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# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Er ist wieder da
> Neues von Thilo Sarrazin: Der Erniedrigte schreibt unaufhörlich weiter.
> Diese Woche kommt sein neues Buch heraus. Es geht kaum schlimmer.
Bild: Wer rollt ihm den Teppich aus und was hat er im RucksacK? Thilo Sarrazin,…
Es ist gar nicht so sehr, was er sagt, sondern wie er es sagt. Dieser
kleinkarierte Ton des Miesepeters. Des Besserwissers, der mit Halbwissen
auftrumpft und sich so gerne selber reden hört. Penibel, stur, unglaublich
von sich überzeugt. Gemeint ist Thilo Sarrazin, der abtrünnige
Sozialdemokrat, der diese Woche ein neues Buch veröffentlicht. Sarrazin,
der Kauz, den Millionen Deutsche lesen, der Dinge sagt, die sich angeblich
kaum (mehr) jemand zu sagen traute.
Zumindest nicht in diesem Ton, der nach der schaurigen Machtübernahme der
68er (brutale rot-grüne Diktatur von 1998 bis 2005) und später auch dank
Frau Merkel in den besseren Kreisen der Bundesrepublik weniger zu hören
war. Und gegen die Sarrazin 2010 seine Retro-Gedanken in Stellung brachte
(„Deutschland schafft sich ab“), die an die Zeiten vor 1998 erinnerten, als
die Kohl-CDU noch jeden Wahlkampf mit ausländerfeindlicher Propaganda
führte – und gewann. 1998 kam der Bruch damit (68er-Gesinnungsdiktatur!),
und das Bekenntnis zu einer Bundesrepublik als Einwanderungsland und nach
Herkünften pluraler Nation.
Mit seinem millionenfach verkauften Seller „Deutschland schafft sich ab“
kratzte Sarrazin 2010 laut an diesem 1998 formulierten neuen Selbstbild.
Drei Jahre vor Gründung der AfD bedeutete die Retro-Schrift eine deutliche
Zäsur. Und wahrscheinlich ging damals etwas gehörig schief. Etwas, was die
Streitkultur und die SPD betrifft, die ihren Senator in Berlin nicht mehr
eingefangen bekam.
Der sprach von Missständen, über die andere in seiner Partei schweigen
wollten. Sie wurden zu seiner Obsession. Er begann, komplexe Zusammenhänge
auf sein Alltagsbild herunterzubrechen. Legendär, wie er – wie immer
halbrichtig – Sozialhilfeempfänger nicht als rein passiv zu versorgende
Opferklientel einstufte und ihnen mit preußischen Tugenden drohte.
## Der Pedant wurde zum Eiferer
Zunehmend versteifte sich der Solitär aber auf eine besondere Gruppe: die
Migranten muslimischer Herkunft, die er weniger als diskriminiert denn als
privilegiert ansah. Und deren demokratiefeindliche islamistische Ränder
nicht nur er als Bedrohung der grundgesetzlich garantierten Ordnung
erkannte.
Der Pedant wurde zum Eiferer, dem im linken Mainstream keiner Gehör
schenken wollte. Man könnte sagen: In gleichem Maße, wie die politische
Linke feststellbare Probleme mit den Rändern gewisser Minderheiten
tabuisierte, versteifte er sich darauf, diese immer stärker zu
dramatisieren. Bis sich der Kreis schloss. Der Erzürnte, der Unverstandene,
„einer von uns“, eroberte den Diskurs für den neuen Alltagsrassismus.
„Deutschland schafft sich ab“ ist das Symbol des Stimmungsumschwungs in der
Republik, der dem Verlust der linken Hegemonie vorausging.
Es wäre wohl klüger gewesen, die diskutierbaren Anteile seiner
Zeitdiagnostik von jenen kleinkarierten Biologismen abzuspalten, die für
den Rechtsradikalismus kooptierbar sind. Also Probleme mit Zuwanderung,
Integration, Trittbrettfahrern und dem konservativ-islamischen Spektrum
offen zu diskutieren. Stattdessen wurde Sarrazin nach rechts homogenisiert.
## Was das Drama lehrt
Und der Erniedrigte, im eigenen Lager Unverstandene schreibt unaufhörlich
weiter. Die nächste Folge des Dramas erscheint am 28. August. Sie trägt den
programmatischen Titel „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt
behindert und die Gesellschaft bedroht“ (Finanzbuchverlag). Der deutsche
Volkswirt klärt auf 500 Seiten auf.
Es geht kaum schlimmer. Denn das ist zu erwarten: Der von seinen ignoranten
Gegnern bis aufs Blut gereizte Laizist und Rechthaber Sarrazin baut
weiterhin mit groben Klötzchen an seiner Abstammungstheorie angeblich
höherer und minderwertiger Kulturen. Bislang jedenfalls hat er real
feststellbare Missstände in den Herkunftsländern von Migranten aus der
islamischen Welt dazu missbraucht, sie insgesamt zu stigmatisieren.
Dabei gilt es, und das lehrt gerade das Drama um Sarrazin, zu
differenzieren. Etwa den Islamisten vom Islam zu unterscheiden, genauso wie
den Nazi vom Konservativen.
27 Aug 2018
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Thilo Sarrazin
Islamophobie
Einwanderungspolitik
Schwerpunkt Rassismus
Hannah Arendt
Rechter Populismus
Thilo Sarrazin
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rassismus
Identitätspolitik
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