Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Archäologie des Kommenden: „Zukunft lächelnd ruinieren“
> Das „Dokumentationszentrum Zukunft“ hat in Hamburg nach Resten des
> zukünftigen Nationaldenkmals „Walhalla 2“ gegraben. Die Ergebnisse
> präsentiert eine Ausstellung.
Bild: Wurde am Domplatz am Speersort ausgebuddelt: Ein Staubsaugerroboter, dess…
taz: Am Domplatz am Speersort die Reste eines zukünftigen Nationaldenkmals
ausgraben: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen, Herr Sistig?
Bastian Sistig: Es gibt diese Forderung vom AfD-Funktionär Björn Höcke,
mehr Denkmäler statt Mahnmale zu bauen. Da taucht eine Partei auf, die sich
perfiderweise „Alternative“ nennt und von der oft behauptet wird, sie sei
rückwärtsgewandt. Aber natürlich hat sie etwas vor, in der Zukunft. Und das
offenbart sich auch am Denkmaldiskurs …
… in der Suche nach positiven nationalen Bezugspunkten in der
Vergangenheit.
Das Vogelschiss-Zitat von Gauland ist nichts anderes: Lasst uns nicht auf
diese zwölf dunklen Jahre fokussieren, es gibt ja eine tausendjährige
deutsche Geschichte. Ein neoidentitäres, ein romantisches Projekt also. Das
hat uns erst mal Angst gemacht. Aber Angst vor der Zukunft zu haben, ist
eine problematische Haltung, weil sie gegenwartsfixiert ist.
Der Denkmal-Diskurs bekommt so ein autoritäres Moment.
Genau, da wird mit brutaler Rethorik an der Fiktion einer alternativen
Vergangenheit gearbeitet, um ein identitäres Projekt voranzutreiben, dass
auf Ausschluss basiert. Unsere Frage war deshalb: Kann man diese Zukunft im
Jetzt verunmöglichen? Kann man sie jetzt schon ausgraben und als Geschichte
abschließen, sie ins Museum stecken, in einen Glaskasten, um eine kritische
Distanz zu ihr zu bekommen? Wenn wir sie uns als abgeschlossene Zukunft
anschauen, können wir dann eine Haltung zur Zukunft bekommen, die uns
souveräner macht?
Man kehrt die Perspektive der Archäologie also einfach um: Was können wir
aus den Fehlern der Zukunft lernen?
Wir können Zweifeln lernen. Zweifeln ist ja ein sehr produktives Gegenteil
von autoritärer Behauptung. Es geht uns bei dieser Perspektivverschiebung
darum, sich mit einem ganz konkreten Möglichkeitsraum zu konfrontieren. Das
ist also erst mal eine Haltungsfrage. Und natürlich eine Frage der
Recherche.
Wie sind Sie dann auf „Walhalla 2“ gestoßen?
Das Original-Walhalla bei Regensburg ist genau das, was es zu
problematisieren gilt. Nämlich, dass da eine kulturelle Fiktion erschaffen
wird im Rückgriff auf vermeintliche Vergangenheiten – griechisches
Pantheon, ein nordischer Mythos, den niemand richtig gelesen hat und dann
noch ein paar Bezugspersonen dazu, auf die sich alle einigen können sollen:
Goethe, Schiller und eventuell noch Hildegard von Bingen als einzige Frau –
als bedeutende Personen „deutscher Zunge“, wie es heißt. So war es ja von
Ludwig II. geplant: Ein identitätsstiftendes Moment, eine kulturelle
Fiktion zu schaffen, die es ermöglicht, dass zukünftig ein deutscher
Nationalstaat möglich ist.
Und die zugleich darüber wacht, wer dazugehört.
Das ist letztlich quasi eine Frage der Kuration beim Nation Building: Wer
darf rein und wer bleibt draußen? Wir haben uns dann gefragt: Was wäre ein
Walhalla 2, wie würde eine solche denkmaltechnische Idee in Zukunft
konzipiert werden? Wie wiederholt sich Geschichte?
Im Marx’ schen Sinne? Walhalla einmal als Tragödie, das andere Mal als
Farce?
Unbedingt.
Mit was für Techniken gräbt man die Zukunft aus?
Man braucht erst mal Techniken, sich selbst auszutricksen. Wir betreiben
spekulative Archäologie, weil wir die Zukunft als Rest untersuchen wollen.
Wir wollten aber vermeiden, dass wir uns diese Zukunft komplett ausmalen,
als wüssten wir alles. Dann könnten wir ihr ja nicht mehr mit der gebotenen
Distanz begegnen.
Walhalla 2 ist also ausdrücklich keine Science-Fiction?
Es ist eine Para-Fiktion, die von der Realität permanent eingeholt wird.
