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# taz.de -- Fahrrad-Tour mit Kunst in Brandenburg: Am Ende auch noch Geier
> Sehnsucht nach Landschaft treibt einen hinaus. Davon erzählt auch eine
> Ausstellung in der Kunsthalle Bahnitz, in einem kleinen Dorf.
Bild: Es ist faszinierend, ihnen zuzuschauen. Ausschnitt aus dem Videostill von…
Kurz nach neun Uhr, Ankunft in Nauen. Geschafft. Geschafft, am
Samstagmorgen rechtzeitig aufzustehen, Fahrradtasche für zwei Tage zu
packen, die geplante Tour von Brandenburg über Rathenau nach Nauen schnell
umzudrehen, um dem Schienenersatzverkehr auszuweichen, ein Fahrradabteil
ohne Andrang gefunden. Vor der Entspannung steht ein bisschen Stress für
den nicht ganz so geübten Radler.
Aber jetzt kann es losgehen. Durch den Sommer satt radeln, bei über 35 Grad
vielleicht auch eher ein nicht sehr weiser Entschluss. Schon bald brauche
ich die Kappe gegen die Hitze im Hirn, trage Sonnencreme nach und
Insektenschutz. Alles glitscht zusammen mit dem Schweiß. Aber hey, du
wolltest ja raus aus der Stadt und der schattigen Wohnung.
„Hänschen im Blaubeerwald“, ein Bilderbuch aus Kindertagen, kommt mir in
den Sinn, als der Weg schon bald hinter Nauen lange durch Brombeerhecken
rechts und links des Weges führt. Ein Teil ist schwarz und reif, schmeckt
ein wenig bitter, und der Saft klebt an den Fingern. Nach fünf, sechs
Beeren reicht es mir; aber dennoch macht dieser Moment glücklich, ein
unverhofftes Geschenk am Wegesrand.
## Die Liste der Tiere
Die Felder sind schon abgeerntet wegen der großen Trockenheit, keine Mohn-
und keine Kornblumen mehr wie letztes Jahr an dieser Stelle, aber dafür
sehe ich zwei Hasen auf dem nackten Acker. Wohl wissend, dass in der Stadt
viele Wildtiere leben, macht mir ihre Sichtung beim Landausflug dennoch
Spaß. Bald stehen auf der inneren Liste Störche, die auf einem Schornstein
nahe von Schloss Ribbeck – genau, der Herr mit der Birne lebte hier –
nisten, Reiher, ein Kranichpaar auf dem Feld, Bussarde, die aus dem Gebüsch
am Weg zwei Meter entfernt aufsteigen, und sogar eine Trappe.
Später kann die Liste um einen Aal beim Schwimmen und eine Wassernatter
ergänzt werden. Dass die Tiere leiden bei diesem Prachtsommer, man weiß es
ja, vielleicht ist es trügerische Erleichterung, sie dennoch fliegen und
hoppeln zu sehen.
Am ersten Tag nehme ich den Havellandradweg; ohne Steigungen, gut
ausgeschildert und ausgebaut, erlaubt er sanftes Radeln, oft im Schatten
der Bäume am Feldrand. Man kreuzt ab und zu kleine Landstraßen, aber hat
den ganzen Tag über doch sehr wenig Berührung mit Verkehr. So kurz hinter
Berlin ist das eine unwahrscheinliche Ruhe. Ab und zu fährt ein Berliner
Kleinbus oder ein Potsdamer Moped über die Fahrradstraße, dürfen die das?
Ihr Ausbau privilegiert die Fahrradfahrer, selbst als langsamer Radler
stört man niemanden und wird nicht gestört. Das macht einen Teil des
Vergnügens aus.
## Seit Jahren verrammelt
Zum dritten Mal fahre ich diese Strecke. In Paulinenaue denke ich jedes Mal
über den Widerspruch nach, für einen Ausflug so gerne hier unterwegs zu
sein, mir ein Leben dort aber nur schwer vorstellen zu können. Es gibt
einen Bahnhof, Zugverkehr jede Stunde, aber das schöne alte Bahnhofsgebäude
ist seit Jahren verrammelt, die Kneipe daneben immer geschlossen. Es
scheint kein einziges Café zu geben, in das zum Beispiel die Bewohner der
großen Seniorenresidenzen dort gehen könnten.
Die Einfamilienhäuser liegen ordentlich hinter ihren Zäunen, im Garten wird
gearbeitet, so bin ich auch aufgewachsen. Warum erzeugt dieses Ordentliche
so schnell ein Gefühl von Beklemmung? Wohl auch durch die Ahnung, dass ihre
Aufrechterhaltung viel Lebensenergie verschlingt, vermutlich nur mit vielem
Pendeln und Autofahrten wirtschaftlich erhalten werden kann.
## Die DJane beschallt das Ufer
Später, kurz vor Rathenow, beim Abstecher an den Hohennauener See, liege
ich im Schatten am Ufer und schaue in die Wolken. Nein, ruhig ist es nicht,
das Gebläse einer Hüpfburg brummt hinter mir, und eine DJane beschallt das
Ufer, denn es ist Dorffest in Ferchesar. Die Getränkestände kommen gerade
recht, auch die Stimmen der Familien nach sechs Stunden genossener
Einsamkeit.
