# taz.de -- Pro und Contra zu #MenAreTrash: System gegen Individuum | |
> Unter dem Hashtag #MenAreTrash soll über strukturelle Gewalt diskutiert | |
> werden. Doch ist es okay, alle Männer als Abfall zu bezeichnen? | |
Bild: Schubladendenken gehört auf den Müllhaufen der Geschichte | |
Auf Twitter wird derzeit unter dem Hashtag #MenAreTrash über Patriarchat | |
und strukturelle Gewalt gegen Frauen diskutiert. Und gestritten. Vor allem | |
darüber, ob es okay ist, Männer pauschal als „Müll“ zu bezeichnen. Ist es | |
das? | |
## Ja, sagt Daniel Schulz | |
Der Slogan [1][#MenAreTrash] ist nicht nett. Warum sollte er das auch | |
sein? Woher kommt die Idee, gesellschaftliche Veränderungen würden mit | |
Anstand erreicht? Das geht in Ausnahmefällen, die Machthaber sind da meist | |
bereits am Ende. Hat in Armenien in diesem Frühjahr funktioniert. Hat am | |
Ende der DDR halbwegs geklappt. Ist aber nicht die Regel. | |
Die Französische Revolution war nicht friedlich. Die Konflikte mit den | |
alten Eliten nach Ende des Kaiserreichs waren nicht friedlich. Oder wenn | |
man es kleiner haben will: Was wären all die Kämpfe für kürzere | |
Arbeitszeiten und mehr Lohn ohne sichtbare Wut gewesen, die dem politischen | |
Gegner sagte: Verhandele mit uns, oder es wird ungemütlich. Wut | |
auszudrücken, wenn es nicht vorangeht mit den Veränderungen, die man | |
erreichen will, gehört zum Repertoire sozialer Bewegungen. Ohne Wut als | |
Druckmittel, ist die relative Nettigkeit von Verhandlungen über diese | |
Veränderungen nicht möglich. | |
Wer den Vergleich von twitternden Frauen mit Menschen, die noch ordentlich | |
im Straßenschmutz gekämpft haben, lächerlich findet: Das Lächerlichmachen | |
von Wut gehörte immer schon zum Repertoire der Gegner von sozialen | |
Veränderungen. Und wollen die, die so reden, ernsthaft die radikalen | |
Suffragetten zurück, die Briefkästen in die Luft jagten und Häuser | |
anzündeten, weil es in Großbritannien unter George V. nicht vorangehen | |
wollte mit dem Wahlrecht für Frauen? | |
Ja, #MenAreTrash adressiert eine Gruppe. Pauschalisierung nennen das auch | |
Linke. Es gäbe doch nette Männer. Es gab auch nette Adlige im Ancien | |
Régime. Es gibt auch nette Fabrikbesitzer. Sie gehörten und gehören dennoch | |
zu Gruppen, deren Macht beschnitten werden muss, um mehr Freiheiten für | |
andere zu erreichen. | |
In Gruppen sind immer manche mächtiger und rücksichtsloser als andere. | |
Dennoch sind nicht die Individuen selbst das Hindernis für | |
Gleichberechtigung, sondern die Privilegien der Gruppe und das daraus | |
abgeleitete Verhalten ihrer Mitglieder. Wie der Adlige wird der Mann in | |
seinen Status hineingeboren. Dafür kann er nichts. Seine Vorrechte | |
beschränken die Freiheiten von Frauen trotzdem. Dass der Graf auf seiner | |
Burg saß, während der Mann abends neben einem im Bett liegt, ändert daran | |
grundsätzlich nichts. Welche Vorrechte? Welches Verhalten? Kann man | |
googeln. Oder sehen. Wer schlägt wen häufiger? Wer tötet wen, und welche | |
Strafen gibt es dafür? Wer nimmt Elternzeit, und wer geht arbeiten? Wer | |
quatscht wem im Büro ständig rein? Wer spricht öffentlich? Wer macht die | |
unbezahlte Arbeit zu Hause? Wer wechselt den Namen nach der Hochzeit? | |
Das sind sehr verschiedene Dinge. Ihr Zusammenspiel macht ein System aus. | |
Wer sie nur einzeln betrachtet, erkennt natürlich keins. Die neoliberale | |
Idee, so etwas wie eine Gesellschaft mit Strukturen und Zwängen und | |
Vorrechten für die einen und Nachteilen für die anderen gäbe es gar nicht, | |
ist recht populär. Man könnte sich aber auch fragen: Gibt es Zusammenhänge? | |
Gibt es – zum Beispiel – bei der Erziehung von Männern, gemeinsame | |
Elemente, die Gewalttätigkeit, Rücksichtslosigkeit und Grenzüberschreitung | |
fördern? Könnte man fragen, jedenfalls dann, wenn man sich ernsthaft als | |
links versteht. | |
*** | |
## Nein, sagt Ariane Lemme | |
Das Herz [2][linken Denkens] ist, das Individuum statt die Masse zu sehen. | |
Weil man den einzelnen Menschen, wenn man ihn mal wirklich sieht, mit | |
seiner Geschichte, seinen Identitäten und Brüchen, kaum hassen kann. | |
Schlechter jedenfalls als gesichtslose Gruppen. Das ist, zumindest für | |
mich, der wichtigste Schluss, der sich aus der Geschichte, aus Barbarei und | |
Unterdrückung jeder Art, ziehen lässt. | |
Linkssein, dachte ich immer, speist sich eben auch daraus, sich nicht der | |
rechten Praxis der Verallgemeinerung zu bedienen. Sondern schlauer zu sein. | |