Walhalla 2 ist zum Beispiel, wenn Horst Seehofer sich an seinem Geburtstag
darüber freut, dass 69 Menschen abgeschoben werden. Wir haben Autor*innen
und bildende Künstler*innen beauftragt, in Reaktion auf unser Konzept
Artefakte aus dieser Zukunft zu erzeugen. Sie fälschen die Zukunft und wir
graben sie aus. Wir haben also textliche und objekthafte Artefakte
bekommen, die wir nicht kontrolliert haben. Dieses Abgeben der Kontrolle
war total wichtig, weil wir uns die Sachen wieder wie Gespenster angucken
konnten, also rätseln und Fragen und Bezüge herstellen: Was hat es mit
dieser Zukunft auf sich?
Zum Beispiel?
Eine Autorin hat in einem Text eine „Bundeszentrale für Politische Ordnung“
auftauchen lassen und wir waren mit der Frage konfrontiert: Was ist denn in
der Zukunft eine Bundeszentrale für Politische Ordnung? Der Begriff hat
natürlich sofort assoziativ funktioniert. Das gruselt einen, hat aber
wieder etwas Farcenhaftes.
Sie arbeiten also mit Überbleibseln, mit Fragmenten, die aber kein Ganzes
ergeben.
Wir arbeiten mit den Lücken der Fragmente. Auch die Erzählung in der
Ausstellung funktioniert vor allem über das, was nicht erzählt wird. Also
über die Fantasie des Betrachters. Wir arbeiten mit kleinen Ausschnitten
von Geschichte. Wir haben keine abgeschlossene Erzählung, nirgendwo wird
ein Bogen geschlagen. Alles, was wir präsentieren, präsentieren wir im
Zweifel.
Bei ihren Ausgrabungen haben Sie Zuschauer*innen vor der Gefahr von
„Wahrnehmungsstörungen“ gewarnt, wenn sie den Arbeiten zu nahe kommen. Was
macht die Archäologie der Zukunft für die Psyche so gefährlich?
Im Deutschland der Zukunft wird viel mit psychotropen Substanzen gearbeitet
worden sein. Wir haben in einer Designzeitschrift, das ist einer unserer
Archivfunde, ein Interview mit dem „Chief Emotional Pigment Designer“ der
Firma „drM55“, Jens Maatissen, gefunden. Der wird ein sogenanntes
„Pigment+“ erfunden haben, was erst in Kunstperformances und dann vor allem
in der Werbung benutzt worden sein wird. Das hat eine psychoaktive Wirkung
und kann den Betrachter unmittelbar mit einem Gefühl affizieren.
Leni Riefenstahl wäre begeistert gewesen.
Genau, die Affizierung mit Gefühl, das ist sozusagen das superfaschistische
Moment: Jemanden direkt zu erreichen, mich zum Weinen zu bringen und am
besten alle gemeinsam zum Weinen zu bringen – die werden in diesem Weinen
dann zum Volkskörper. Offenbar wird dieses Pigment auch in Walhalla 2 viel
verwendet worden sein, um durch dieses gemeinsame Weinen Gemeinschaft zu
erzeugen.
Schöne neue Welt. Was haben Sie noch über die Zukunft herausfinden können?
Diese Idee vom „Pigment+“ etwa taucht auch in anderen Objekten und Texten
auf. 2051 wird es offenbar der „Bundeszentrale für Politische Ordnung“
unterstellt, nachdem der Erfinder wegen Volksverhetzung verurteilt worden
war. Zuvor gab es wohl unter anderem in Hamburg, Berlin und Trier Proteste
gegen den Einsatz bewusstseinsverändernder Werbemittel und anschließend
eine Verschärfung der Versammlungsgesetze.
Das klingt wieder nach einer Zukunft, vor der man aus gutem Grund Angst
haben darf.
Natürlich. Aber wenn sich Geschichte wiederholt haben wird, dann eben als
Farce. Und man kann ja die Zukunft, auf die man mit großen Schritten
hinsteuert, auch lächelnd ruinieren.
21 Sep 2018
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Archäologie
Zukunft
Denkmal
Ausstellung
Kunst im öffentlichen Raum
Kunst im öffentlichen Raum
Archäologie
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kunstprojekt an Hamburger Kohlekraftwerk: Denkmal fürs Verbrennungszeitalter
Gegenüber dem Heizkraftwerk Tiefstack kündigt ein Schild den Bau eines
Mahnmals an. Es soll das Ende des fossilen Zeitalters spekulativ
vorwegnehmen.
Ausstellung über Archäologie: Es ging nicht mehr ohne Kunst
Die Ausstellung „Bewegte Zeiten“ im Berliner Gropius-Bau zeigt
archäologische Superlative. Sie beweist einmal mehr: Wir sind nur zufällig
hier.
Pro und Contra Kunstaktion in Bornhagen: Ein Mahnmal neben Höckes Haus
Das Zentrum für Politische Schönheit observiert seit Monaten das Haus des
AfD-Politikers. Die Aktion sorgt für geteilte Meinungen.
Kritik an Holocaust-Gedenken: Empörung über Höcke-Rede
Er ist für gezielte Provokationen bekannt. Bei einer Rede in Dresden
spottet der AfD-Politiker über das Gedenken an die Shoah – und testet so
erneut Grenzen aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.