Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ostberliner Café-Betreiberin im Interview: „Geld hat nie eine Ro…
> Ursula Kriese hat ein großes Herz und eine große Klappe. In der DDR war
> sie kurzzeitig im Gefängnis. Seit 15 Jahren führt sie das Café Bohème in
> Prenzlauer Berg.
Bild: „Eines Tages bekam ich Besuch von der Stasi, ich hatte schlaflose Näch…
taz: Frau Kriese, wie hat sich Ihr Publikum in diesem Kiez verändert?
Ursula Kriese: Es gibt hier Familien, die schon vor zehn oder fünfzehn
Jahren Wohnungen gekauft haben, mit denen kommen wir gut klar, manche
unterstützen uns auch sehr. Das ist für mich schon fast Altbestand. Aber
heute können sich hier bei Neuvermietungen normale Bürger kaum mehr die
Mieten leisten. Also: Das, was den Kiez früher ausgemacht hat, die soziale
Mischung, die ist weg. Und trotzdem ist hier noch irgendwas.
Was denn?
Kürzlich hat sich hier zum Beispiel ein Verein gegründet, der ein
Straßenfest organisieren will. Als der Edeka an der Ecke schloss, haben sie
zum Abschied gesungen.
Gibt es noch alte Leute?
Eine Handvoll. Der Rest ist weggestorben oder weggezogen. Ich kann von
Glück sagen, dass ich einen alten Mietvertrag habe.
Macht Ihnen das nichts aus, hier so allein auf weiter Flur zu sein?
Unter anderem deshalb betreibe ich hier das Café Bohème. Es ist eine der
letzten Anlaufstellen für die wenigen Alten, die es hier noch gibt.
Manchmal rufen sie an, dann kaufen wir für sie ein oder gehen bei ihnen
einen Kaffee trinken, wenn ich mal was koche, lasse ich ihnen ein Essen
bringen. Montags treffen sich hier immer welche zum Schach. Wir betreuen
aber auch junge Leute, zum Beispiel Flüchtlingsfamilien, wir unterstützen
sie etwa bei der Wohnungssuche. Einmal hatten wir eine Familie, da wurde
das Kind so gemobbt, dass es versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Ist
das nicht furchtbar?
Allerdings. Sie sind hier im Kiez aufgewachsen, richtig?
Zuerst haben wir direkt am Alex gewohnt, in der Mendelssohnstraße. Dann hat
aber Ulbricht den ganzen Alex neu gemacht und wir mussten in die
Immanuelkirchstraße umziehen: Vati, Mutti und fünf Kinder.
In dieser Wohnung leben Sie heute noch?
Ja. Ich habe da meine Tochter großgezogen. Meine Mutter war ein guter Typ.
Ich weiß noch, wie ich mal mit 18 oder 19 einen bulgarischen Freund hatte,
einen Musiker, der immer mit seiner ganzen Kapelle bei uns geübt hat. Meine
Mutter wollte nicht, dass ich immer so viele Leute anschleppe. Ich bin dann
zu meinem Freund gezogen. Mutti hat uns sogar eine Matratze geschenkt.
Später hat sie mir dann erzählt, wie glücklich sie gewesen ist, dass ich
endlich raus war. Aber dann hat es nicht einmal eine Woche gedauert, da
stand ich schon wieder vor der Tür. Als ich dann vierzig war, wollte sie
schließlich ausziehen.
Wie bitte?
Ja! Da war ich wirklich entsetzt, ich konnte es nicht fassen. Wir hatten
wunderbar zusammengelebt! Sie sagte nur: Jung für Jung und Alt für Alt,
jetzt reicht’s mal. Erst später habe ich sie dann wieder zu uns geholt, und
sie hat bis zu ihrem Tod bei uns gelebt.
Was war denn das Besondere an Ihrer Mutter?
Dazu muss ich eine Geschichte erzählen. Kurz vor Ende des Kriegs, als man
gar keinen Pass bekommen hat, ist meine Mutti mit meinem großen Bruder und
hochschwanger zu Fuß von Berlin nach Holland gegangen. Mein Vater war dort
stationiert, und sie hatte mitbekommen, dass er dort eine Holländerin
kennengelernt hatte. Mein Vater konnte es gar nicht fassen. So war meine
Mutter. Meine Brüder waren frech und haben oft die Schule geschwänzt, bis
ich eines Tages fand, man müsste das mal Vati erzählen. Da sagte sie nur:
Uschi, petzen ist das Allerschlimmste. Sie hat immer Entschuldigungen für
meine Brüder geschrieben. Mein ältester Bruder war sehr regimekritisch,
nach sechs Jahren Gefängnis in der DDR und dem Tod seiner Frau ging er nach
Westberlin. Meine Mutter hat ihm da die Miete bezahlt. Und wenn wir dagegen
was gesagt haben, hat sie uns nur einmal streng angeguckt, um uns zum
Schweigen zu bringen. Sie hat alle ihre Kinder verwöhnt.
