern die sachliche
Auseinandersetzung sucht.
Was sind offene Fragen in Bezug auf linken Populismus? Was ist die
Gesellschaftsanalyse? Befinden wir uns in einer populistischen Situation?
Lassen sich die linkspopulären Erfolge von Corbyn, Sanders, La France
Insoumise oder Podemos, auf die sich #aufstehen beruft, tatsächlich in
Deutschland replizieren?
Geht es bei der Inner-Linken-Auseinandersetzung um die Migrationsfrage? Ist
nicht vielmehr ihr Kern ein machtstrategischer, der sich bloß an der
Migrationsfrage entzündet? Nämlich die Frage nach dem großen Bündnis?
Lassen sich eine linkspopulistische Strategie der antimonopolistischen
Demokratie, wie sie Sahra Wagenknecht vorschwebt, nicht mit einer
antirassistischen Kampagne verbinden, so wie es Corbyn und Sanders
vormachen? Glaubt man mit Zungenschlägen, die die Linksliberalen grosso
modo für den Aufstieg der Rechten verantwortlich machen, Wähler
zurückzugewinnen? Oder spaltet das nicht einfach nur die Linke und stärkt
das rechte Original?
Oder gehen wir davon aus, dass es wirklich das von Andreas Nölke behauptete
neue Cleavage Kosmopoliten/Kommunitaristen gibt? Damit wäre eine
Parteispaltung wohl unvermeidlich. Ließe sich dagegen die Frage
„offene/keine Grenzen“ nicht von ihrem „Sofort“-Maximalismus abtrennen …
als ein Politik-Kompass verstehen, dessen unbedingt wünschenswerte
vollständige Verwirklichung analog zur „Expropriation der Expropriateure“
nur im Zuge des Übergangs in eine nichtkapitalistische Zukunft passieren
wird? Falls ja, wie verhindern wir, dass es zu einer Spaltung kommt, die
beide Seiten nur dümmer macht?
[3][ Ingar Solty ]
## Das antiemanzipatorische Moment
Es gibt eine Reihe populistischer Bewegungen, die in jüngster Zeit Erfolge
feiern konnten, so wie beispielsweise Podemos in Spanien. Sie treten mit
dem Anspruch an, endlich eine progressive emanzipatorische Politik zu
vertreten, die sich nicht mehr nur auf intellektuelle Zirkel oder elitäre
mittelständischer Milieus beschränkt (Prenzlauer Berg! Kreuzkölln!),
sondern endlich auch massenkompatibel ist. Der linke Populismus will
„Politik zurück zu den Menschen bringen. Und die Menschen zurück in die
Politik“, wie es beispielsweise im Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung
„Aufstehen“ heißt. Warum soll das nicht auch in Deutschland funktionieren?
So progressiv der Anspruch auch gemeint sein mag, so wohnt ihm doch
gleichzeitig ein antiemanzipatorisches Moment inne. Das Volk erscheint als
bloße fehlgeleitete Masse, als Ausdruck „falschen Bewusstseins“, wenn es
sich vor den Karren reaktionärer Parteien oder Bewegungen spannen lässt,
wie aktuell beispielsweise in der Migrationsdebatte. Demnach spricht die
Linke entweder einfach die falsche Sprache (zu akademisch, zu
intellektuell) oder sie spricht die falschen Themen an (Gender,
Minderheiten und anderes „Gedöns“) – und nicht die Fragen, die „das Vo…
tatsächlich bedrückt. Kein Wunder also, dass die Massen irgendwann die
Geduld verlieren und den falschen Propheten folgen.
Doch linke Populisten drehen den Spieß einfach um: Sie geben die richtigen
Themen vor und mobilisieren damit Massen. Für sie gibt es nicht mehr links
oder rechts, sondern nur noch oben und unten. Hier das Volk, dort die
Eliten. Ein guter linker Populist hat ein machiavellistisches Gespür, was
ankommt und was nicht, was die Wut und das Ressentiment gegen „die da oben“
bedienen kann. Der alte linke Gedanke, dass Emanzipation nur als
Selbstbefreiung der Unterdrückten vorzustellen ist, verschwindet jedoch. An
seine Stelle tritt die geschickte Choreografie cleverer Parteiführer.
Linker Populismus funktioniert tatsächlich nur von oben nach unten – und
zwar innerhalb der eigenen Bewegung. Kaum eine linkspopulistische Strömung,
die sich nicht irgendwann in einen autoritären Apparat verwandelt hätte
(Venezuela mit Chávez, Perón in Argentinien). Ausgerechnet die
populistischen Postmarxisten, die für sich doch gerne in Anspruch nehmen,
zu neuen Ufern aufbrechen zu wollen, orientieren sich am traditionellen
linken Dogmatismus. Linker Populismus hat mit dem Konzept einer
leninistischen Avantgardepartei mehr gemeinsam als mit einer
emanzipatorischen Bewegung für das 21. Jahrhundert.