Am zweiten Tag nehme ich den Havelradweg nach Brandenburg, eine
abwechslungsreiche Strecke. Ich freue mich schon vorher auf das Trödeln am
Havelufer mit den vielen Schilfgürteln und Seerosen, auf die Fähre bei
Pritzerbe, den Schlosspark bei Plaue. Viele Brücken über die Havel und die
imponierende Industriearchitektur sind vor allem für Bahnfans interessant.
Das alles erinnere ich vom letzten Jahr, aber es kommt noch etwas
Überraschendes hinzu.
Im Milower Land radelt man durch den kleinen Ort Bahnitz, an einer Kurve
nach dem Wegweiser suchend, fällt der Blick unerwartet auf die Kunsthalle
Bahnitz. Die Ausstellung dort, „Sehnsucht nach Landschaft“, ist das beste
Mittel, die Widersprüche, die in das Bild von Natur und dem Hunger nach
Freiraum eingewoben sind, zu reflektieren.
## Die Farben wie ausgebleicht
Bahnitz hat um die 180 Einwohner, in den letzten Jahren haben sich einige
Bildhauer und Maler hier niedergelassen, teils kannten sie sich von der
Universität der Künste in Berlin. Der Bildhauer Bodo Rau erwarb einen Hof
mit großer Scheune, in der er seit 2010 im Sommer eine große Ausstellung
zeigt, mit Künstlern von dort, aus Berlin und vielen Gästen aus Spanien.
Katja Gragert ist im Brandenburger Land aufgewachsen. Ihre Fotografien
lassen sich auf den ersten Blick fast für Zeichnungen halten, die Farben
scheinen Bäumen, Hügeln, Hecken und Zäunen entzogen, scharfe Konturen sind
präsent. Ihr Blick sucht nicht die Idylle, nicht das Verwunschene, sondern
fokussiert die von Menschen gemachte Ordnung wie die akkurat gestutzte
Hecke oder den Eisenrost, der einen Weg durch das Dickicht bahnt. Durch das
Ausbleichen der Farben ist eine Stille betont, eine bedrückende Ruhe, und
doch schreibt sie zu ihren Bildern: „Es ist mir ein Anliegen, die
Schönheit, die in diesen ‚gedemütigten‘ Orten steckt, auf das Bild zu
bannen.“
Ihre Fotografien bilden einen Dreiklang mit Zeichnungen von Yehudit
Sasportas und Marion Angulanza. Sasportas, geboren in Israel, beschäftigt
sich mit dem Motiv des Versinkens und Vergessens und sucht dafür Bilder in
sumpfigen Landschaften. In großen Kontrasten zwischen Schwarz und Weiß
bilden dort Flecken, Spritzer und Farbverläufe einen Sog, der viel von dem
Bedrohlichen transportiert, für das Sumpf- und Moorlandschaften immer
wieder zur Metapher werden.
## Voll kleiner Störelemente
Auch Marion Angulanza liebt das Dickicht und das Dunkle, das sie mit Grafit
in Bündeln winziger Striche aufbaut. Es scheint keine andere Welt zu geben
als die Bäume, die sich im Wasser spiegeln und sich vor dem Auge fast zu
Fotografie zusammensetzen, wäre da nicht die Betonung der Zeichnung durch
kleine Störelemente. Die „Sehnsucht nach Landschaft“ erweist sich schon bei
diesen drei Künstlerinnen als Ergebnis einer langen Kulturgeschichte, in
der Landwirtschaft und Verstädterung ebenso eine Rolle spielen wie die
Landschaftsmalerei in der Romantik. Man sieht nicht einfach so in den Wald
und über die Felder, fast immer schon ist da die Suche nach bestimmten
Bildern beteiligt.
Jobst Günther gehört zu den Künstlern, die in Bahnitz ein Atelier haben. In
seinen Bildern wandert der Horizont über die Fläche, verlässt die Ordnung
in oben und unten. Seine Arbeit mit Fotografien, digitaler Bearbeitung und
Collage erzeugt eine Farbigkeit, als würde Licht von hinten durch das Blau
und Grün scheinen.
## Video mit Geiern
19 Künstler sind an der Ausstellung beteiligt. Es gibt den Blick auf die
inszenierte Natur bei Sabrina Jung, auf Tierdarsteller in künstlichen
Welten, und es gibt den Blick auf die industrialisierte Landschaft, weit
und endlos und von einem eigenen Heroismus durchdrungen in den Fotografien
von Matthias Koch.
Und es gibt die große Überraschung in einem Video von der spanischen
Künstlerin Greta Alfaro. Sie hat in einer sonnendurchglühten Landschaft vor
felsigen Bergen einen Tisch gedeckt. Aber keine Geburtstagsgesellschaft
kommt hier zusammen, sondern Geier, mehr als man zählen kann, machen sich
über die Speisen her, streiten um das Fleisch, hacken und zanken sich,
zerdeppern das Geschirr. Natürlich geht es um Störung, nichts bleibt hier
idyllisch. Erschrocken fragt man sich einen Moment, ob einen die eigene
Sehnsucht nach Landschaft wohl auch so zum Geier macht. Dabei wollte man
doch nur eine Radtour unternehmen.
10 Aug 2018
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Fahrrad
Kunst
Brandenburg
Sommer
Schwerin
Urlaub
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
zeitgenössische Kunst
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