| # taz.de -- Zeitgenössische Kunst im Spreewald: Risse wie Blitze | |
| > Die diesjährige Schau Rohkunstbau „Achtung – mind the gap“ führt nach | |
| > Lieberose. Die Ausstellung untersucht die Risse durch unsere | |
| > Gesellschaft. | |
| Bild: Ein farbenfroher Albtraum von Martin Dammann | |
| Sie sind eine Art Kulturgut – aus einer Zeit, in der die Welt noch heile | |
| war. Diese drei Worte, mit denen Reisende der Londoner U-Bahn vor dem Sturz | |
| ins Gleisbett bewahrt werden sollten: „Mind the gap.“ Betitelt jedoch | |
| ausgerechnet ein britischer Kurator eine Ausstellung mit diesem geflügelten | |
| Wort, scheint die Gefahr woanders als zwischen Zug und Bahnsteig zu lauern | |
| – immerhin machte Großbritannien mit dem Brexit im Juni 2016 offiziell, | |
| dass die Welt von Populismen geschüttelt wird, die nur eines wollen: | |
| entzweien. | |
| „Achtung – mind the gap“ lautet der Titel der 24. Ausgabe von Rohkunstbau, | |
| die in diesem Jahr wie schon 2017 auf Schloss Lieberose aufwartet. Bis zum | |
| 9. September soll die zeitgenössische Kunstschau das marode | |
| Renaissanceschlösschen im Spreewald wochenends beleben. Träger des | |
| Projektes ist die Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg. | |
| Sechs Künstlerinnen, drei Künstler und ein Duo hat der besagte britische | |
| Kurator Mark Gisbourne für seine mittlerweile vierzehnte Rohkunstbau | |
| versammelt. Dass diese Ausstellung ins politische Zeitgeschehen stechen | |
| will, bestätigen auch die Herkunftsländer der Künstler*innen: Die USA sind | |
| vertreten, Polen, die Türkei, Deutschland. Länder also, in denen | |
| Volksvertreter*innen gerade dabei sind, die Gesellschaft in „wir“ und „di… | |
| einzuteilen. Aus Großbritannien kommen gleich drei der Künstler*innen. | |
| Und so kommt die Rohkunstbau um den Union Jack nicht herum. Der in Berlin | |
| lebende Brite Christopher Winter lässt die Flagge Großbritanniens zur | |
| „Ghost Flag“ verblassen – Zukunft ungewiss. Für den Blick in die USA ist | |
| die seit 1990 ebenfalls in Berlin lebende Laura Bruce zuständig. | |
| Aufgewachsen ist die Künstlerin in Georgia – dem sogenannten Bible Belt im | |
| Südosten der USA, wo der Kampf gegen Tornados und andere Naturgewalten | |
| religiöse Neigungen begünstigt und die Republikanische Partei fest im | |
| Sattel sitzt. | |
| ## Die Kluft zwischen Stadt und Land überwinden | |
| Bruce’ Bilder zeigen verlassen anmutende Landstriche und düstere Wälder wie | |
| elektrisch aufgeladen. Eine apokalyptische Spannung allein mit dem | |
| Bleistift einzufangen ist beachtlich. | |
| Die Kluft zwischen Stadt und Land zu überwinden sei von Beginn an in die | |
| Idee von Rohkunstbau eingeschrieben und „dieses Mal noch deutlicher im | |
| Titel und der Konzeption der Ausstellung herausgestellt“, sagt Arvid | |
| Boellert, der das Projekt 1994 gegründet hat. Seitdem zieht Rohkunstbau | |
| durch Brandenburgs brachliegende Schlösser „in jenen abgehängten Gebieten, | |
| in denen sonst nicht viel stattfindet“, wie Boellert sagt und so auch seine | |
| Heimat beschreibt. | |
| In der Politik bleibt Rohkunstbau nicht stehen: Gisbourne weist auch auf | |
| Gräben hin, die noch tiefer liegen als jene, die die aktuellen Politiken | |
| herbeizuführen versuchen – und das ist interessant. Indem die Ausstellung | |
| nach Ursachen für das gesellschaftliche Durcheinander sucht, bereichert sie | |
| den Blick auf aktuelle Diskurse und beraubt sie ihrer oberflächlichen | |
| Hysterie. Sprache, Religion, Landflucht, das Machtgefälle zwischen den | |
| Geschlechtern, unser erodiertes Verhältnis zum eigenen Körper und der Natur | |
| – all diese Perspektiven zieht die 24. Rohkunstbau heran. | |
| Was in einem so beschaulichen Schloss derart groß ansetzt, kann | |
| allumfassend nicht sein. Die Zusammensetzung dann nicht beliebig erscheinen | |
| zu lassen ist das kuratorische Kunststück – das gelingt nicht ganz. Das | |
| digitale Leben, die neue Arbeitswelt, die Migrationserfahrungen der | |
| meisten ausgestellten Künstler*innen wären allein drei vermisste Themen. | |
| Lieberose aufzusuchen ist aber lohnenswert, nicht zuletzt wegen des Ortes: | |
| Das Schloss knarrt, entledigt sich gemächlich seiner Tapeten und | |
| Wandfarben. Mal erstreckt sich ein Raum mit luftigem Gemäuer über zwei | |
| Etagen, mal stürzt massiver Stuck von der Decke hinab. | |
| Die Werke gewinnen an dieser Umgebung, nicht nur bei Nilbar Güreş: | |
| Schlangen, Wölflein und Urwälder zeigen die Fotografien und Installationen | |
| der türkisch-kurdischen Künstlerin und Feministin. Diese mystische | |
| Bildsprache findet auf Lieberose Resonanzkörper – sei es in der gekachelten | |
| ehemaligen Kühlkammer des Schlosses oder an Wänden, durch deren Putz Risse | |
| wie Blitze einschlagen. | |
| Das vielleicht fesselndste Werk von Rohkunstbau wiederum braucht von seinem | |
| Ausstellungsraum kaum mehr als dessen Tiefe. Martin Dammann zeigt in einem | |
| großformatigen Gemälde die farbenfrohe Kulisse eines Albtraums: In einer | |
| bodenlosen Unterwasserwelt hängen strampelnde Körper, ihre Köpfe scheinen | |
| in der Wasseroberfläche festzustecken, so gefangen wie verloren. | |
| Besucher*innen werden in der Ausstellung vergeblich nach begleitenden | |
| Informationen suchen. Es empfiehlt sich, neben den 5 bis 8 Euro Eintritt in | |
| den Ausstellungskatalog zu investieren oder vorab bei der | |
| Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg um eine Führung zu bitten. | |
| 14 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Natalia Bronny | |
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