[4][ Tanja Dückers ]
## Im Namen der Sprache schreiben
Im Zeitalter der sozialen Plastik, in der Kunst und Politik ihr
intermittierendes Verhältnis deutlicher denn je zeigt und Kunstschaffende
stolz auf ihre Reality-Effekte sind, fällt es schwer, ihre
Nachrichtentauglichkeit von der konkreten politischen Wirkung zu
unterscheiden. In jedem Fall beschäftigt uns Kunst als Vexierbild, das sich
der Kritik je nach Blickrichtung (Kunst oder Politik) zu entziehen scheint.
In der Literatur lösen sich derzeit die Werkkonturen auf, der Roman
erscheint als Theaterstück, als Filmvorlage, mal in den sozialen Medien und
mal mit Autorenperformern, die Debattenförmigkeit performativ einbringen
können. Jegliche Wirkungsdiskussionen sind in diesem Rahmen zu sehen.
Die derzeitige politische Rhetorik linker Parteien legt nahe, dass die
Barbarei auszubrechen droht, der Faschismus naht, man müsse sich engagieren
und wieder alle erreichen, das heißt den Dialog suchen zu denen, die
abgehängt sind, das ist sehr diffus, es geht immer ums Ganze, angeblich
jenseits einer Interessenpolitik. Die derzeit beliebte Repräsentionsfrage,
also wessen Geschichte von wem erzählt werden soll, ist eine literaturferne
Debatte, weil es immer Geschichten im Plural sind, die ein Roman beinhaltet
und darin Identitäten im Plural thematisiert werden auf unidentitäre Weise.
Und doch stellt sich mir in jedem Text ganz konkret die Frage, was hier und
jetzt erzählt werden muss, die nach der Dringlichkeit und die nach der
Organisation der Vielsprachigkeit. Literarische Texte möchten nicht auf
eine Sache hinaus, sie sprechen aus vielen Gründen, die sich durchaus
verdichten können, aber nicht in einer Position aufgehen.
Ich schreibe allenfalls im Namen der Sprache, den sprachlichen Schichten
einer Gesellschaft, in deren Kraftfeld ich mich finde, (das ist niemals
eine Bubble). Ihr bin ich unterworfen und begehre sprachlich auf. Ich habe
einen Einsatz, gehe mit einem Text ein Risiko ein, das mache ich weder
interesselos noch als Dienstleistung irgendeiner Partei. Es geht dabei um
Zukünftigkeit, die es zurückzuerobern gilt.
[5][ Kathrin Röggla ]
## Lieber Realität als Sprachoperationen
Eigentlich ist naheliegend, dass LiteratInnen sich für Linkspopulismus
begeistern, denn er ist so etwas wie der linguistic turn linker Politik:
Sprache statt Materialismus. Durch Narrative soll auf der einen Seite eine
Gegnerschaft „zu den Eliten“ markiert werden, gleichzeitig belässt man aber
Aussagen so im Unbestimmten, dass möglichst viele Menschen ihnen zustimmen
können. Wir basteln uns ein politisches Subjekt.
Was mir daran nicht gefällt? Vielleicht bin ich altmodisch, doch
entscheidend erscheint mir nach wie vor die richtige Beschreibung der
Realität. 10 Prozent der Deutschen besitzen 60 Prozent des Vermögens, die
ärmere Hälfte hingegen gerade einmal 2,5 Prozent. Was das bedeutet, kann
ich jeden Tag beobachten, wenn ich bei mir in der Straße über die
Obdachlosen hinweg in die U-Bahn steige. Ich brauche keine
Sprachoperationen, um zu verstehen, dass die Gesellschaft gespalten ist und
dass einige davon profitieren, während andere wortwörtlich langsam
dahinsterben.
Diese Einstellung gilt auch für das Schreiben: Literatur, die mich
interessiert, sollte etwas mit Realität zu tun haben. Insofern fände ich
Bücher, die von Gesellschaft erzählten und das vielleicht sogar aus der
Perspektive von unten tun, sehr erfreulich. Ob diese Texte dann so
geschrieben sind, dass alle sofort verstehen, worum es geht, oder ob man
beim Lesen ein bisschen nachdenken muss, scheint mir hingegen nicht so
bedeutsam. Elitär ist nicht in erster Linie eine literarische Form, die
ihren LeserInnen etwas abverlangt, sondern die Einstellung, die Massen für
so blöd zu halten, dass man sie mit abgedroschenen Floskeln und
halbfalschen Gedanken agitieren muss.
[6][ Raul Zelik ]
20 Sep 2018
## LINKS
[1] /Aufstehen/!t5206221
[2] http://lfbrecht.de/event/linker-populismus-kritisches-schreiben-fuer-die-ma…
[3] https://www.rosalux.de/profil/es_detail/BOQ17AMVBC/ingar-solty/
[4] http://www.tanjadueckers.de/
[5] http://www.kathrin-roeggla.de/text
[6] https://www.raulzelik.net/
## AUTOREN
Tanja Dückers
Ingar Solty
Kathrin Röggla
Raul Zelik
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