| # taz.de -- Rassismus im Job: Damals, im Callcenter | |
| > Mesut Özil hat eine Debatte über Rassismus angestoßen. Das ist gut. Viele | |
| > Menschen erleben täglich Rassismus, können sich aber nicht so leicht | |
| > wehren. | |
| Bild: Egal woher er dröhnt: Rassismus tut weh | |
| Als Mesut Özil wegen der [1][rassistischen Anfeindungen] gegen ihn seinen | |
| Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekannt gab, war mein erster Gedanke: | |
| Recht hat er. Niemand muss sich so etwas gefallen lassen. Mein zweiter | |
| Gedanke war: Glück hat er. Denn die meisten müssen sich so etwas gefallen | |
| lassen – sie haben [2][keine Möglichkeit], ihren Job einfach | |
| hinzuschmeißen, weil sie von Rassismus betroffen sind. | |
| Mit sechzehn Jahren arbeitete ich nach der Schule in einem Callcenter für | |
| ein großes Versandhaus. Eigentlich war meine Aufgabe, Bestellungen | |
| entgegenzunehmen und Rücksendungen zu organisieren. Doch gibt man Menschen | |
| eine Telefonnummer, nutzen sie diese – auch zweckfremd. Da man sich damals | |
| noch nicht in Kommentarspalten im Internet austoben konnte, musste der Hass | |
| woanders raus. Am Telefon ging das relativ anonym. | |
| Es gab obszöne Anrufe, viele onanierende Männer. Menschen riefen aber auch | |
| an, um ihren Rassismus rauszulassen. Meist waren Schwarze Models im Katalog | |
| der Anlass: Ob es denn keine ordentlichen deutschen Mädchen mehr gebe. Ob | |
| man wirklich denke, man würde was kaufen, dass so eine getragen hat. Nach | |
| einem besonders verstörenden Anruf dieser Art bat ich meine Vorgesetzte, | |
| meine Fünfminutenpause etwas vorziehen zu können, um mich zu beruhigen. Es | |
| gab keinen praktischen Grund, warum sie das hätte ablehnen sollen. Sie tat | |
| es aber. Weil ich mich nicht so haben sollte. Weil sie nicht versteht, | |
| warum ich mich jetzt so aufregen würde, und überhaupt aus Prinzip. Nicht | |
| wegen so etwas. Das müsse ich aushalten. | |
| Ich hielt es aus. Weil ich diesen Job brauchte. Und aus dem gleichen Grund | |
| halten viele Menschen noch viel schlimmere Situationen aus. Rassismus am | |
| Arbeitsplatz hat viele Facetten und betrifft viele Menschen | |
| unterschiedlich. Es gibt allerdings keine Berufsgruppe, die ausschließen | |
| kann, damit konfrontiert zu sein. Ob Telefonistin, Lehrer, Ärztin oder | |
| Fußballprofi: Die Rassismen, denen man ausgesetzt ist, sind zwar | |
| unterschiedlich, können aber immer auftreten. | |
| Hätten meine Kolleginnen damals im Callcenter ein offenes Ohr für mich | |
| gehabt, hätte ich mich schon wesentlich besser gefühlt. Wut und Ekel über | |
| „die Stöhner“, wie wir sie nannten, wurden geteilt. Über die rassistischen | |
| Anrufe aber schien nur ich mich aufzuregen. | |
| Der Rassismus im Büro kam nicht nur von den Kunden: Es gab Kolleginnen, die | |
| Kund*innen rassistisch beleidigten. Und es gab Kolleginnen, die den | |
| zuckersüßen Telefonistinnen-Leitfaden mit einem Schlag vergaßen und | |
| aggressiv und pampig mit Kund*innen sprachen. Nach dem Auflegen ließen sie | |
| sich darüber aus, dass sie keinen Bock hätten, mit Ausländern zu sprechen. | |
| Aus den üblichen, sich widersprechenden rassistischen Ungründen: „Können | |
| sich sowieso nix leisten“ und „die kriegen die Kohle hinterhergeschmissen | |
| und können sie für all den Kram hier ausgeben“. | |
| ## Nicht, wer rassistisch ist, stört, sondern wer es anprangert | |
| Wenn ich etwas dagegen sagte, signalisierten mir die Kolleginnen, die meine | |
| Meinung dazu im Grunde teilten, ich solle das besser ignorieren. Ich sollte | |
| keinen Stress machen, damit alle in Ruhe weiterarbeiten konnten. Dass nicht | |
| diejenigen, die sich rassistisch äußern oder handeln, als Störende | |
| betrachtet werden, sondern die, die Rassismus ansprechen, ist gängige | |
| Praxis – und begegnet vielen, die Rassismus widersprechen. | |
| Schon in der Schule beginnt [3][rassistische Diskriminierung] auf dem | |
| beruflichen Lebensweg: Wenn Klassenarbeiten von Max und Murat | |
| unterschiedlich bewertet werden, macht eine Studie dazu den strukturellen | |
| Rassismus dahinter sichtbar. Doch im individuellen Einzelfall ist dieser | |
| Rassismus schwer nachzuweisen. Deshalb wird Murat erst mal eines mit auf | |
| den Weg gegeben: Wenn dein Zeugnis genauso gut sein soll wie das von Max, | |
| musst du eben besser sein als er. | |
| Das setzt sich im Beruf fort: Ob Rassismus wirklich der Grund war, warum du | |
