# taz.de -- Dem Mythos Jim Morrison zum 40. Todestag: Aus der Luft fingen wir G… | |
> Vor 40 Jahren starb Jim Morrison, der legendäre Sänger von The Doors. Er | |
> lebte exzessiv aus, was andere nur propagierten. Die Umstände seines | |
> Todes sind bis heute ungeklärt. | |
Bild: Bis heute hat die Welt nichts mehr gehört von Jim Morrison oder Mr. Mojo… | |
"Ich gehe davon aus, dass Jim tot ist, weil der Sarg in die Grube | |
hinuntergelassen wurde und weil das keiner je bestritten hat. Aber wer | |
weiß?" Ray Manzarek, Keyboarder der US-Kultband The Doors (1967-71), war am | |
6. Juni 1971 auf der Beerdigung seines im Alter von nur 27 Jahren | |
verstorbenen Freundes Jim Morrison auf dem Pariser Prominentenfriedhof Pere | |
La Chaise zwar dabei. | |
Aber ob in dem Sarg, der dort "in die Grube hinuntergelassen wurde" | |
(Manzarek), tatsächlich Morrisons Leichnam lag, kann keiner der drei noch | |
lebenden Doors - neben Manzarek der Gitarrist Robby Krieger und der Drummer | |
John Densmore - mit Bestimmtheit sagen. "There are things that are known, | |
and there are things that are unknown, between there are doors": Nach den | |
Türen aus diesem Gedicht von William Blake hatte Morrison 1967 die von ihm | |
und Manzarek am Strand von L.A. gegründete Band benannt. | |
Als die Doors und ihr Manager Bill Siddon nach Paris kamen, war der Sarg | |
schon verschweißt. Von den Angehörigen und Freunden des Rockpoeten hat nur | |
seine Lebensgefährtin Pamela Courson die Leiche gesehen: am Morgen nach der | |
Nacht, in er starb. Tot habe er in der Badewanne gelegen, den Kopf gegen | |
die Einfassung der Wanne gelehnt, die nassen Haare im Gesicht. Ein | |
Arrangement? Genau so hing nämlich nach einem zeitgenössischen Gemälde der | |
1793 von einer Frau ermordete radikale Jakobiner Jean-Paul Marat in seinem | |
Badezuber. Etwas Blut sei Morrison aus der Nase gelaufen, gab Courson vor | |
Ermittlungsbeamten der Pariser Polizei zu Protokoll. Schon in der Nacht | |
habe er erbrochen: "Erst kam ihm das Abendessen hoch, dann kamen | |
Blutklumpen. Danach ging es ihm besser. Ich schlief ein, und Jim lag neben | |
mir." Morrison sei am 3. Juli 1971 gegen 5 Uhr im Alter von 27 Jahren an | |
Herzversagen gestorben, hieß es auf dem Totenschein. | |
## Akte Morrison existiert nicht | |
Die Leiche wurde schnell abtransportiert. Ob überhaupt eine Obduktion | |
entsprechend den Vorschriften in Frankreich durchgeführt wurde, ist nach | |
wie vor unklar. Eine Akte Morrison existiert bei der zuständigen | |
Gerichtsmedizin nicht. Alle Versuche, die Todesumstände nachträglich zu | |
klären, scheiterten: Der Arzt war nicht mehr aufzufinden. Pamela starb 1974 | |
an einer Überdosis Heroin. Und die Polizisten und Feuerwehrmänner, die | |
Morrisons Leiche damals eigentlich gesehen haben müssten, konnten oder | |
wollten sich nicht mehr an den toten US-Amerikaner erinnern. | |
In seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel "The End", einem Tabus | |
brechenden Megahit der Doors (es geht um Inzest und Vatermord), kam der | |
zuletzt der Journalist Bob Seymore zu dem Schluss, dass davon ausgegangen | |
werden könne, dass der Sänger der Doors tatsächlich auf Pere La Chaise | |
begraben wurde. Doch wie er starb, werde wohl für immer ein Geheimnis | |
bleiben. "Aus der Luft fingen wir Götter, mit der Götter allwissendem | |
starren Blick, aber ohne ihre Macht im Geist und in den Städten zu sein, | |
sobald sie darüber fliegen" (Morrison). | |
Jahrelang hielt sich in den Staaten das Gerücht, Morrison habe seinen Tod | |
nur fingiert, um den ihm verhasst gewordenen Rockstar Jim Morrison endlich | |
"beerdigen" zu können. Doch bis heute hat die Welt nichts mehr gehört von | |
Jim Morrison oder Mr. Mojo Risin (Anagramm), wie er sich in den Monaten vor | |
seinem Tod nannte. | |
## Politiker der Erotik | |
Mit dem Welthit "Light my Fire" waren die Doors 1967 durchgebrochen auf die | |
Seite des Erfolges. Seit Marlon Brando fett geworden sei, schrieb ein | |
Kritiker 1968 in einer Undergroundzeitung in L.A., habe es in Amerika kein | |
männliches Sexsymbol mehr gegeben: "Jetzt haben wir Jim Morrison von den | |
Doors. Er spricht die Frauen an und befriedigt mit seiner politischen und | |
surrealistischen Poesie die Intellektuellen." Wer sonst in der Szene wagte | |
sich schon an Stücke wie den Alabama Song aus "Aufstieg und Fall der Stadt | |
Mahagonny"? | |
Spätestens nach ihrer dritten LP "Waiting for the Sun" avancierten die | |
Doors zur Politband der US-amerikanischen Protestgeneration. Der | |
Vietnamkrieg tobte. In Ohio starben vier Studenten bei der gewaltsamen | |
Auflösung einer Demo durch die Polizei. Mit "The Unknown Soldier" und "Five | |
to One - They got the guns, but we got the numbers!" befeuerten die Doors | |
