# taz.de -- Dirty Projectors Konzert in Hamburg: Krisenreport mit Calypso-Feeli… | |
> Dave Longstreth war am Donnerstag in der Elbphilharmonie. Er spielte frei | |
> nach Gustav Mahler einen „Song of the Earth in Crisis“ an. | |
Bild: Dave Longstreth, Dirigent André de Ridder und Felicia Douglass (Dirty Pr… | |
Krisen sind nicht immer offensichtlich. Auch die des Planeten Erde drängte | |
sich am Donnerstagabend in der Elbphilharmonie Hamburg nicht sofort auf. Da | |
rollt man auf dem Weg zur vertonten globalen Katastrophe den Glitzertunnel | |
der Elbphilharmonie hinauf, landet vor diesem Panoramafenster mit weiter | |
Elbe und weißen Schiffen. Aus 25 Meter Höhe, in Augustsonne gegossen, fühlt | |
sich dann doch alles gar nicht so schlimm an. Jetzt bloß nicht noch raus | |
auf die Plaza und verklärt über den Hafen gaffen. Schließlich gibt es | |
Probleme. | |
Ein Planet in der Krise ist das Thema. Dave Longstreth, musikalischer | |
Architekt der eigenwilligen New Yorker Band Dirty Projectors, hat es | |
ausgegeben. Trotz norddeutschen Zwischenhochs passt es in diese Woche wie | |
in nahezu jede der vergangenen Jahre: [1][Am Montag erst bestätigte der | |
Weltklimarat IPCC], dass die Konsequenzen der Erderhitzung immer deutlicher | |
werden, die bisherigen Anstrengungen weit hinter dem Nötigen bleiben. Wie | |
um die ohnehin eindringlichen Warnungen der Wissenschaft zu unterstreichen, | |
brennt es in [2][Süd- und Südwesteuropa], werden im Ahrtal noch immer | |
Trümmer geräumt. Neue Hiobsbotschaften vom Artensterben waren da gar nicht | |
nötig. | |
Longstreth treibt die Sache um. Vielleicht weil er inzwischen 40 ist und | |
eine Tochter hat, vielleicht weil es alle beschäftigt, die nur ein klein | |
wenig weiter denken. Für das europäische Ensemble Stargaze und dessen | |
Dirigent André de Ridder hat er deshalb den Songzyklus „Song of the Earth | |
in Crisis“ komponiert. Es ist seine erste Komposition für ein klassisches | |
Ensemble, das in Hamburg uraufgeführt wurde. | |
## Zweiklang des Werdens und Vergehens | |
Es ist so etwas wie eine Neuauflage von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“. | |
Anfang des 20. Jahrhunderts verband Mahler persönliche Schicksalsschläge | |
mit dem ewigen Zweiklang des Werdens und Vergehens zu einem musikalisch | |
schillernden Exkurs über die Vielfalt menschlicher und natürlicher | |
Existenz. Mehr aufmerksame Zustandsbeschreibung als Ode. Von der Erde, | |
nicht für sie. Daran orientiert Longstreth sich. | |
Schnell wird die naheliegende Idee verworfen, dem Versiegeln und Roden, | |
Explorieren und Kontaminieren des Anthropozäns eine kakophonische | |
Entsprechung zu geben. Wer braucht schon ästhetische Dystopie, wenn die | |
reale immer erkennbarer wird? | |
Die gut einstündige, von Longstreth entworfene und von De Ridder geleitete | |
Reise folgt in gleichen Teilen Mahler und den Dirty Projectors. Diesmal | |
also hat die oft so bizarr anmutende Mischung des Elphi-Publikums aus grau | |
meliertem Hochkulturadel und Indie-Schlunz seine Berechtigung. Wie das | |
„Lied von der Erde“ gliedert sich die Dramatik des Zyklus in sechs Teile, | |
pendelt zwischen Mahnung, Trauer und Hoffnung. Das Stück sei weniger ein | |
„Lied über die krisengeschüttelte Erde“, sagt Longstreth, als vielmehr �… | |
Gebet, dass wir es besser machen, unser Chaos wieder in Ordnung bringen“. | |
Musikalisch ist Ordnung die falsche Kategorie für diesen Abend, für | |
[3][Dirty Projectors] sowieso. Es geht bei diesem Auftritt um Hybridität | |
(die hohen Vibrafon- und Marimba-Anteile bringen leichte Calypso-Anklänge | |
in die Nähe grollender Bässe), Integration (der warme R&B-Gesang von | |
Felicia Douglass steht neben hochdynamischen Passagen, in denen De Ridder | |
sein Ensemble aus vollem Lauf stoppt) und natürlich geht es um | |
[4][Longstreths umfängliches Musikverständnis]. | |
Nach den ersten klassisch komponierten Stücken auf der 2020 | |
veröffentlichten EP „Earth Crisis“, die den Abend eröffneten, trägt dies… | |
Zyklus seine Musik endgültig aus jedem auch noch so breiten | |
„Indie“-Kontext. Die beiden minimalistischen Songs, die er nach dem Intro | |
alleine mit Gitarre vorträgt, unterstreichen nur [5][die Kluft zwischen | |
seiner Band und diesem Abend]. Dave Longstreth ist musikalisch heimatlos – | |
und es macht Spaß, ihm dabei zuzuhören. | |
13 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Warnung-des-Weltklimarats-IPCC/!5792170 | |
[2] /Hitzewelle-auf-iberischer-Halbinsel/!5793590 | |
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[4] /Berlin-Konzert-der-Dirty-Projectors/!5528494 | |
[5] /Neues-Album-von-Dave-Longstreth/!5519173 | |
## AUTOREN | |
Gregor Kessler | |
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