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# taz.de -- #MeTwo-Berichte zu Rassismus: #schweigenistkeineoption
> Rassismus verletzt, entwürdigt oder beschämt. In Deutschland ist er
> alltägliche Realität.
Bild: Manchmal will man einfach nur noch schreien
„Du siehst doch aus wie Kacke“
Wenn dich Menschen auf der Straße angewidert anschauen und empört den Kopf
schütteln. Einfach, weil du existierst. #metwo
Wenn in den Ferien auf der Alm neben dir Leute den Satz sagen: „Jetzt
trinkt das Vieh auch noch“ und du siehst nach den Kühen. Aber keine von
denen trinkt. Dann schaust du auf deine CapriSonne und dir fällt ein, dass
du eben einen Schluck genommen hast. Als du dich zu den Leuten umdrehst und
ihre Blicke siehst, wird dir klar: Sie reden von dir. Du bist 10 Jahre alt.
#metwo
Wenn deine Schwester zur Schwangerenvorsorge geht, nach ihrer eigenen
Herkunft und der des Kindsvaters ausgefragt wird und dann gesagt wird: „Na
hoffentlich wird es kein kleines Äffchen.“ #metwo
Wenn du in einer Notsituation zögerst, Hilfe von offiziellen Stellen in
Anspruch zu nehmen, weil du fürchtest, der Rassismus und die Vorurteile
könnten euch in eine noch schlimmere Situation bringen. #metwo
Wenn dir bei einem Nebenjob von einer Kollegin „liebevoll“ gesagt wird: „…
bist meine kleine Kacke. Du siehst doch aus wie Kacke.“ Und du glaubst, du
hörst nicht richtig. #metwo
Wenn du dich dein ganzes Leben irgendwie schämst, diese Erlebnisse
mitzuteilen, weil es zu entwürdigend ist. #metwo #Schlussdamit
#schämteuchselbst
Wenn du unterwegs bist und dir wahlweise das N-Wort, Tiernamen, Namen
bekannter schwarzer Personen unabhängig von Geschlecht oder einfach
Beschimpfungen unterhalb der Gürtellinie hinterhergerufen werden. Tagein
tagaus. #metwo
Wenn dir Worte wie Integration oder Migrationshintergrund zum Hals
raushängen, weil es absurd ist, dass wer auch immer darüber die
Deutungshoheit haben will, ob du nun „hierher gehörst“ oder nicht. Mein
Deutschsein ist einfach eine Tatsache, ob es irgendwem passt oder nicht!
#metwo
Wenn du die Entwicklungen in diesem Land beobachtest und dir Sorgen machst,
welche Erlebnisse noch auf dein Kind zukommen werden. #metwo
#schweigenistkeineoption
Katja Musafiri
Kanakin mit gewalttätigen Brüdern
„Für eine Türkin siehst du ziemlich gut aus“, sagt mir ein Mann, der
glaubt, mit mir zu flirten. „Ich bin Kurdin“, sage ich. Er: „Was ist denn
der Unterschied?“ Ich trinke meinen Drink so schnell ich kann und gehe mit
Hirnfrost nach Hause.
Am nächsten Abend muss ich nach Brüssel und dort ein Interview führen. Ich
bin sehr aufgeregt. „Es könnte das Interview meiner Karriere werden“, denke
ich. „Es kann alles ändern.“ Aber am nächsten Abend darf ich nicht
abreisen, weil die Grenzen im Schengenraum nur für EU-Bürger*innen offen
sind. Dass ich schon seit neun Jahren in Deutschland lebe und Steuern
zahle, ist offenbar egal.
Kurz nachdem ich meinen Ex-Mann kennengelernt habe, erzählt er seiner Oma
von mir. Sie sagte: „Pass auf, dass du nicht bald ein Messer im Rücken
hast.“ Sie denkt also, dass ich gewalttätige Männer in der Familie habe,
weil ich Kanakin bin. Vor paar Wochen gibt mir ein Mann über Tinder seine
Telefonnummer und schreibt dazu „Gib sie bitte nicht weiter an deine
Brüder“. Ich blocke kommentarlos. Ein anderer Mann sagt mir, dass das kein
Rassismus sei, weil ich ja keine Brüder habe: „Ist doch ein Witz, Mann.
Entspann dich.“ Sag mal einem entspannten Menschen zehnmal „Entspann dich“
und schau zu, was dann passiert.
Seit Wochen mache ich Rassismuserfahrungen auf Twitter, weil ich mich zum
Rassismus in Deutschland äußere. Unter anderem wird mir abgesprochen, eine
Woman of Color zu sein: „Du bist die weißeste Kanakfotze, was willst du
Weißbrot erzählen?“
Deutschland will sich nicht als Land mit einem Rassismusproblem abstempeln
lassen, daher ist schon ein Antiteam unterwegs. Die Antiteam-Mitglieder
beleidigen unter dem Hashtag #MeTwo Menschen rassistisch, um zu beweisen,
dass es in Deutschland keinen Rassismus gibt. Ob sie zu Hause die Toilette
mit Scheiße putzen?