den Aufruhr in den Universitätsstädten. Ihn interessiere alles, was mit | |
Chaos und Revolte zusammenhänge, sagte Morrison in einem Interview. Aber | |
eigentlich seien die Doors "Politiker der Erotik". | |
Morrison krönte sich zum Eidechsenkönig: "I am the Lizzard King, I can do | |
anything!" Er verhöhnte von der Bühne aus die Polizei: "I can make the blue | |
cars go away!" Und er zog auf Konzerten die Massen in seinen Bann; und sich | |
selbst manchmal ein bisschen aus. Und wenn sie ihm einmal nicht zuhören | |
wollten und nur verzückt seinen Namen skandierten, wie etwa 1969 bei einem | |
Konzert in Philadelphia, strafte er sie kollektiv ab: "Is this the way to | |
behave in a Rock-and-Roll-Concert!?" Danach schwiegen sie brav still und | |
lauschten dem Schrei des Schmetterlings ("When the music is over"). | |
Ende 1969 wollte sich Morrison aus dem als Karrierecoup geplanten Leben des | |
geheimnisumwitterten, von Sex besessenen Rockstars wie aus einer | |
Schlangenhaut verabschieden. Doch nach nur wenigen Minuten brach er seine | |
Dichterlesung im Fernsehen ab und bekannte, dass ihm die Musik fehle, denn | |
die würde ihm die "notwendige Sicherheit" geben. Wie ein geprügelter Hund | |
schlich der Eidechsenkönig aus dem Studio. Als Rockstar gefeiert, als | |
Lyriker gescheitert. "Verschwendete Jahre, verschwendete Nächte. Ich hab | |
alles weggepisst" (Morrison). | |
## Ich trinke, damit ich mit Arschlöchern sprechen kann | |
Dennoch glaubte er bis zum Schluss, alles im Griff zu haben: die Medien und | |
die Mädchen, die harten Drogen und den Alkohol. "Betrunkensein ist eine | |
gute Maske. Ich trinke, damit ich mit Arschlöchern sprechen kann." Aber | |
nach drei Jahren exzessivem Suff stand er da mit einem "Verstand wie einem | |
weichen Hammer" (Morrison). | |
"LA Woman" ist die letzte LP der Doors mit Morrison, "Riders on the Storm" | |
der finale Blockbuster der Gruppe. Das Album ist eine sarkastische | |
Liebeserklärung an die Stadt, die den Doors immer Heimat war. Los Angeles, | |
dichtete Morrison kurz vor seinem eigenen Ende, sei ein "Ring des Todes mit | |
Sex im Mittelpunkt". | |
Nach den Aufnahmen übersiedelte er nach Paris, unternahm Reisen nach | |
Spanien und Marokko. Das Kino blieb bis zuletzt - neben der Lyrik - seine | |
große Leidenschaft. Morrison galt das Filmemachen als "die totalitärste | |
aller Künste". Die Anziehungskraft des Kinos, schreibt er in "The Lords and | |
the New Creatures", sei in der Furcht vor dem Tod begründet: "Und der | |
Zuschauer ist ein sterbendes Tier." | |
## Kein Auto, kein Haus und keine Wohnung | |
Jim Morrison starb einsam, so wie er sein Leben gelebt hat: "Nach seiner | |
inneren Stimme und nach göttlicher Bestimmung" (Sokrates). Das jedenfalls | |
steht in Altgriechisch auf seinem Grabstein. Posthum liegt Morrison wohl am | |
richtigen Ort neben seinen Künstlerkollegen Frederic Chopin und Jean Paul | |
Sartre. | |
Für alle, die in den 60er Jahren sozialisiert wurden, die erwachsen wurden | |
mit den Thesen der 68er im Kopf und der Musik der Doors im Ohr - "We want | |
the world and we want it now!" -, bleibt Jim Morrison das rebellische, alle | |
Konventionen sprengende Idol ihrer eigenen Aufbruchsjahre: "Ich habe meinen | |
Samen durch die Herzen der Nation gepflügt, einen Keim in ihre Blutbahn | |
gespritzt" (Morrison). Morrison lebte exzessiv aus, was andere nur | |
propagierten. Er besaß kein Auto, kein Haus und keine Wohnung. Und er ließ | |
nichts aus auf seiner manisch-depressiven (Irr-)Fahrt auf dem "Ship of | |
Fools": "Time to live, time to die (Take it as it comes)". | |
Noch immer verkaufen sich die Alben (CDs) der Doors mehr als nur gut. | |
Manzarek und Krieger feiern in Europa Triumphe mit der Musik der Doors. Und | |
die Dark Scene sorgte schon vor gut zehn Jahren dafür, dass auch junge | |
Leute heute noch der Faszination erliegen, die von Morrison, der "auf der | |
Mauer zwischen Tod und Leben balancierte" - so sein Biograf Dany Sugerman - | |
ausging. Hunderte von Bands in Europa und den USA, die sich "Morrison | |
Hotel" oder "Strange Days" nennen, kopieren die einzigartige Musik der | |
Doors oder brillieren mit Interpretationen der Songs. Zu ihren Konzerten | |
kommt nicht nur die Generation 50 plus. | |
Auch weil es bis heute kaum bessere Rockmusik gibt - die Instrumentalteile | |
von "Light my fire" oder "Riders on the storm" etwa klingen heute so frisch | |
und mitreißend wie damals; dazu Morrisons Lyrik und seine weiche und | |
facettenreiche Stimme -, lebt Jimbo weiter; auch wenn er vor 40 Jahren | |
tatsächlich gestorben ist. "Aber … wer weiß?" | |
3 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
K.-P. Klingelschmitt | |
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