Sie auch?
Selbstverständlich! Wenn ich mal spät dran war, hat sie mir noch die
Zahnpasta auf die Zahnbürste gedrückt, da war ich schon Mitte dreißig.
(lacht)
Wie sind Sie denn Cafébetreiberin geworden?
Eigentlich wollte ich nach der 10. Klasse Säuglingsschwester werden, wegen
meiner besten Freundin Marita, die diesen Beruf lernen wollte. Wir haben
uns bei einer Kinderstation für psychisch Kranke beworben, das war ganz
schön dunkel da. Und die hatten alle eine Macke. Ich wurde beim
Einstellungsgespräch gefragt, wann Lenin geboren ist, dass muss man sich
mal vorstellen!
Wurden Sie genommen?
Ich schon, aber Marita nicht. Da habe ich bald geweint. Irgendwann in den
Ferien habe ich dann meiner Mutti gestanden, dass ich da nicht anfangen
möchte. Und sie hat tatsächlich eine Kündigung für mich geschrieben und sie
dort für mich abgegeben. Sie hat dann ganz großes Theater bekommen, denn
das war zu DDR-Zeiten ziemlich schlimm, wir hatten ja eine Lehrstelle
blockiert. Trotzdem haben sie mir dann eine Stelle im Operncafé vermittelt,
das hat mir unerhörten Spaß gemacht. Ich habe es nie bereut, in die
Gastronomie gegangen zu sein.
Haben Sie dann immer in der Gastronomie gearbeitet?
Ja. 1978 habe ich den Brecht-Keller in der Chausseestraße mitaufgemacht,
das war eine tolle Zeit. Am Anfang war es ein bisschen schwierig, weil man
unterschiedliche Preisstufen zugeteilt bekam. Wie im Theater hatten wir
natürlich Holztische ohne Tischdecken und die großen Steine im Gewölbe
freigelegt. Aber wir brauchten die Genehmigung einer hohen Preisstufe, um
gutes Fleisch zu bekommen, Filet und so was, wir wollten ja Wiener Küche
kochen, nach Rezepten von Helene Weigel. Da mussten wir ganz schön kämpfen.
Sie haben sicher gewonnen?
Ja, und es wurden lustige Zeiten. Wir hatten den besten Koch, den ich je
erlebt habe, wenn ich an seine Klöße denke, werd ich heute noch schwach.
Unsere Speisekarte wurde alle vierzehn Tage neu gemacht, und alle Gerichte
hießen Versuche, wie Brechts Theaterstücke. Wir haben tolle Leute kennen
gelernt. Es kamen vor allem Diplomaten, auch die aus der westdeutschen
Vertretung, außerdem Mitglieder des Zentralkomitees der SED, die Crème de
la Crème der DDR. Konrad und Markus Wolf haben sich bei uns immer mit ihren
Schwestern aus Westdeutschland getroffen. Bei uns wurde viel gefeiert, und
wir hatten viel Spaß.
Bis wann haben Sie das gemacht?
Also. Bei uns kam man ja nur rein, wenn man klingelte. Also kannte man alle
seine Gäste beim Namen, die normalen und die prominenten. Darum wollte die
Stasi, dass ich für sie arbeite.
Ja?
Ja. Eines Tages bekam ich Besuch von einem, der hat mich sogar beim
Einkaufen begleitet. Und ich hatte schlaflose Nächte. Ich wusste nicht, wie
ich aus dieser Nummer rauskommen sollte. Dann habe ich diesem Mann eines
Tages gesagt, dass ich damit nicht klarkomme. Und dass ich es deshalb allen
erzählt habe. Da wurde der auf einmal ganz blass. „Wirklich allen?“, fragte
er. Von da an habe ich nie wieder was von denen gehört.
Als IM waren Sie untauglich?
Genau. Nun war es aber so, dass viele unserer Stammkunden vom ZK in ihrer
Freizeit auf Jagd gegangen sind. Und einige haben uns dann ihr Fleisch
gebracht. Damit sind wir eines Tages bei der Inventur reingefallen. Wir
mussten zum Arbeitsgericht, wegen Unterschlagung. Ich denke, wir wurden
angeschwärzt, eines Tages muss ich wohl doch noch mal meine Akte lesen.
Was passierte dann?
