| # taz.de -- Biografie über Model und Sängerin Nico: Die unerklärbare Diva | |
| > „Nico. Biografie eines Rätsels“ von Tobias Lehmkuhl verspricht, | |
| > einfühlsam zu sein. Doch vor allem gibt es darin Klatsch und | |
| > Abschweifung. | |
| Bild: Oft gesehen, aber schwer zu verstehen: Model und Sängerin Nico | |
| „Wer eine Geschichte über Velvet Underground schreibt, muss ausholen und | |
| jenseits der eigentlichen Geschehnisse anfangen, mit der Stadt, die die | |
| Band hervorgebracht hat. Die Velvets waren mit New York durch eine | |
| Nabelschnur verbunden.“ Lenny Kaye, Gitarrist von Patti Smith, der Velvet | |
| Underground aus nächster Nähe wahrgenommen hat, wird damit in dem Buch | |
| „From the Velvets to the Voidoids. A Pre-Punk History for a Post-Punk | |
| World“ von Clinton Heylin zitiert, immer noch die Blaupause für eine | |
| gerechte Darstellung von Künstlern und ihren Beweggründen. | |
| Auch Nico ist ein Teil dieser komplizierten Bandgeschichte. Wie auch von | |
| weiteren komplizierten Konstellationen in den Feldern Mode, Kunst, Musik | |
| und Film davor und danach: Sie arbeitete in den Fünfzigern als | |
| Fashionmodel, war Anfang der Sechziger Schauspielerin (z. B. für Federico | |
| Fellini), gehörte zeitweilig zum Inventar von Andy Warhols Factory und | |
| lebte während ihrer Musikerinnenkarriere in den Siebzigern mit dem | |
| Filmemacher Philippe Garrel in Paris. | |
| [1][An dieser erratischen Figur] haben sich schon andere die Zähne | |
| ausgebissen: Regisseur Oliver Stone ist beim Porträtieren Nicos | |
| gescheitert. Nun ist die deutsche Sängerin mit der herben Stimme, die am | |
| Debütalbum von Velvet Underground (1967) beteiligt war und später mithilfe | |
| der Musiker zu einer Solokarriere anhob, Gegenstand von Tobias Lehmkuhls | |
| Buch „Nico. Biografie eines Rätsels“. | |
| Velvet Underground und New York interessieren den Autor dabei nur am Rande. | |
| Dennoch, er braucht vornehmlich die beiden prominenten Bandmitglieder Lou | |
| Reed und John Cale, um die New-York-Phase Nicos anschaulich erscheinen zu | |
| lassen. Sein Problem – das Problem aller anderen Biografen vor ihm: Die | |
| Künstlerin ist 1988 gestorben, war schwer drogensüchtig und zeitlebens | |
| keine verlässliche Erzählerin. Ihre Interviewaussagen bleiben vage, die | |
| Auskünfte von ZeitgenossInnen widersprüchlich. | |
| ## Viel zitiert, viel verschwiegen | |
| Trotzdem hätte eine Oral History die Einbettung in verschiedene Szenen und | |
| Orte deutlicher machen können. Weshalb muss es ausgerechnet eine Biografie | |
| sein und kein Roman, der beim Nacherzählen größeren Spielraum lässt? | |
| Lehmkuhl zitiert viel, verschweigt aber meist – vielleicht aus Gründen des | |
| Leseflusses –, ob es eigene Quellen sind oder Zitate aus anderen Werken. Er | |
| schützt sich im Prolog mit einer scheinheiligen Frage: „Wie patent war | |
| Nico, was ihr eigenes Leben betrifft?“ | |
| Nico, bürgerlich Christa Päffgen, ist ein Kriegskind. Geboren 1938 in Köln, | |
| während des Zweiten Weltkriegs wohnhaft in Lübbenau bei Berlin, dann nach | |
| 1945 in den Trümmern Berlins. Sie wird von der alleinerziehenden Mutter und | |
| ihrer Tante aufgezogen, schmeißt die Schule. Womöglich traumatisiert vom | |
| Krieg und dem da getöteten Vater, wie Lehmkuhl schreibt. Zeugnisse aus | |
| Kindheit und Jugend sind spärlich. | |
| Also mutmaßt Lehmkuhl und schweift seitenweise vom Thema ab. Ein | |
| Lieblingsort in Nicos Kindheit sei der evangelische Friedhof in Lübbenau | |
| gewesen. Hier liegt auch das Familiengrab der Grafen von Lynar, dessen | |
| Vertreter Wilhelm Graf von Lynar zu den Verschwörern des 20. Juli gehörte, | |
| deren Pläne zur Beseitigung Hitlers ebenfalls in Lübbenau geschmiedet | |
| wurden. Was diese deutsche Hoheitsnische mit Christa Päffgens Leben zu tun | |
| hat? Nichts! | |
| ## Einige Fehler | |
| „Das einfühlsame Porträt einer faszinierenden Frau“, verspricht der | |
| Buchdeckel. Stellenweise gelingt Lehmkuhl eine Annäherung, wenn er Nicos | |
| Künstlerpersona in den Sechzigern umschreibt: „Unangreifbar von strahlender | |
| Schönheit, über den Dingen schwebend und mit ihrer starken Präsenz, ihrer | |
| schieren körperlichen Größe doch ganz und gar erdverbunden.“ | |
| Leider unterlaufen ihm dabei Fehler: David Bailey heißt der Modefotograf, | |
| der Nico in London abgelichtet hat. Bei Lehmkuhl wird daraus der | |
| Freejazzgitarrist Derek Bailey. Mal nennt Lehmkuhl den Jazzmusiker Bud | |
| Powell, der Nico Tipps gegeben haben soll, wie sie ihr Lieblingsinstrument, | |
| das Harmonium, gewinnbringend einsetzen könnte, mal ist es Ornette Coleman. | |
| Viel Platz räumt Lehmkuhl dem Klatsch ein. Nico, die etwa Affären mit dem | |
| Rolling Stone Brian Jones und mit [2][Jim Morrison] hatte und einen Sohn | |
| mit Alain Delon, den sie brutal misshandelte, war nicht das, was man nach | |
| menschlichem Ermessen ein Vorbild nennen könnte. Als emanzipierte | |
| selbsterfundene Künstlerin hat sie jedoch Neuland betreten. Die dunklen und | |
| die hellen Stellen in Nicos Leben bleiben auch nach dieser Biografie | |
| rätselhaft. | |
| 28 Aug 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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