Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Scheitern auf Leitern
> Die Kunst des Auf- und Absteigens in den Berg ist ein fast vergessenes
> Kapitel des Bergbaus. Es ist die Fähigkeit des Sichabseilens ohne Seile.
Bild: Moderner virtueller Bergmann in realer Waschkaue
Die Fahrkunst ist nicht die Kunst, beulenfrei nach dem Kneipenbesuch nach
Hause zu kommen, sondern ist die Fähigkeit des Sichabseilens ohne Seile.
Der Begriff Fahrkunst stammt aus dem Harz und wurde von den dortigen
Erzzwergen geprägt, die damit das Ein- und Ausfahren aus der Grube
bezeichneten. In den guten alten Schneewittchenzeiten des Bergwerkwesens
benutzte man dazu nämlich sogenannte Fahrten, um in den Berg einzusteigen.
So wurden die Leitern genannt, mit denen die Bergzwerge in den Schacht
eindrangen. Der Begriff „Scheitern auf Leitern“ ward geprägt.
Bis zu 200 Meter Tiefe mag das Klettern mit Leitern noch angehen, muss der
Erzzwerg aber tiefer absteigen, „influieren die ungewöhnlichen
Anstrengungen die Gesundheit schädlich“, wie Herr Meyer in seinem
„Konservationslexikon“ schon 1875 warnt. So werden die Leute früher
„bergfertig“, das heißt, diese waren früher invalide und malade.
In der finsteren Frühzeit des Bergbauwesens wurden die Bergleute von den
erzschlauen Minenbesitzern nur für die Abbauarbeit unter Tage bezahlt, die
Kletterei in und aus dem Schacht galt als unbezahlter Weg zur Arbeit. Die
damaligen Bergleute sparten sich deshalb den mühseligen Aufstieg und
blieben eine Woche lang unten im Dunkel der Schächte! Kein Wunder, dass die
Nachtschichtarbeiter nur ein Lebensalter von dreißig bis vierzig Jahren
erreichten, wenn sie nicht schon früher verunglückten.
## Bezahlte Abstiegszeit
Als die Bergwerksgewerkschaften dann endlich die bezahlte Abstiegszeit
durchgesetzt hatten und es Stechuhren an den Mineneingängen gab, kamen die
Erzschurken von Minenbesitzern ins Grübeln. Meyers Gewährsmänner
berechneten, dass für eine bezahlte Ausfahrzeit bei 100 Mann in einem Jahr
und 300 Arbeitstagen 60.480 Mark zu Buche schlugen. Da wurden die meisten
Minenbesitzer nachdenklich und zähneknirschend zu Förderern der Künste: Sie
ließen fahrende Künste in ihre Stollen einbauen.
Das waren mechanische bewegte Aufstiegshilfen, zunächst in der
Billigversion aus Holz. Das Auf- und Absteigen erforderte eine eher
mühselige Hangelei zwischen den zwei Trümern aus Holz, die der Bergzwerg
abwechselnd nach dem Bäumchen-wechsel-dich-Prinzip besteigen musste. Der
Clou war, dass sich die beiden Holztrümer gegeneinander bewegten,
angetrieben von einer Wasserturbine. So ruckte der Bergmann jeweils ein
Meter sechzig in die Höhe, stieg „schwupp“ auf den zweiten Strang um, stieg
wieder „ruck“ ein Meter sechzig hoch, wechselte „schwupp“ wieder und so
fort. Das war nicht ganz ungefährlich, und so nannte man die
Fahrkunst-Werke achtungsvoll „Todesleitern“.
Man muss sich das Prinzip der Fahrkunst vorstellen wie zwei Paternoster,
die der Benutzer laufend wechselt. Das konnte ganz schön anstrengend
werden, denn um das Jahr 1800 herum wurden im Harz teuflische Teufen von
500 bis 600 Metern erreicht. Kein Wunder, dass die sieben Zwerge immer ganz
schön ausgehungert nach Hause kamen.
Mit der Erfindung des Drahtseils kam um 1920 das Ende der Fahrkunst, man
stieg auf die einfachere Seilfahrt um. Die Bergleute stellten sich von nun
an in bequeme Förderkörbe und Schalen. Die alte Fahrkunst aber geriet
völlig in Vergessenheit und wurde von herumrasenden Autofahrern endgültig
in Verruf gebracht.
31 Aug 2018
## AUTOREN
Kriki
## TAGS
Bergbau
Stalking
Biologie
EU
Essen
Höhle
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Kriechend wie eine gebückte Katze
Talking about stalking: Eine perfide Anleitung für alle Stalker – getarnt
als Jugendbuch. Doch die Verfolger der Verfolger schlagen zurück.
Die Wahrheit: Invasion der Schleimbatzen
Myxomyceten sind hirnlos, aber gerissen: Ein einziger Schleimpilz bedeckt
wie ein rutschender Teppich bis zu zehn ganze Quadratmeter …
Die Wahrheit: Tätowier mir! Oder ich stech dir!
Der neueste Trend der Schlichtbilder bei Tattoos schließt den Kreis zu den
Anfängen der Körpermalerei.
Die Wahrheit: Maden muss man mögen
Das Essen der Zukunft: lecker Happahappa mit Kriech- und Krabbelfaktor
nicht nur für unsere Jüngsten, nein, auch für Erwachsene!
Die Wahrheit: In tiefsten Tiefen
Trotz oder vielmehr ob des thailändischen Höhlen-Rettungskrimis ist die
Faszination für tiefgehenden Raum ungebrochen. Höfo vor!
Die Wahrheit: Der selige Schlaf der Vernunft
Wir sind des Treibens müde, so müde. Ein erschöpfter Bericht zur Lage des
unaufhörlichen Betriebs rund um den Fußball.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.