| die Stelle oder Beförderung nicht bekommen hast, lässt sich nur in den | |
| seltensten Fällen sicher feststellen. Deshalb sei vorsichtshalber einfach | |
| besser – dann bist du auf der sicheren Seite. Das ist ein häufiger Rat, den | |
| Menschen zu hören bekommen, die rassistischer Benachteiligung ausgesetzt | |
| sind: Es mag ja sein, dass weiße Bewerber*innen bevorzugt wurden, obwohl du | |
| genauso qualifiziert bist. | |
| Du musst dann eben noch qualifizierter sein. Wenn du nur gut genug, fleißig | |
| genug, an Expertise nicht zu übertreffen bist, dann wird deine Hautfarbe | |
| oder dein Name keine Rolle mehr spielen. Durch Exzellenz kann man nicht nur | |
| etwas für die persönliche Karriere tun, sondern auch gleich helfen, die | |
| Vorurteile gegenüber der eigenen Community abzubauen: Übernimm | |
| Verantwortung, tritt einen Gegenbeweis an. | |
| ## Alles richtig machen zu müssen, beschneidet die Kreativität | |
| Wenn es heißt, Schwarze Menschen kommen immer zu spät – achte darauf, die | |
| Erste im Büro zu sein. Wenn sie sagen, Südeuropäer*innen sind faul – mach | |
| mehr Überstunden als die Kolleg*innen. Erlaube dir keinen | |
| Rechtschreibfehler – wenn deine Deutschkenntnisse ohnehin angezweifelt | |
| werden, obwohl du hier geboren und aufgewachsen bist. | |
| Dieser zusätzliche Druck ist wenig hilfreich: Immer skeptisch beäugt zu | |
| werden macht unsicher und schränkt Kreativität ein. Wer ständig alles | |
| richtig machen will, früher kommt und später geht, sich immer wieder | |
| rückversichert, um bloß keine Fehler zu machen, gilt schnell als | |
| langweiliger Streber. Die Überkorrekten, die zu verkrampft an die Sache | |
| rangehen, wenig Lockerheit ausstrahlen. Mit solchen Leuten arbeitet niemand | |
| wirklich gern. | |
| Wie überall, wo Rassismus wirkt, bist du bei erfolgreicher Arbeit die gut | |
| integrierte Ausnahme, der Einzelfall. Bei Fehlern bist du die Bestätigung | |
| des Vorurteils gegenüber einer ganzen Gruppe. | |
| In den 70er Jahren bezeichnete Nobelpreisträgerin Toni Morrison Rassismus | |
| als Ablenkung, die Menschen davon abhält, ihre Arbeit zu tun, indem sie | |
| gezwungen sind, Zeit und Energie darauf zu verschwenden, Vorurteile und | |
| rassistische Stereotype zu widerlegen. | |
| ## Ausschlüsse im Kulturbetrieb sind subtiler | |
| Dies gilt noch immer. Die meisten Diversitätsbeauftragten und | |
| Wissenschaftler*innen, die zu den Themen [4][Rassismus, Diversität und | |
| Migration] arbeiten, hatten das ursprünglich nicht als berufliches Ziel auf | |
| ihrer Agenda. Sie wurden in ihrer Laufbahn nur immer wieder mit | |
| rassistischen Ausschlüssen konfrontiert und haben dann ihr Wissen, ihre | |
| Erfahrungen und Fähigkeiten dafür eingesetzt, dagegen zu arbeiten. | |
| Heute sitze ich nicht mehr am Telefon, sondern arbeite als freie | |
| Theatermacherin. Meine Kolleg*innen kann ich mir jetzt aussuchen. Der | |
| Rassismus sitzt jetzt nicht mehr mit mir am Tisch. Ausschlüsse im | |
| Kulturbetrieb sind subtiler. Fördergelder werden zum Beispiel von Jurys | |
| vergeben, die wenig divers sind. Für viele Künstler*innen of Color ist es | |
| in diesem ohnehin schon umkämpften Bereich besonders schwer, dort ein | |
| offenes Ohr für ihre Anliegen zu finden. | |
| Jury-Mitglieder ohne Migrationshintergrund können oft weder die | |
| Dringlichkeit der Themen noch ästhetische Ansätze nachvollziehen, die nicht | |
| aus dem europäischen Raum kommen. Ähnlich ist das mit | |
| Theaterkritiker*innen. Es gibt einige Kritiken, in denen meine Stücke gut | |
| besprochen werden, von denen ich aber trotzdem hoffe, dass sie niemand | |
| gelesen hat, weil der exotistische Blick auf meine Arbeit einfach peinlich | |
| ist. | |
| Auf welche Art auch immer Menschen im Beruf Rassismus ausgesetzt sind: Es | |
| ist zermürbend, und nur durch Solidarität unter Kolleg*innen lässt sich dem | |
| etwas entgegensetzen. Wir sollten also alle mehr aufeinander achten, | |
| rassistischen Äußerungen widersprechen und die Strukturen hinterfragen, die | |
| zu Ausschlüssen führen. Damit wir alle in Ruhe unserer Arbeit nachgehen | |
| können. Denn arbeiten ist oft anstrengend genug. Besonders bei dieser | |
| Hitze. | |
| Simone Dede Ayivi ist Theaterregisseurin in Berlin. Mehr zu ihr gibt es | |
| [5][hier]. | |
| 14 Aug 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Dede Ayivi | |
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