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# taz.de -- Mieterschutz in Berlin: Das gallische Dorf im Prenzlauer Berg
> Die Gleimstraße 56 sollte an einen Investor verkauft werden, nun übt der
> Bezirk das Vorkaufsrecht aus. Ein Paradebeispiel für Milieuschutz.
Bild: Haben keinen Bock auf Stadtrand: MieterInnen der Gleimstraße 56
Protest lohnt sich. Zumindest für die Mieter der Gleimstraße 56 in
Prenzlauer Berg. Für ihr Haus – eines der letzten bezahlbaren Mietshäuser
im sonst durchgentrifizierten Gleimviertel –, wird der Bezirk Pankow das
erste Mal von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Ursprünglich sollte es
für 7,9 Millionen an einen Investor verkauft werden. Die Mieter fürchteten
Modernisierung und Verdrängung – und mobilisierten zum Protest.
Erfolgreich: Am Mittwoch nahm die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) die
Entscheidung des Bezirksamts, das Vorkaufsrecht auszuüben, ohne
Widersprüche zur Kenntnis. „Senat, Bezirk und Mieter haben an einem Strang
gezogen, wir sind sehr froh, dass das jetzt so durchgeführt wurde“, sagte
Fraktionsvorsitzende Cordelia Koch (Grüne).
Nur durch Zufall hatte Mieter Andreas Hartung im Juni diesen Jahres davon
erfahren, dass die „Gleim56“ verkauft werden sollte. Er erkannte sein Haus
auf einem Exposé einer Investorengruppe wieder, das mit hohen Renditen
warb. „Dadurch konnten wir relativ früh anfangen, aktiv zu werden“, so
Hartung.
In dem Haus wohnen unter anderem KünstlerInnen, StudentInnen und
RentnerInnen in insgesamt 30 Wohnungen, im Erdgeschoss gibt es eine Kita
mit 22 Plätzen. Die Sorge aller: Mit dem Eigentümerwechsel würden
unweigerlich Mietsteigerungen einhergehen. Für viele der BewohnerInnen
hätte das Verdrängung bedeutet. „Auf der Internetseite wurde angekündigt�…
erklärt Hartung, „dass alles an Modernisierung durchgeführt wird, was legal
möglich ist“. Die Modernisierungsumlage ermöglicht Eigentümern, 11 Prozent
der Modernisierungskosten dauerhaft auf die Miete umzulegen – und wird
deshalb oft für Mieterhöhungen missbraucht.
Die BewohnerInnen der Gleimstraße wollten das nicht hinnehmen. Sie
organisierten sich, veranstalteten mehrere Kiezspaziergänge unter dem Motto
„Kann denn Mieten Sünde sein?“ – das sorgte für viel mediale Aufmerksam…
und Solidarität unter den Nachbarn. Der Eigentümer zeigte sich aber an
Verhandlungen wenig interessiert und schnell wurde klar: Die einzige Chance
für die Gleim56 ist das kommunale Vorkaufsrecht des Bezirks, denn das Haus
liegt im Milieuschutzgebiet.
## Unterstützung vom Senat gefordert
Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) zeigte sich offen und die BVV beschloss
bereits am 4. Juli diesen Jahres, das Vorkaufsrecht durch den Bezirk zu
prüfen. Problem nur: Damit das Vorkaufsrecht angewandt werden kann, braucht
es einen Drittkäufer. Meistens sind das die landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften. Diese allerdings sind verpflichtet,
wirtschaftlich zu arbeiten.
Bei Verkaufspreisen von 7,9 Millionen Euro, wie bei der Gleim56, ist das
fast unmöglich. Der Baustadtrat forderte deshalb finanzielle Unterstützung
vom Senat an, um die Pankower Wohnungsbaugesellschaft GESOBAU beim Kauf zu
unterstützen. Der Senat sagte zu, wie hoch diese Summe genau war, wollte
die Pressesprecherin mit Verweis auf interne Informationen nicht sagen.
Auch die Hausgemeinschaft musste Zugeständnisse machen: Teile der
Mieterschaft stimmten einer Mieterhöhung von einem Euro pro Quadratmeter
zu.
Der Fall der Gleim56 ist ein Erfolg, offenbart aber auch die Beschränkungen
der Bezirkspolitik, die Entwicklung des Kiezes angesichts profithungriger
Investoren in eine sozialverträgliche Richtung zu steuern. „Der Effekt auf
die Mietpreise ist nicht besonders groß, wir hätten gerne mehr Mittel für
Drittkäufer zur Verfügung“, sagte Kuhn in Hinblick auf das Vorkaufsrecht
während eines Pressegesprächs am Mittwoch. Viele Wohnungsbaugesellschaften
winken aufgrund der hohen Grundstückspreise im Bezirk im Vorfeld ab.
Dies spiegelt sich auch in der Statistik wieder: In den letzten zwei Jahren
wurden 73 Verkäufe im Bezirk Pankow geprüft, lediglich bei 6 konnte die
Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung erzielt werden und nur einmal
wurde das Vorkaufsrecht ausgeübt – bei der Gleim56.
Ein weiteres Problem ist das mangelnde Personal in der kaputtgesparten
Verwaltung; lediglich ein Angestellter kümmert sich um die Prüfung mehrerer
hundert Verkaufsfälle. Umso wichtiger, dass sich betroffene Mieter
organisieren und Öffentlichkeit schaffen. „Die Mobilisierung der Mieter ist
notwendig“, so Kuhn, „um den Bezirk auf Verkäufe aufmerksam zu machen.“
14 Sep 2018
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Gentrifizierung
Prenzlauer Berg
Milieuschutz
Vorkaufsrecht
Ostberlin
Vorkaufsrecht
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Stadtentwicklung
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