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# taz.de -- Debattenkultur in Deutschland: Zeit des Missvergnügens
> Trump, Özil, Asyltouristen – dieses Land ist im Begriff, sich an
> selbstzerstörerische kommunikative Standards zu gewöhnen. Helfen könnte
> der alte Kant.
Bild: Diese Art der Debatte gehört in den Müll
Du bist Abfall – so was sagt man nicht. Auch nicht als Erwiderung, sollte
das Gegenüber auf die Idee verfallen, mich, dich, uns oder Sie als Person
so zu bezeichnen. Menschen sind kein Abfall. Nie. Männer, Frauen,
Transgender: nie. Niemand verdient es, so genannt zu werden. Dass es
trotzdem passiert, beweist nicht, dass es ab jetzt eben geht. Sondern dass
im Miteinander inzwischen ein weiterer Standard geschleift worden ist.
Warum muss etwas derart Banales hier klargestellt werden? Unter dem
Schlagwort #MenAreTrash (Männer sind Abfall) ist in der Internetblase
Twitter ein Streit hochgekocht [1][zu der Frage, ob Männer nun Abfall sind.
Oder ob nicht.] Obwohl sich dabei vor allem Männer in der … nun, sagen wir:
Debatte … also, obwohl sich da vor allem Männer von ihrer unterirdischsten
und frauenverachtendsten Seite präsentieren, ist es eine Frage der
Selbstachtung, sich nicht auf eben dieses Niveau zu begeben.
Um geschlechterpolitisch etwas zu bewegen, braucht es Gleichgesinnte. Doch
jene, die mit der Aktionsform der Schmähung gewonnen werden, wollen
ausschließlich skandalisieren. Und jene Männer und Frauen, die
Geschlechtergerechtigkeit längst leben, werden brüskiert. Das führt zu
genau: nichts.
Nur zu, nennen Sie diese Sicht auf die Dinge altmodisch. Oder
konfliktscheu. Aber bei Auseinandersetzungen – erst recht bei
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – hilft im Zweifel der gute alte
Kategorische Imperativ des Philosophen Immanuel Kant: „Handle so, dass die
Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten könnte.“ Griffiger formuliert: Was du nicht willst, das
man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Noch kürzer: Heute die, morgen
du.
Unterste Standards
Es ist gar nicht nötig, sich zu fragen, ob das jeweilige Gegenüber
Schmähungen zu ertragen bereit ist. Es reicht völlig, sich zu
vergegenwärtigen, dass man selbst nicht gedemütigt werden möchte. Und dass
man aus dieser Erkenntnis heraus ethisch handelt.
Mit Blick auf den zurückliegenden Sommer muss leider festgestellt werden,
dass der Ton der gesellschaftlichen Debatte immer kränkender geworden ist.
Und dass dieses Land beginnt, sich an unterste Standards zu gewöhnen.
In Washington koffert US-Präsident Donald Trump seine Kritiker an. In
Deutschland [2][schwadroniert Markus Söder über Geflüchtete] als
„Asyltouristen“. Ein Fußballer mit Zuwanderungsgeschichte [3][wird durch
den Meinungsfleischwolf] gedreht. In der #MeTwo-Debatte um rassistische und
klassistische Diskriminierungserfahrungen [4][weicht das Zuhören alsbald
fiesen Bezichtigungen].
Man kann das natürlich so machen: Gruppen markieren und so lange
beleidigen, bis sie zurückschlagen. Rechthaberisch auftreten, Debattenräume
weiträumig abriegeln, Zweifelnde der Kollaboration bezichtigen und sich
selbst zum Opfer der eigenen Skandalisierung stilisieren. Aber was macht
das mit uns als Gesellschaft?
Keine Macht dem Stilverlust
„When they go low we go high.“ Diesen klugen Satz sagte Michelle Obama im
letzten Präsidentschaftswahlkampf. Den ethischen Grundsatz, dem Gegner
nicht den Gefallen zu tun, sich auf dessen Niveau herabzulassen, leitete
sie aus dem Umgang mit ihren Töchtern ab. „Sprache bewirkt etwas“, sagte
Obama, „was wir tun und sagen, bedeutet etwas.“
Und ja, das tut es. Den Ton auf schrill zu stellen und diesen Stilverlust
als neuen Standard zu proklamieren schließt all jene aus, die in der Sache
auch etwas beitragen könnten. Die es aber nicht wollen, solange das Prinzip
gilt: „Wer schreit, hat recht.“
Die Wut anderer wahllos und in immer kürzeren Abständen zu triggern führt
zur Gewöhnung an einen ohne jeden politischen Effekt verpuffenden Aufruhr.
Es macht einen Unterschied, ob Meinungen jemandem vor den Latz geknallt
werden oder gleich unter die Gürtellinie gehen. Und es macht so müde, das
überhaupt noch aufschreiben zu müssen.
19 Aug 2018
## LINKS
[1] /Pro-und-Contra-zu-MenAreTrash/!5528665
[2] /Rechte-Kampfbegriffe-zu-Migration/!5513699
[3] /Kolumne-Luegenleser/!5519615
[4] /Hashtag-MeTwo/!5520297
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Mesut Özil
#MeTwo
Markus Söder
Frauen
Sprache
Mesut Özil
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