| # taz.de -- UNHCR in Niger: Die Frau, die flüchten darf | |
| > Yohana brach 2015 in Eritrea auf. Nach drei Jahren Flucht und Folter lebt | |
| > sie nun in Obhut der UN in Niger – und darf auf Europa hoffen. | |
| Bild: Vorläufig in Niger: Yohana heißt in Wahrheit nicht Yohana und ihr Bild … | |
| Niamey taz | Als die Lautsprecher zu plärren begannen, verlor Yohana jede | |
| Hoffnung. Sie saß in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer, um sie herum | |
| tiefschwarze Nacht. Die See war ruhig, der Wind verstummt. Das Einzige, was | |
| Yohana hörte, war der Ruf aus dem Megafon: „Anhalten!“ Erst auf Englisch, | |
| dann auf Arabisch. „Ich wusste nicht, was mit uns passieren wird“, sagt | |
| Yohana. „Ich hatte solche Angst.“ | |
| An einem Samstag im Winter 2017 war Yohana in Tripolis, Libyen, in ein | |
| Schlauchboot gestiegen. Die Eritreerin hoffte, so bald Italien zu | |
| erreichen. Stattdessen wurde ihr Boot von der libyschen Küstenwache | |
| gestoppt. Yohanas Reise, so schien es, war zu Ende. | |
| Libyen ist der Türsteher Europas geworden: Die EU unterstützt das Land | |
| finanziell, im Gegenzug fängt die Küstenwache Migranten ab. Nach ihrer | |
| „Rettung“ werden die Migranten zurück auf den afrikanischen Kontinent | |
| gebracht und interniert. Mehr als 5.000 Menschen leben derzeit in Libyen in | |
| Lagern. Sie dürfen das Lager oftmals nicht verlassen. Weil viele Menschen | |
| auf engem Raum untergebracht sind, breiten sich Krankheiten aus. Die | |
| Vereinten Nationen sprechen von „schrecklichen“ und „inhumanen“ Zustän… | |
| Yohana heißt eigentlich anders. Sie möchte ihren Namen nicht veröffentlicht | |
| sehen, denn die Furcht ist ihr ständiger Begleiter. | |
| Sie verbrachte mehrere Monate in einem libyschen Gefängnis. Dass Yohana | |
| sich heute dennoch frei bewegen und ihre Geschichte erzählen kann, verdankt | |
| die 25-Jährige einem Rettungsprogramm der Vereinten Nationen. Und einem | |
| Land, das Flüchtlinge aufnimmt, obwohl es selbst kaum genug Ressourcen hat, | |
| um die eigene Bevölkerung auch nur halbwegs zu versorgen. | |
| ## Ein bettelarmes Land als Zufluchtstätte | |
| Lange suchten die Vereinten Nationen nach einem Weg, um wenigstens Frauen | |
| und Kinder, die in Libyen inhaftiert werden, an sichere Orte zu bringen. | |
| Doch anfangs wollte kein Land die Gestrandeten aufnehmen. „Alle lehnten | |
| ab“, erzählt Alessandra Morelli vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten | |
| Nationen (UNHCR). | |
| Schließlich erklärte sich Niger bereit, die Flüchtlinge zu beherbergen. Das | |
| westafrikanische Land zählt zu den ärmsten der Welt: Im Entwicklungsindex | |
| der Vereinten Nationen steht es auf Platz 187 von 188 Staaten. Mehr als die | |
| Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als einem Dollar am Tag. | |
| Weil die Lage im Land so prekär ist, stellte Niger eine Bedingung: Die | |
| Flüchtlinge aus Libyen dürften nur so lange bleiben, bis europäische | |
| Staaten ihre Asylanträge geprüft hätten. Anschließend sollten die | |
| Evakuierten in wohlhabendere Länder verteilt werden. Nach zähen | |
| Verhandlungen sagten Kanada und mehrere europäische Staaten schließlich zu, | |
| knapp 3.000 Menschen aufzunehmen. | |
| Im November 2017 hob der erste humanitäre Flug von Tripolis in die | |
| nigrische Hauptstadt Niamey ab. An Bord waren vor allem Frauen und | |
| Minderjährige aus Eritrea, Äthiopien und dem Sudan. Das | |
| UN-Flüchtlingshilfswerk hatte sie ausgewählt, weil sie in Libyen gefoltert, | |
| geschlagen oder vergewaltigt worden waren. Yohana ist eine von ihnen. | |
| Man sieht Yohana den Schrecken, den sie erlebt hat, nicht an. Sie hat | |
| kindliche Gesichtszüge, ihre Füße stecken in Schlappen mit Plüschbesatz. | |
| Die langen Haare hat Yohana zu einem Knoten gesteckt. | |
| ## Yohanas Flucht von Eritrea durch die Wüste nach Libyen | |
| Frisuren sind Yohanas Hobby – und sie waren einmal ihr Beruf. Bevor Yohana | |