Ich musste fünf Monate ins Gefängnis, in der Keibelstraße. Also, das war
schlimm. Meine Tochter war damals erst sieben Jahre alt, und ich wusste ja
nicht, was wird. Ich war ja eigentlich für die DDR, ich wäre nie auf die
Idee gekommen, einen Ausreiseantrag zu stellen. Aber im Gefängnis, da habe
ich diesen Sozialismus wirklich überhaupt nicht mehr verstanden. Die
meisten saßen da wegen sogenannten asozialen Verhaltens, weil sie nicht
gearbeitet haben. Die haben da Leuchtstoffröhren am Fließband hergestellt,
auch für den Westen, und ich habe nicht verstanden, wie die hier ackern
konnten wie die Blöden und warum die nicht genauso gut draußen hätten
ackern können. Also, ich habe mich im Gefängnis über alles beschwert. Eines
Tages habe ich auf dem Weg zur Vernehmung ein junges Mädchen getroffen, die
war Punk und wegen Zusammenrottung ins Gefängnis gekommen. Da war ich
wirklich empört und fragte die, wie das denn sein kann, so ein junges
Mädchen von der Schule abzuhalten! (lacht)
Wie fühlten Sie sich bei der Entlassung?
Ach, wir hatten da im Gefängnis eine ganz gemütliche Gemeinschaft. Wir
haben auch lustige Sachen gemacht. Zum Beispiel am Wochenende, wenn man
nicht gearbeitet hat, da haben wir Modenschauen organisiert. Als ich dann
ganz plötzlich nach fünf Monaten entlassen wurde, da haben sie alle
angefangen zu weinen, da kam ich mir richtig gemein vor. Das war wirklich
komisch. Der Mensch gewöhnt sich wirklich an alles.
Warum durften Sie eigentlich nach Hause?
Ich bin freigesprochen worden, und das soll schon etwas heißen zu
DDR-Zeiten.
Und dann?
Ich hätte wieder im Brecht-Keller anfangen können, aber das wollte ich
natürlich nicht, da kam mir das Kotzen, wenn ich da vorbeifuhr. Zum Glück
kannte ich viele Leute. Also konnte ich irgendwann im Café Moskau anfangen,
an der Natascha-Bar. Bis 1992 war ich dort, die schönste Zeit für mich.
Warum?
Das Moskau war die Welt. Gegenüber hatten wir ja einen Exquisit-Laden, die
hatten wirklich Qualität, ich habe heute noch einen Wollrock vom Exquisit,
der geht nicht kaputt. Also gingen alle da einkaufen, und anschließend
kamen sie ins Moskau. Der Höhepunkt waren die englischen Soldaten, die in
Westberlin stationiert waren. Die haben auf ihrem Dudelsack gespielt,
gesoffen und alles kaputt gehauen. Wir mussten da regelmäßig die
Militärpolizei rufen, ich will nicht wissen, was deren Botschaft immer für
Rechnungen bekam. Die Besten waren aber die Amis. Da hast du so viel
verdient, dass wir den Laden hätten zumachen können und den Rest des Monats
nicht mehr hätten arbeiten müssen. Die haben den russischen Sekt
kistenweise bestellt. Und hatten am Ende sehr viel übrig. Das haben sie uns
dann einfach in die Hand gedrückt, wenn sie gegangen sind.
Kamen auch Westberliner?
Jede Menge! Wir hatten hier ja Prostituierte, das hatte ich am Anfang gar
nicht kapiert, weil die wirklich toll aussahen und sehr intelligent waren.
Es gab auch viele Männer aus Westberlin, die in Ostberlin eine zweite
Familie hatten. Die mussten ja nur 100 Westmark umtauschen, von 600 Ostmark
konnte eine Frau mit Kind im Osten einen Monat lang gut leben. Sie können
sich gar nicht vorstellen, was sich da für Dramen abspielten, als die Mauer
fiel.
War die Wende auch für Sie ein Drama?
Ich habe erst einmal mit meinem damaligen Lebensgefährten eine
Reinigungsfirma aufgemacht. Ich dachte, ich kenne genug Leute, das könnte
was werden. Aber es hat nicht geklappt. Dann habe ich hier 1998 eine
Boutique aufgemacht, zum Teil An- und Verkauf, zum Teil neue Sachen. Ich
hatte Kunden, die kamen einmal im Jahr von weit her. Aber dann, 2000 oder
2011, zogen auf einmal so viele Alte weg, und ich habe kaum mehr Umsatz
gemacht. Ich musste den Laden aufgeben. Ich kam mit Freunden und ehemaligen
Kunden auf die Idee, einen Verein zu gründen. Das Café ist Teil des
Projekts von diesem Verein.
Und wie läuft es so mit dem Café?
