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# taz.de -- Hausbesetzung in Berlin-Kreuzberg: Besetzer dürfen vorerst bleiben
> Aktivisten besetzen leerstehende Wohnungen, geräumt wird nicht. Der
> Eigentümer sagt Verhandlungen für die nächste Woche zu.
Bild: Kundgebung vor dem besetzten Haus in der Großbeerenstraße
Berlin taz | Der „Herbst der Besetzungen“ hat mit einem Doppelschlag
begonnen. Nachdem am Freitag etwa 70 AktivistInnen das Umspannwerk
Kreuzberg, den zukünftigen Ort des „Google Campus“, besetzen, folgt am
Samstag die Besetzung leer stehender Wohnungen in der Großbeerenstraße 17a.
War die Aktion gegen den Internetriesen nach zweieinhalb Stunden vorbei,
darf die „Hausprojektgruppe“ vorerst bleiben. Noch am Abend sagt der
Eigentümer zu, die BesetzerInnen zu dulden, bis die Verhandlungen über eine
künftige Nutzung abgeschlossen sind. Mindestens bis nächste Woche Freitag
ist eine Räumung damit abgewendet.
Am Samstagnachmittag gegen 16 Uhr lassen die BesetzerInnen an der
zerbröckelnden Fassade der Großbeerenstraße ein Transparent herunter:
„Spekulationen stoppen – Leerstand besetzen“ steht darauf. Mindestens in
zwei Wohnungen, die seit vielen Jahren leer stehen, sind sie zuvor
eingedrungen. Schnell ist die Polizei vor Ort, kann aber den Eigentümer,
die katholische Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH, über
Stunden nicht erreichen. Da so der für eine Räumung benötigte Strafantrag
nicht gestellt wird, halten sich die Beamten zurück.
Vor dem Haus kommen SympathisantInnen und AnwohnerInnen zusammen, im Laufe
des Abends werden es immer mehr. Es gibt Musik, die Stimmung ist gelassen.
Viele befürworten die Besetzung, nicht zuletzt, weil sie selbst von den
explodierenden Mieten im Kiez betroffen sind: „Solange es keine Gewalt
gegen Menschen gibt, hege ich grundsätzlich Sympathie für solche Aktionen“,
sagt Nathanael Siring, der seit drei Jahren in Kreuzberg wohnt, „es ist
völlig unmöglich, hier noch etwas Bezahlbares zu finden.“
Die BesetzerInnen, die sich als Hausprojektgruppe bezeichnen, sind nach
eigenen Angaben alteingesessen im Kiez und teilweise selbst von Verdrängung
bedroht. Sie wollen nicht nur einen Ort für ihr Hausprojekt finden, an dem
sie auch im Alter zusammenleben können, sondern auch gegen steigende Mieten
und spekulativen Leerstand protestieren. Die meisten Wohnungen des Gebäudes
sind schon seit zehn Jahren ungenutzt, in einem Kiez, dessen
Neuvermietungspreise zu den teuersten in Berlin zählen. „Häuser zu besetzen
ist eines der letzten Mittel, überhaupt noch bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen“, so eine Aktivistin während der Kundgebung.
## Rot und Grün zeigen sich solidarisch
Vor dem Haus sagt die Linke-Abgeordnete Gabi Gottwald: „Besetzungen sind
ein legitimes Mittel, um auf Leerstand aufmerksam zu machen.“ Auch die
Grünen treten innerhalb des Senats für einen anderen Umgang mit Besetzungen
ein. Die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne) plädiert vor Ort für
eine Entkriminalisierung von zivilem Ungehorsam und eine Abkehr von der
Berliner Linie, jener Polizeimaßgabe, die besagt, dass Besetzungen
innerhalb von 24 Stunden zu räumen sind.
Als sich der Eigentümer schließlich telefonisch meldet und sofort räumen
lassen will, bereiten sich die PolizistInnen und UnterstützerInnen schon
vor. Doch dann gelingt es Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und
Mieten der Grünen, einen Kompromiss auszuhandeln. Ein
Zwischennutzungsvertrag erlaubt es fünf BesetzerInnen zunächst, in einer
Wohnung zu bleiben; am Montag will der Eigentümer für Verhandlungen nach
Berlin kommen. Sichtbar erleichtert resümiert Schmidberger: „Es war ein
entscheidender Schritt weg von der Berliner Linie“. Gegen 20 Uhr war der
Polizeieinsatz beendet.
Weniger reibungslos verläuft die Aktion gegen Google am Freitag: Nach der
Besetzung des von dem Unternehmen geplanten Start-up-Zentrums ermittelt die
Polizei gegen mindestens vier Personen, die vorläufig festgenommen wurden
wegen Haus- und Landfriedensbruch sowie Körperverletzung.
Etwa 30 AktivistInnen waren zuvor in das Gebäude eingedrungen, weitere 40
hatten eine Blockade vor dem Eingang gebildet. Ihre Forderungen: Google
solle aus Kreuzberg verschwinden, eine Nachbarschaftsversammlung am selben
Tag über die Nachnutzung des Gebäudes entscheiden. Doch so weit kommt es
nicht. Als die Polizei überraschend gegen die Blockade vorgeht, stürmen die
BesetzerInnen aus dem Haus. Ein paar werden aufgehalten, die Mehrheit kann
sich ohne Kontrolle entfernen. Erst Minuten später rennen Polizisten durch
den Kiez, um noch Beteiligte festzunehmen. In der Reichenberger Straße
fassen Zivilbeamte einen jungen Mann und fesseln ihn. Ein Beamter habe ihn
getreten, berichten der Betroffene und ein Begleiter der taz.
Beide Aktionen dockten an die #besetzen-Kampagne an, in deren Rahmen zu
Pfingsten ein Haus in Neukölln und ein Ladenlokal in Kreuzberg besetzt
wurden. Der Senat diskutiert seitdem über die Berliner Linie; Grüne und
Linke wollen diese überarbeiten und nur noch räumen lassen, wenn ein
Eigentümer nachweisen kann, dass er Leerstand bald beseitigt. Im Aufruf zum
Herbst der Besetzungen vom Monatsanfang heißt es:„Wir werden besetzen, bis
wir es nicht mehr müssen.“
9 Sep 2018
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Hausbesetzung
R2G Berlin
Hausbesetzung
Wochenkommentar
Gentrifizierung
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