Sibel Schick
In China essen sie Hunde
Rassismus ist ein abstraktes Wort. Als Kind hatte ich keine Ahnung, was
dieser Rassismus eigentlich sein sollte.
Klar, als ich mich zu Fasching in der Grundschule als Prinzessin verkleiden
wollte, meinten die anderen Kinder, dass es keine Schlitzaugenprinzessin
gebe. Aber meine Mutter erzählte mir kurzerhand von Mulan, steckte mich in
einen seidenen chinesischen Zweiteiler und drückte mir einen Holzstock zum
Kämpfen in die Hand.
Als ein paar Jahre später „Chinesen sind Hundefresser“ an der Tafel stand
und meine Sitznachbarin mir vorwurfsvolle Blicke zuwarf, schaute ich
betreten auf den Boden und wusste selbst nicht genau, ob man in China nicht
vielleicht manchmal irgendwo Hunde isst.
Und als mich die Sportlehrerin ständig mit einer Klassenkameradin
verwechselte, deren Eltern aus Korea stammen, wunderten wir uns im Stillen,
weil wir zwar sicher waren, uns nicht ähnlich zu sehen, aber die Lehrerin
ja wahrscheinlich trotzdem recht hatte.
Damals tat es weh, als „irgendwie anders“ markiert zu werden. Rassismus sah
ich darin nie. Ich dachte lange, der auf mich gerichtete Zeigefinger sei
normal. Kinder bilden eben Grüppchen, Kinder schließen manchmal aus. Doch
das Grüppchenbilden hört unter Erwachsenen nicht auf.
Ich treffe neue Menschen auf Partys und bei der Arbeit. Ich übe mich im
Smalltalk. Ich lerne, dass die Frage „Wo kommst du eigentlich wirklich
her?“ für mein Gegenüber oft zwingend zum Smalltalk dazugehört. Dass ich
als empfindlich oder misstrauisch gelesen werde, wenn ich keine Lust habe,
sie zu beantworten. Dass ich meine Identität oft noch immer nicht selbst
besetzen darf, sondern ich zuerst von den „richtigen Deutschen“ gedeutet
werden muss. Und dass die Entscheidung darüber, ob es Rassismus gibt oder
nicht, bis heute noch nicht den Betroffenen obliegt. #MeTwo
Lin Hierse
Interracial love? Wenn Blicke töten könnten
Als ich im Sommer 1967 als schwarzer Soldat nach Deutschland kam – es war
die Zeit der Antikriegsbewegung, der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, der
Befreiung in Afrika und der Frauenbewegung – da gab es in deutschen Städten
Nachtclubs, zu denen nichtweiße Soldaten keinen Zutritt hatten. Die
deutsche Regierung genehmigte das und die US-Regierung förderte es auf
vielen Ebenen.
Die deutsche Regierung spielte eine wichtige Rolle dabei, den Status quo
eines rassistischen Credos aufrechtzuerhalten. Sie verlangte sogar, dass
die Anzahl von „Neger“-Truppen kontrolliert und reduziert werde. Wir waren
nicht willkommen und wir merkten es. Ku-Klux-Klan-Aktivitäten auf
US-Stützpunkten wurden von rechtsradikalen Gruppen still und leise
unterstützt.
Doch es gab auch Kontakte zwischen schwarzen Soldaten und Deutschen. Nicht
jeder befürwortete das. Hand in Hand mit einer weißen Frau die Straße
entlang zu laufen war zwar kein Verbrechen oder gar ein Todesurteil. Aber
wenn Blicke töten könnten …
Man könnte meinen, dass Deutschlands dunkle Vergangenheit abschreckend
gegen Intoleranz und Hass wirkt. Doch so ist es leider nicht. Einige Kräfte
hier schwelgen in den „guten alten Zeiten des Grauens“ und wünschen sich
eine Rückkehr zu Chaos und Mord. Viele verschließen ihre Augen davor oder
akzeptieren die Dinge, wie sie sind. Meine beiden Söhne wurden in der
Grundschule wiederholt „Nigger“ genannt. Meine Tochter diente dem Lehrer
als Beispiel für die unterschiedliche Schreibweise von „Mohr“ und „Moor�…
indem er auf sie zeigte.
Rassismus umfasst ein Spektrum von scheinbar harmlosen Bemerkungen bis zur
hasserfüllten Rhetorik, die überall in der Welt und vor allem in Europa
weit verbreitet ist. So schlimm die Situation war, sie hat sich weiter
verschlechtert und gerät zunehmend außer Kontrolle.
Darnell Stephen Summers
30 Jul 2018
## AUTOREN
Katja Musafiri
Lin Hierse
Darnell Stephen Summers
Sibel Schick
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Schwerpunkt Rassismus
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Mesut Özil
#MeTwo
Mesut Özil
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