Ach, Geld hat bei mir noch nie eine Rolle gespielt. Es interessiert mich
nicht. Manchmal habe ich welches, manchmal habe ich keins. Manchmal ist das
nicht gut, wenn ich einkaufen gehe und gar nicht vorher daran gedacht habe,
dass ich eigentlich gar kein Geld in der Tasche habe. Manchmal ist es aber
auch gut, denn ich bin wirklich an der Grenze und habe mich trotzdem nie
arm gefühlt. Ich verstehe es einfach nicht, warum die das nicht endlich mit
diesem Grundeinkommen machen.
Wie finanziert sich das Café?
Mit der Miete kommen wir gerade immer so hin. In guten Jahren bekommen wir
gute Spenden, auch von Leuten, die hier wohnen. Oft war es so, dass ich im
Sommer dachte, es geht nicht weiter, aber dann kam plötzlich eine Spende
rein oder eine Stiftung half uns ein bisschen, so dass wir doch wieder
einigermaßen über die Runden kamen.
Was ist denn dran am Klischee von den schrecklichen Müttern von Prenzlauer
Berg?
Es gibt furchtbar liebe. Manchmal sind aber auch blöde drunter. Aber die
sind überall drunter.
Zum Beispiel?
Na ja, wenn die Kinder immer keine Laktose vertragen, verstehen Sie?
Ich glaube schon.
Und wenn die Kinder überhaupt nichts Süßes dürfen. Ich meine: Meine Tochter
hat auch nur am Wochenende Süßes bekommen. Aber ich finde es einfach
furchtbar, wenn ich einem Kind ein einziges Gummitierchen anbiete und es
das Gummitierchen auch schon gesehen hat, und dann geht die Mutti doch noch
dazwischen.
Sie sind doch eigentlich eine Art Hippie, oder?
Also, diese Zeit ist wirklich vorbei.
Bestimmt haben Sie Ihre Tochter eher lässig erzogen.
Es war frei, es war locker bei uns. Aber wenn meine Tochter ihm Hof
gespielt hat, wusste ich trotzdem immer eine Minute vorher, wenn sie
klingelt. Wenn es nämlich anfing, dunkel zu werden. Ich sagte dann: Hättest
doch noch eine Stunde bleiben können. Und sie immer: Nein Mutti, es wird
dunkel. Das Einzige, was ich immer gewollt habe, war: Sie musste ihre
Zimmertür zumachen, damit ich nicht ihre Unordnung sehen muss. Meine
Tochter sagt heute noch: Erzogen hast du mich nicht. Ich habe mich selbst
erzogen.
Ist das nicht besser, als immer an den Kindern herumzulaborieren?
Ja also, das kann ich wirklich nicht leiden.
Zum Beispiel?
Es gibt schon solche Situationen hier im Café, da schwellen mir die
Halsadern. Mutter zum dreijährigen Sohn: „Schatz, das haben wir doch zu
Hause besprochen, dass das nicht mehr passiert, das haben wir doch
ausgemacht, das geht nicht.“ Zu einem Dreijährigen! Ich meine, die sagen zu
Hause was, und nachher haben sie es doch schon wieder vergessen! Und dann:
Da diskutieren die – und ich will Feierabend machen – und da diskutieren
die immer noch ihre Abmachung! Da hätte ich das Kind schon längst
geschnappt und nach Hause geschleppt. Die beruhigen sich doch wieder!
Was haben Sie gemacht?
Ich habe zu diesem Kind gesagt: „Pass auf, du zeigst jetzt mal deiner
Mutti, wie schnell du dich anziehen kannst, und wenn du das nächste Mal
kommst, dann kriegst du was Schönes von mir.“ Zack, zack, war das Kind
fertig.
21 Apr 2019
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Ostberlin
Gentrifizierung
Berlin Prenzlauer Berg
Gastronomie
Kaffee
Gentrifizierung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mietenwahnsinn in Berlin: Schwarm gegen Gentrifizierung
Die Menge macht’s: Der queere Sonntags-Club im Prenzlauer Berg geht mit
Crowdfunding gegen eine Mieterhöhung von 1.000 Euro an.
Berliner Szenen: Die 11. Phase der Gentrifizierung
Eine Tasse Kaffee für 4 Euro? Das geht jetzt auch in Nordneukölln. Ein
Besuch in The Barn, dem neuen Hipster Heaven in der Friedelstraße.
Mieterschutz in Berlin: Das gallische Dorf im Prenzlauer Berg
Die Gleimstraße 56 sollte an einen Investor verkauft werden, nun übt der
Bezirk das Vorkaufsrecht aus. Ein Paradebeispiel für Milieuschutz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.