# taz.de -- Musik von Dave Longstreth: Posaunen, Grenzen und Brücken | |
> Wagemutig, weltumarmend, leidenschaftlich: 2017 war das Jahr von Dave | |
> Longstreth und dem neuen Album seines Projekts Dirty Projectors. | |
Bild: Footwork macht schwindelig: Dave Longstreth | |
Der 14. Juli 2017 war ein guter Tag. Nicht nur, weil sich der Sturm auf die | |
Bastille zum 228. Mal jährte. Am 14. Juli 2017 begab es sich auch, dass | |
Dave Longstreth auf dem Soundcloud-Account seiner Band Dirty Projectors | |
zwei köpferollende Remixe hochlud. Beides sind formadible Bearbeitungen von | |
„Work Together“, einem der neun Songs auf dem neuen Album seines Projekts | |
Dirty Projectors, welches im Februar 2017 erschienen war. | |
„Work Together“ hatte Longstreth als schlauen Kommentar zum modernen | |
Arbeitsethos komponiert. „Work“ bezeichnet heute einen vor allem auf dem | |
Dancefloor inflationär eingesetzten Imperativ, der den Körper der Tanzenden | |
zum Schuften auffordert. Man bleibt dabei allein in der Menge. Dementgegen | |
hatte Longstreth in seinem Songtext die Stärken eines kollaborativen | |
Zusammenarbeitens hervorgehoben. Am Anfang seines Albums stand die Idee, | |
mit dem jamaikanischen „Diwali“-Riddim als Grundlage Songs zu komponieren. | |
Daraus entstand auch „Work Together“, eine Fanfare unter mehreren auf | |
Longstreth’ schlicht „Dirty Projectors“ betiteltem und auf dem Cover ganz | |
in schwarz getauchten Werk. Es gehört zum künstlerisch Wertvollsten des nun | |
ablaufenden Popjahrs 2017, weil die Musik auf sinnliche Art Form und Inhalt | |
verschränkt. Weil sich ihr Komponist völlig selbstverständlich für Liebe | |
stark macht in einer hasserfüllten Zeit. Weil die Stimme mit Autotune | |
verfremdet ist, aber die Texte mit Bedeutung aufgeladen sind. „How good we | |
could have it / if we work together / I feel love should be enough to get | |
it easily done“ singt Longstreth in „Work Together“ und appelliert an eine | |
partnerschaftliche Beziehung. | |
## Work Together | |
Fast alles, was Longstreth an Remixen herausgab, klingt wagemutig, | |
weltumarmend, so leidenschaftlich eben, wie visionäre Popmusik klingen | |
sollte, die über ihren Tellerrand schwappt. Die beiden Remixe von „Work | |
Together“ stammen von DJ Manny und DJ Taye aus Chicago: Manuel „DJ Manny“ | |
Gaines und Dante „DJ Taye“ Sanders sind zwei Produzenten der gut | |
beleumundeten Crew Teklife, die schon für einige knochenbrechende | |
Footwork- und Juke-Tracks verantwortlich zeichnet. Juke oder auch Footwork | |
wird ein in den Dancefloor-Labors von Chicago erzeugtes | |
Super-Uptempo-Dancefloor-Hybrid genannt, das momentan am meisten | |
zukunftsgewandt klingt. | |
Seine Cut-up-Sample-Salven, Zick-Zick-Zyllis-Hacker-Breakbeats und | |
boomenden Bässe verkörpern das Standby-Hab-Acht-Alltagsdasein im digitalen | |
Popzeitalter am perfektesten. Und also zerfaserten und zerstückelten DJ | |
Manny und DJ Taye ihre Remixe zu einem nervösen Etwas. Während DJ Manny von | |
Longstreth’ Gesang nur noch den Refrain stehen ließ und aus der Ruine der | |
Original-Piano-Spur einen Half-Time-Beat hochgezogen hatte, der Funken | |
schlug wie eine Zündschnur kurz vor der Explosion, beschleunigte DJ Taye | |
die Gesangsstrophe und schob sie mit einer hyperdubbigen Bassdrum | |
monstermäßig an. | |
Die Entscheidung von Dave Longstreth, zwei junge Dancefloor-Produzenten aus | |
Chicago für Bearbeitungen zu verpflichten, nötigt Respekt ab. Der | |
37-jährige Longstreth hatte zuvor bereits für das Produktionsteam des | |
Mainstream-Rappers Kanye West gearbeitet, beim Album von Solange Knowles | |
mehrere Songs arrangiert, genauso wie für das Album „Azel“ des | |
Tuareg-Gitarristen Omar „Bombino“ Moctar aus Niger. Die Musik der Dirty | |
Projectors überwindet nicht nur Genregrenzen, sondern auch geografische | |
Grenzen, Schranken zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Alt und Jung. | |
## Pop als Brücke | |
„What I want fromart is truth / What you want is fame“ singt er in „Keep | |
your Name“, dem Auftaktsong seines neuen Albums. Wahrheit, das ist in der | |
Welt des Pop eine No-go-Area. Wenn man sich die Details des „Dirty | |
Projectors“-Albums anhört, etwa das Schmettern einer Posaune und einer | |
Trompete und das Feedback einer Gitarre in dem Song „Up in Hudson“, dann | |
muss man an Georg Lukács denken. „Ein Kunstwerk“, wie er es definiert, | |
könne nicht bestehen, „wenn es nicht eine besondere Subjektivität zur | |
Grundlage hätte“. | |
Diese besondere Subjektivität charakterisiert Lukács als „Welt, die der | |
Schaffende abbildet und seiner Vision von ihr“. Dave Longstreth bildet in | |
seiner Musik eine komprimierte Form seines Lebens ab. Er spricht von Pop | |
„als Brücke, die funktionieren muss. Ich komponiere mein ganzes | |
Künstlerleben Brücken.“ | |
4 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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