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# taz.de -- Die Wahrheit: Tätowier mir! Oder ich stech dir!
> Der neueste Trend der Schlichtbilder bei Tattoos schließt den Kreis zu
> den Anfängen der Körpermalerei.
Bild: Die amerikanische Tattoo-Hochspringerin Inika McPherson
Ist spontanes Stechen bald ein Verbrechen? Das könnte durchaus demnächst
der Fall sein, würden die Forderungen der CDU-Abgeordneten Gitta Connemann
umgesetzt werden. Sie verlangt, dass vor jeder Tätowierung ein
Beratungsgespräch stattfinden soll und dass der Tätowierer erst nach einer
gebührenden Bedenkzeit des Kunden loslegen soll.
Eine ohnehin vernünftige Forderung, bedenkt man, wie viele ästhetische
Verbrechen uns unschuldigen Betrachtern misslungener Tattoos erspart
blieben. Allein in Berlin wird in 2.000 Studios auf die tätowierfreudige
Klientel eingestochen. Zwölf Millionen Menschen sollen in Deutschland
tätowiert sein, die Uni Leipzig spricht sogar von sechzehn Millionen.
Wahrscheinlich legt sie die Anzahl der Tätowierten in ihrer Mensa zugrunde.
Jedenfalls verwundert die Schätzung nicht, denn im Osten sollen 41 Prozent
der jungen Leute ein Tattoo spazieren tragen. Da wächst unbemerkt mitten in
Deutschland eine piktografische Parallelgesellschaft heran!
Wie gut, dass die Europäische Union dem ungehinderten Spontanstechen jetzt
entschlossen entgegentritt. Als erste Maßnahme verfügte sie eine
dreiwöchige Rücknahmeverpflichtung für frisch gestochene Tätowierungen. Das
bedeutet im Klartext, dass ein Studio-Stecher drei Wochen lang verpflichtet
ist, unentgeltlich jegliche neue Tätowierung zurückzunehmen. Aber wie soll
das gehen?
## Rückwärts stechen
Jede Tätowiermaschine sticht mit 800 bis 7.500 Nadelstichen pro Minute
Farbpigmente unter die Haut der unbedarften Kunden. Besinnt sich dieser und
verlangt die sofortige Entfernung, müsste der Tätowierer „rückwärts
stechen“, wie wir Fachleute sagen. Die Maschine holt dann jedes Pigment
wieder dort ab, wo es hingestochen wurde. Das klingt kompliziert, ist in
Wirklichkeit aber noch komplizierter und tut – aua, aua – richtig weh. Doch
gerade das will der Gestochene offenbar.
Bislang konnte jeder gewöhnliche Mensch Tätowierer werden, es genügte, ein
Tätowier-Set im Tätowierbedarfsladen zu kaufen, einen Stuhl ins Fenster zu
stellen und auf die Schaufensterscheibe „Studio Scharfer Stecher“ zu
pinseln – und fertig war das Tätowierstudio! Das soll jetzt offenbar anders
werden, die Brüsseler Behörden verlangen in Zukunft vom professionellen
Tätowierer ein mindestens drei Semester langes Psychologie-Studium, einen
Gesellenbrief des Malerhandwerks und einen erfolgreich bestandenen
Erste-Hilfe-Kurs. Dazu muss das Gutachten eines Orthopäden vorliegen, das
nachweist, dass der Aspirant tremor-, aber nicht humorlos ist. Mit diesem
Verordnungspaket hofft die EU endlich den Wildwuchs der Tätowierszene in
den Griff zu bekommen.
## Trivialitäten des Alltags
Bezeichnend dafür sind auch die neuen ästhetischen Verirrungen. Vorneweg
der schwer angesagte „Ignorant Style“, der die Trivialitäten des Alltags
unbefangen in die Haut tackert. Die Motive wie Teebeutel, Käsereiben,
Kleiderbügel, Gurken und fette Fritten sind eher schlicht und sollen
geradewegs zu einer neuen Schlichtheit im Denken führen. Das klappt meist
auch, nur sieht es scheiße aus.
Mit den neuen einfachen Motiven schließt sich ein Kreis. Schon die
grobschlächtigen, mit dem Kugelschreiber ausgeführten Knast-Tätowierungen
und die schlichten Herz-Anker-Frauennamen-Sticheleien der Matrosen atmeten
den Zauber des Selbstgemachten. Jetzt kommt häufig noch der Zauber des
Skurrilen dazu: Die Jeanstasche mit Reißverschluss auf einer Pobacke etwa.
Aber auch das ist nichts Neues.
Als im Jahr 1998 der Mörder Dieter Jahn aus dem Knast ausbrach, wurde nach
ihm mit folgenden Angaben gefahndet: Der Gesuchte trägt zwei Tätowierungen
– eine Rose auf der Wade und ein Auge auf dem Penis. Jahn soll dann auf der
Toi-lette einer Autobahnraststätte erkannt und gefasst worden sein. Da
hätte eine Bedenkzeit vor der Tätowierung geholfen!
21 Sep 2018
## AUTOREN
Kriki
## TAGS
EU
Nazis
Tätowierung
Sachsen-Anhalt
Stalking
Biologie
Bergbau
Essen
Höhle
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