| Eritrea verließ, war sie Friseurin in Asmara, der Hauptstadt des Landes. | |
| Yohana lebte mit ihrer Mutter und sechs Geschwistern in einem Zimmer am | |
| Stadtrand. Fließendes Wasser gab es nicht, stattdessen kam alle vier Tage | |
| ein Lastwagen mit Trinkwasser. Yohana sammelte es in einem Container, den | |
| sie auf ihrem Rücken in die Wohnung schleppte. „Es war kein richtiges | |
| Leben“, sagt Yohana, „eher ein Überleben.“ | |
| Trotzdem hätte sie ihre Heimat nicht verlassen – wäre da nicht das Militär. | |
| Jeder Eritreer, egal ob Mann oder Frau, ist verpflichtet, Wehrdienst zu | |
| leisten. Offiziell dauert der 18 Monate, tatsächlich kann die Zeit in der | |
| Armee beliebig verlängert werden. Yohanas Mann, ein Nachbarsjunge, den sie | |
| von ihrer Kindheit an kannte, wurde eines Morgens von Soldaten abgeholt und | |
| eingezogen. Wenn sie heute auf seinem Handy anruft, meldet sich nur die | |
| Mailbox. Ob ihr Mann noch lebt, weiß Yohana nicht. | |
| „Ich hatte jeden Tag Angst, dass sie mich auch holen“, sagt Yohana. Deshalb | |
| entschied sie sich vor drei Jahren zur Flucht aus Eritrea. Sie war nicht | |
| die E rste in ihrer Familie: Yohanas Bruder hatte es vor Jahren nach | |
| Dänemark geschafft. Von ihm wusste Yohana, dass die Chancen auf Asyl für | |
| Eritreer in Europa nicht schlecht stehen. Er war es auch, der seiner | |
| Schwester 4.000 US-Dollar schickte, um die Schlepper bis nach Libyen zu | |
| bezahlen. | |
| Yohana packte drei T-Shirts ein und drei Hosen, dazu einen Kanister, der | |
| drei Liter Wasser fasste. Ein Schmuggler fuhr sie mit dem Auto in den | |
| Sudan. „Dann kam die Wüste“, sagt Yohana, und ihre Gesichtszüge verhärten | |
| sich, als mache ihr schon der Gedanke an diesen Ort Angst. | |
| Das Gebiet zwischen Sudan und Libyen gilt als eine der unwirtlichsten | |
| Regionen der Welt. Es gibt kein Wasser und keinen Schatten – nur Sand, so | |
| endlos, dass jeder, der sich darin verirrt, dem Tod geweiht ist. | |
| Yohana vertraute auf ihren Schlepper: Er sollte sie und 61 weitere | |
| Flüchtlinge tief in die libysche Wüste bringen. Dort, so hatte er es | |
| angekündigt, würde ein Kollege mit Wasser und Lebensmitteln auf sie | |
| treffen. Doch an der verabredeten Stelle war niemand, nur Sand. | |
| Also warteten sie. Die Sonne brannte, das Essen ging zur Neige. In einer | |
| Nachts spürte Yohana plötzlich den Schlepper auf sich. Fragt man sie | |
| danach, wird ihre Stimme dünn und ihr Blick füllt sich mit Tränen. | |
| Als der libysche Schlepper nach drei Tagen auftauchte, waren vier | |
| Flüchtlinge verdurstet. „Wir haben sie liegen lassen“, sagt Yohana. | |
| Bis zum Bürgerkrieg 2011 war Libyen ein vergleichsweise sicheres Land. | |
| Heute versinkt es an vielen Stellen in Rechtlosigkeit. Der Eintritt nach | |
| Libyen ist für viele Migranten das Tor zu einer ungekannten Hölle. | |
| ## Gefangen im Lagerhaus der Schlepper | |
| Kurz vor Tripolis sperrten die Schlepper Yohana und die anderen Flüchtlinge | |
| in ein Lagerhaus. Die Schmuggler verlangten mehr Geld und folterten jene | |
| Flüchtlinge, die nicht bezahlen konnten. Es war eines jener | |
| Privatgefängnisse, die das Berliner Auswärtige Amt in einem Bericht als | |
| „KZ-ähnlich“ beschreibt. | |
| Yohanas Bruder in Dänemark überwies Geld, damit seine Schwester besser | |
| behandelt wurde. Andere Flüchtlinge hatten diese Möglichkeit nicht. Abel, | |
| ein 17-jähriger Eritreer, sagt, er sei von den Schleppern mit Wasser | |
| übergossen und dann mit Elektroschocks traktiert worden. Samara, eine | |
| 29-Jährige aus Eritrea erzählt, die Schlepper hätten sie in einen | |
| fensterlosen Raum gebracht: Dort sei sie eine Woche lang von wechselnden | |
| Männern missbraucht worden. Fardous, eine 25-Jährige aus Somalia, bat die | |
| Schmuggler, wenigstens ihr Kind zu verschonen. Als Antwort hätten die | |
| Männer Zigaretten auf den Beinen ihrer zweijährigen Tochter ausgedrückt. | |
| Abel, Samara und Fardous gehören zu jenen Flüchtlingen, die von der UN aus | |
