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# taz.de -- Berlin-Konzert der Dirty Projectors: Zickzackkurs der Killerwale
> Am Dienstagabend gastierte die US-Popband Dirty Projectors im Berliner
> Heimathafen Neukölln. Ihr Auftritt war begeisternd.
Bild: Wo ist die Schwerkraft? Dave Longstreth am Dienstagabend im Heimathafen N…
Der Abend beginnt unspektakulär mit dem britischen Künstler Westerman, der
mit seinem Kompagnon kaum gegen den Smalltalk des Publikums ankommt und
ehrfürchtig bemerkt, alle warten bloß auf die Dirty Projectors. Ist ja auch
eine Weile her, seit 2012 hat die US-Band nicht mehr in Europa gespielt.
Ihr Konzert in Berlin am Dienstagabend ist das einzige auf dem Kontinent,
bei dem sie als Hauptact und nicht im Rahmen eines Festivals spielt.
Dementsprechend gespannt wartet man im vollen Heimathafen Neukölln, geht
noch mal in den Garten eine rauchen. Werden sie die Studiofassungen auf der
Bühne wuppen können?
Sie können. Flankiert von fünf MusikerInnen betritt Dave Longstreth die
Bühne, stöpselt die Gitarre ein, gibt bekannt, es werden nun einige neue
und alte Songs gespielt. Um dann ohne viel Federlesens loszulegen: „Found
it in U“, ein Song vom neuem Album „Lamp Lit Prose“. Haken schlagend der
Beat, er wird von Drummer Mike Johnson motorisch und kraftvoll gespielt, so
dass er trotz Zickzack straight klingt, dazu voluminös das Gitarrenriff,
Longstreth und Maia Friedman, die zweite Gitarristin, stellen es unisono
noch stärker heraus. Friedman singt auch, genau wie die Musikerinnen
Felicia Douglass und Kirstin Slipp, die außerdem Percussion und Keyboards
bedienen.
## Volle Konzentration
Ihr Zutun ist mehr als nur „Background“-Efeu, die Refrains der Musikerinnen
betten die Songs ein. Dirty Projectors war nie das Mackerprojekt von Dave
Longstreth. Wieder zur Band zurückgekehrt ist Bassist Nat Baldwin, der
hinten links steht, manchmal nickt, ansonsten tief konzentriert – wie alle
auf der Bühne – zu Werke geht. Vielleicht, um Dave Longstreth zu erden, der
links und rechts vom Mikrofonständer umher schwirrt, dessen Körper nicht
der Schwerkraft unterworfen scheint und dem beim Singen die Konturen seiner
Gesichtsmuskeln verlustig gehen.
„I found it in U“ fängt an wie ein dystopisches Liebeslied aus dem Weltraum
und entpuppt sich als Ode an die universale Botschaft von Popmusik. „When
we met there were alien hosannas / Thrown from the heavens like Prince and
Nirvana.“ Metapop, lautes Nachdenken über die Künstlerexistenz im Zeitalter
von Autotune. Trotz aller schlechter, nicht verarbeiteter Träume, was soll
er sonst machen als weitersingen? Am vermeintlichen Songende, die
Instrumente werden leiser, verstummt Longstreth kurz und prägnant, bis die
Musikerinnen a cappella weitersingen und er wieder mit einstimmt. Ein
erstes Wow und gutes Omen fürs Konzert.
Auch „Break-Thru“, Song Nummer zwei, stammt vom neuen Album und wird von
einem unnachahmlichen, Highlife-inspirierten Gitarrenriff charakterisiert,
das in der Livefassung allerdings ein bisschen verwackelt. Die Band kämpft
mit der Akustik des Heimathafens, klingt stumpf, fängt sich aber, als
Linkshänder Longstreth die Gitarre hochreißt, Riff und Falsettgesang in den
Griff bekommt.
## Wie ein Faun
Wie ein Faun auf einem Gemälde holt er Luft, pustet aus, singt, springt
hoch. Warm gechantet sind Dirty Projectors endgültig bei „Beautiful
Mother“, einem Song vom Konzeptalbum „Mount Wittenberg Orca“, das
Muttertier einer Walherde wird choralförmig besungen; die Band hat die
Musik 2011 zusammen mit Björk realisiert. Longstreth lässt nun den drei
Musikerinnen den Vortritt, die die mehrstimmigen Gesangstriolen
aufblättern.
Bei aller leicht kitschiger Mutter-Erde-Verbundenheit – ein Motiv, das in
diversen Dirty-Projectors-Songs auftaucht –, hat man auch am Dienstagabend
das, was Hegel „sinnliche Gewissheit“ nannte. Man fühlt sich dem Objekt der
Wahrnehmung, der tollen komplizierten, komplizierten tollen Musik der Dirty
Projectors verbunden, auch wenn sich nicht exakt ergründen lässt, was
Killerwale denken.
Ob man das Licht im Saal dimmen könnte, mehr Richtung Blau, das Ambiente
werde benötigt, um Songs vom letztjährigen Album adäquat zu spielen. „Keep
your Name“ etwa und am schönsten „Cool your heart“, das Felicia Douglass
satt und weich intoniert. Die Anspannung weicht einer Relaxtheit, im
Gesicht von Dave Longstreth ist so etwas wie Genugtuung sichtbar: Meine
Songs gelingen auch in abgewandelten Bühnenfassungen.
Schließlich als Zugabe noch der Titelsong vom Album „Rise Above“ (2009),
ein Geniestreich der Band, Songs der kalifornischen Hardcorepunkband Black
Flag, nach Gedächtnis und frei zu interpretieren, wie ein
Gegenwartstheaterregisseur antike Tragödien inszeniert. Hochverdienter
Applaus.
15 Aug 2018
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Konzert
Dave Longstreth
Homeschooling
Popmusik
Prince
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