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# taz.de -- Kolumne Schlagloch: Butterbrezeln und #MeTwo
> Die Integrationsdebatte zeigt, wie wenig Verständnis für ein
> multikulturelles Leben besteht. Das Problem sind besonders die
> Alteingessenen.
Bild: Forderungen nach dem Bekenntnis zum „Heimatland“ sind uns Migranti ge…
In den letzten zwölf Monaten habe ich bei Dutzenden von Veranstaltungen
mein Buch „Nach der Flucht“ vorgestellt, in dem es um das Leben als
Geflüchteter in diesem Land geht. Um dynamische, multiple Identitäten. Um
die Reaktionen der Alteingesessenen auf einen vermeintlich Fremden. Kaum
eine Lesung ging ohne Diskussionen vorüber. Die allabendliche Begegnung
zwischen einem Autor mit „Migrationshintergrund“ und
literaturinteressierten Bürgerinnen offenbarte einen beachtlichen
Gesprächsbedarf. In Bibliotheken und Buchhandlungen wiederholte sich Mal um
Mal, was nun in der „Causa Özil“ hochkocht.
Mir wurde im Laufe dieser Gespräche klar, dass der Diskurs über Integration
erheblich weiter fortgeschritten ist als die Selbstverständlichkeit im
täglichen Umgang. Selbst interessierte und nachdenkliche Mitmenschen geben
manchmal erstaunliche Klöpse von sich. Sätze wie jener des DFB-Präsidenten
Reinhard Grindel, Özil müsse sich zu seinem „neuen Heimatland“ bekennen,
obwohl dieser bekanntlich in Gelsenkirchen geboren wurde, sind uns Migranti
so geläufig wie die Butterbrezel zum Frühstück, die Currywurst zum
Mittagessen und der Sauerbraten zum Abendbrot. „Wieso schreiben Sie nicht
in Ihrer Muttersprache?“, „Wo sind Ihre Wurzeln?“ oder das penetrante
Schmierenkompliment: „Wie haben Sie denn so gut Deutsch gelernt?“ – [1][D…
sind nur einige Beispiele der tagtäglichen Zumutungen.]
Neulich saß ich mit einer fernöstlich aussehenden Frau zusammen, die in
diesem Land geboren ist und daher mit breitem süddeutschen Akzent spricht.
Sie ist erfolgreich, gebildet, charmant. Und doch muss sie sich selbst am
laufenden Dummheitsmeter erklären, wie ein Exponat in einer Freak Show –
das Aussehen entspricht halt nicht ihrem Deutschtum. Die größte Illusion
der Integrationsdebatte ist nämlich, [2][dass Assimilierung ein
Allheilmittel sei.] Es ist bequem, mit dem anklagenden Finger auf den
reaktionären Muslim zu zeigen, der sich und seine Familie völlig abkapselt.
Die Realität ist aber, dass selbst jene, die bei der kulturellen
Selbstverwandlung außergewöhnlich erfolgreich waren, immer wieder verbale
Ausgrenzung erfahren und diese als symbolische Abschiebung empfinden.
## Nützlich im Bürgeramt, ansonsten gefährlich
Dies ist schmerzhaft, insbesondere, wenn es durch Altdeutsche erfolgt, die
ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Sprache haben: Hasserfüllte
Leserbriefe sind meist gespickt mit grammatikalischen und stilistischen
Fehlern, von der willkürlichen Rechtschreibung ganz zu schweigen. Dass
manchmal ein „Ausländer“ besser Deutsch schreibt als ein „Einheimischer�…
das geht den meisten immer noch nicht in den DIN-genormten Quadratschädel.
Solche Reaktionen und Verhaltensweisen sind nicht einem halbversteckten
Rassismus geschuldet, sondern eher der Ignoranz sowie einer
jahrhundertelangen Zurichtung durch dumpfe Ideologien wie dem Nationalismus
und der Zugehörigkeit durch Blutsverwandtschaft.
„Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst“, steht im „Sachsenspiegel“, dem
ältesten Rechtsbuch deutscher Sprache, immerhin bald achthundert Jahre alt.
So ein Diktum mag nützlich sein, wenn man im Bürgeramt eine Nummer zieht
und sich in die lange Warteschlange einreiht, es ist aber geradezu
gefährlich als grundsätzliche Haltung. Soziale Kohäsion entsteht nicht
durch die Wahrung von nebulösen kulturellen Besitzständen.
Was mich bei den emotionalen Reaktionen auf das Buch besonders berührte,
waren Aussagen von ehemals Vertriebenen. In Darmstadt kam eine alte Frau
auf mich zu und erzählte mir, sie lebe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs
in dieser Stadt und fühle sich als Schlesierin immer noch fremd. Die
Einheimischen hätten ihr immer wieder zu verstehen gegeben, sie gehöre
nicht dazu.
Mehrmals berichteten Deutsche aus dem Osten über ihr [3][Fremdeln im
westlichen Deutschland.] Das zeigt auf, dass sich Feindseligkeiten nicht
nur an religiöser oder sprachlicher Differenz entzünden. Nein, eine latente
Xenophobie fließt durch die geschlossenen Adern dieser Gesellschaft. Sie
offenbart sich in jeder Aussage à la „Multikulti ist gescheitert“, obwohl
alle Studien und Statistiken beweisen, dass die Migranti dieses Land
materiell, aber auch kulturell enorm bereichert haben. Ein Scheitern auf
höchstem Niveau also, besser als monokulturelles Gelingen.
## Manchmal ist das Eigene fremd
Eine meiner frühesten Erinnerungen an die deutsche Leitkultur betrifft den
Sänger Roberto Blanco. Ich sitze als Flüchtlingskind vor dem Fernseher. Es
singt ein lustiger Mann und alle johlen und jubeln, nur ist der Sänger
schwarz und alle im Publikum sind weiß: „Ein bisschen Spaß muss sein“, und
die Mehrheitsgesellschaft erlaubt sich ein wenig Spaß. Wenn der Fremde das
Nichteinwanderungsland Deutschland zum Tänzchen bittet, dann hätten es die
Alteingesessenen gern, dass die Neuankömmlinge sich führen lassen, am
besten wie hübsche Marionetten. Das Problem dabei ist nur, dass jene, die
dazugehören wollen, nicht völlig akzeptiert, und jene, die nicht
dazugehören wollen, stigmatisiert werden.
Die Diskussion über das Fußballfoto mit Diktator zeigt auf, wie wenig
Verständnis in unserer Gesellschaft für die Komplexität eines
multikulturellen Lebens besteht. Für Aspekte wie Nostalgie, Sehnsucht,
Entfernung und Annäherung. Manchmal ist die Heimkehr ein Kulturschock,
manchmal ist einem das Eigene fremd.
Zudem ist es unerträglich, [4][einem Kicker mehr Haltung abzuverlangen] als
der politischen und wirtschaftlichen Elite, die mit Diktatoren viel mehr
verbindet als nur ein Foto. Der deutsche Anstand sollte es verbieten, dass
deutsche Automobilhersteller, die seit Jahren das deutsche Volk betrügen
und vergiften, sich als moralische Instanz aufbauen, oder dass Kriminelle
wie Herr Hoeneß, die das deutsche Volk um Millionen betrogen haben, sich
abfällige Urteile erlauben. Denn am Ende des Tages basiert
Fremdenfeindlichkeit stets auf einer Schieflage: Es gelten nicht gleiche
Rechte für alle!
1 Aug 2018
## LINKS
[1] /MeTwo-Berichte-zu-Rassismus/!5520478
[2] /Kommentar-MeTwo/!5520399
[3] /Professorin-ueber-Identitaeten/!5501987
[4] /Kommentar-Identitaet-und-Integration/!5520194
## AUTOREN
Ilija Trojanow
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