| Libyen in den Niger evakuiert wurden. Wie Yohana leben sie nun in Niamey, | |
| verteilt auf 22 Pensionen in der Stadt. Eine Psychologin und eine | |
| Krankenschwester versorgen die Flüchtlinge in Yohanas Gästehaus. | |
| UN-Mitarbeiterinnen bringen den Frauen und Kindern Französisch bei oder | |
| tanzen mit ihnen nigrische Tänze. Im Hof des Gästehauses blühen Mangobäume. | |
| „Es ist so wunderbar“, sagt Yohana. „Ich dachte nicht, dass ich jemals | |
| wieder so frei sein kann.“ | |
| Vier Monate verbrachte Yohana in dem Lagerhaus, gefangen gehalten von den | |
| Schleppern. Nachdem man sie freiließ, schaffte sie es zwar auf ein | |
| Flüchtlingsboot – doch weit kam sie nicht. Nach vier Stunden auf dem Meer | |
| schnitt die Küstenwache Yohanas Boot den Weg ab. Man brachte sie in ein | |
| Lager, wo Hunderte Migranten interniert waren. Enge Räume, auf dem Boden | |
| zerschlissene Matratzen. Ein Gefängnis mit unbekannter Haftdauer: Niemand | |
| sagte Yohana, was mit ihr geschehen würde. „Ich dachte, ich bleibe für | |
| immer dort eingesperrt“, erzählt sie. | |
| Weil es nichts zu tun gab, schlief Yohana die meiste Zeit. Ihre Lage schien | |
| ausweglos. Nach zwei Monaten kamen schließlich Mitarbeiter der Vereinten | |
| Nationen in das Lager. Sie registrierten die Flüchtlinge und hörten ihre | |
| Geschichten an. Yohana bekam eine 11-stellige Nummer und die Hoffnung, die | |
| Haftanstalt doch noch einmal verlassen zu können. | |
| ## Endlich in Niger – mit Hoffnung auf Europa | |
| Tatsächlich wurde Yohana für einen der UN-Flüge nach Niger ausgewählt. Sie | |
| hatte noch nie von diesem Land gehört – trotzdem freute sie sich. „Alles | |
| ist besser als Libyen“, sagt sie. „Es gibt keinen schlimmeren Ort auf der | |
| Welt.“ | |
| Seit mehreren Monaten lebt Yohana nun in dem Gästehaus in Niamey. Sie hat – | |
| wie alle Flüchtlinge, die nach Niger gebracht wurden – eine Zusage, dass | |
| ihr Asyl gewährt wird. Doch welches Land Yohana aufnimmt, ist unklar. | |
| Mehrere europäische Staaten, darunter Frankreich, Finnland, die Schweiz, | |
| Italien und Norwegen, haben vor der Evakuierung garantiert, die Flüchtlinge | |
| aus dem Niger weiterzuverteilen. Doch der Prozess stockt. | |
| Rund 1.500 Flüchtlinge wurden seit November aus Libyen nach Niger gebracht. | |
| Gerade einmal 339 von ihnen konnten bislang in ihre Aufnahmeländer | |
| weiterreisen. „Die Umsiedlung geht zu langsam voran“, sagt Alexandra | |
| Morelli von UN-Flüchtlingshilfswerk. | |
| Deutschland hat sich bereit erklärt, bis zu 300 Flüchtlinge, die im Niger | |
| gestrandet sind, aufzunehmen. Tatsächlich wurde bislang kein einziger | |
| umgesiedelt. Ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge | |
| (Bamf) teilt auf Anfrage mit, dass seit Anfang Juli ein Team des Bamf | |
| potenzielle Aufnahmekandidaten treffe und überprüfe. Es seien jedoch viele | |
| Stellen an der Prozedur beteiligt, deren Arbeit eng abgestimmt werden | |
| müsste. | |
| „Niger ist sehr großzügig“, sagt Alessandra Morelli. „Aber lange könne… | |
| Flüchtlinge hier nicht bleiben.“ Weder das UN-Flüchtlingshilfswerk noch das | |
| Land hätten Mittel, um die Flüchtlinge dauerhaft zu versorgen. Zudem | |
| fürchtet Morelli religiöse Spannungen: Niger ist streng islamisch, während | |
| ein Großteil der Evakuierten Christen sei. | |
| Weil die Verteilung der Flüchtlinge nicht voranging, hatte Niger die | |
| Aufnahme aus Libyen zwischenzeitlich gestoppt. Was aus den Tausenden wird, | |
| die in libyschen Gefängnissen festsitzen, weiß auch Morelli nicht. „Wir | |
| würden gerne mehr Menschen evakuieren“, sagt sie. Doch es fänden sich keine | |
| Länder, die sie aufnehmen. | |
| Yohana ahnt nichts von dem politischen Tauziehen, das sie umgibt. Sie hofft | |
| einfach, bald nach Europa ausgeflogen zu werden. | |
| 14 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexandra Rojkov | |
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