Mitfühlender. Genauer hinzuschauen. | |
Wir lassen uns ja zum Glück auch sonst nicht von der Lüge der falschen | |
Ableitung leiten, wie es Rechte gern tun. Etwa dann, wenn die von einem | |
verwirrten Gotteskrieger auf „eine Religion des Terrors“ schließen. Von | |
einer Belästigung auf „Horden von Nordafrikanern“. Wir wissen: Das ist | |
Gift. | |
Klar, und was ist mit „Soldaten sind Mörder“, „all cops are bastards“, | |
rufen mir Kollegen zu. Urlinke Schlachtrufe! Ja, fand ich auch mal probat. | |
In meinen Prä-Twenties, als ich linkes Denken noch mit Krawallaktivismus | |
verwechselt habe. Und, ach ja: Wann noch mal wurden Polizeistaat und Kriege | |
für immer abgeschafft? | |
Das irgendwie soll doch zumindest mit dem Patriarchat passieren, oder? Die | |
Frage ist, wie wir es anstellen. | |
Alle Männer müssen sich jetzt bitte mal kurz hinsetzen und über ihren Part | |
im System nachdenken, heißt es. Da braucht es eben mal Verallgemeinerung. | |
Sorry, aber erinnert das nicht irgendwie an Kritik und Selbstkritik? Wir | |
erinnern uns, wie das – haha, linke – Projekt des Sozialismus ausging. Wen | |
soll das bekehren außer den Bekehrten? | |
Den Bekehrten zu predigen und andere vor den Kopf zu stoßen, ist allerdings | |
[3][leider Lieblingshobby und ewige Falle der Linken]. Aber was haben wir | |
von den Bekehrten, den Männern, die sich jetzt schämen? Was für Partner – | |
im Leben, in der Liebe aber auch im Kampf gegen Unterdrückung von Frauen – | |
sollen an ihrer Kollektivschuld leidende Männer sein? | |
Klar, ein Hashtag wie #MenAreTrash tut nicht wirklich weh. Das können | |
diese durch Jahrtausende der Unterdrückung gestählten Kerle schon mal | |
wegstecken. Diese Maschinen. Ein Hashtag schmerzt nicht so, wie | |
Ungleichheit, Belästigung, Rassismus schmerzen. Und ja, Wut ist gut und oft | |
ein Motor für Veränderungen. | |
Aber ich stelle trotzdem mal eine steile These auf: Als Individuum, als | |
Wesen mit Gefühlen und Trieben, ticken die meisten Menschen, Männer wie | |
Frauen, sehr ähnlich, ganz gleich welcher Gruppe, welchem System sie | |
angehören. Ganz gleich, auf welcher Seite – wenn wir schon im alten | |
Barrikadendenken bleiben wollen – sie stehen. Auf Provokation reagieren die | |
meisten nicht mit stiller Einkehr und Einsicht – sondern mit Trotz. Denken | |
hingegen – ganz gleich in welche Richtung –, löst das Reiz-Reaktions-Schema | |
quasi nie aus. | |
Aber vielleicht geht’s auch gar nicht darum, gemeinsam nachzudenken. Die | |
Aufklärung, schrieben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, hebelte sich | |
selbst aus, als ein neues Wirtschaftssystem entstand, das allem einen | |
Marktwert zuwies. | |
Und was ist heute schon so viel wert wie mediale Aufmerksamkeit? | |
16 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?q=%23MenAreTrash&src=tyah | |
[2] /Debatte-Linkssein/!5345935 | |
[3] /Debatte-Political-Correctness/!5491899 | |
## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
Daniel Schulz | |
## TAGS | |
Frauen | |
Männer | |
Sexismus | |
Aufklärung | |
Dummheit | |
Gewalt gegen Frauen | |
Patriarchat | |
Feminismus | |
Krimi | |
Mesut Özil | |
Kolumne Habibitus | |
Schwerpunkt 1968 | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte in Frankreich: Feministischer Burn-out | |
Sollen Frauen Männer hassen? Darüber diskutiert Frankreich nach einem Buch. | |
Eine Begegnung mit der Autorin Pauline Harmange. | |
Autor Till Raether über weiße alte Männer: „Privilegien ändern sich langs… | |
Der Hamburger Autor Till Raether maßregelt alte weiße Männer, berichtete | |
von seinen Depressionen auf Twitter und schreibt Krimis, die politische | |
Fragen verhandeln. | |
Debattenkultur in Deutschland: Zeit des Missvergnügens | |
Trump, Özil, Asyltouristen – dieses Land ist im Begriff, sich an | |
selbstzerstörerische kommunikative Standards zu gewöhnen. Helfen könnte der | |
alte Kant. | |
Kolumne Habibitus: Ich bin einfach nur sauer | |
Weil ich ein explizites Gedicht geteilt habe, wurde ich 24 Stunden bei | |
Facebook gesperrt. Das ist nicht nur nervig – es offenbart auch Strukturen. | |
Dramaturgin über Männer und 68: „Ich wollte kein Freiwild sein“ | |
Brigitte Landes hat 68 mittendrin erlebt, aber sie hielt auch Distanz, | |
vieles war ihr nicht geheuer. Ein Gespräch mit der Dramaturgin über falsche | |
Autoritäten. | |
Debatte Political Correctness: Keine Angst vor Streit | |
Eigene Erfolge zu feiern ist schön. Aber die Linke muss sich auch trauen, | |
ihr Denken an der Auseinandersetzung mit Rechten zu schärfen. |