| # taz.de -- Italien und die Fußball-WM in Russland: Nicht dabei und doch mitte… | |
| > Italien zeigt Interesse am WM-Turnier. Von dort kommt WM-Star Ronaldo zu | |
| > Juventus Turin und bringt die Gewerkschaften auf die Barrikaden. | |
| Bild: Ein Mann trägt eine Schaufensterpuppe mit einem Trikot von Juve und Rona… | |
| Rom taz | An der Via dei Campi Sportivi, der Straße der Sportplätze, in Rom | |
| ist die Welt noch in Ordnung. Hier am Tiber, nur einen Steinwurf vom | |
| Zentrum der Hauptstadt entfernt, reiht sich ein Trainingsgelände ans | |
| andere. Gleich hinter dem Tor des Olympic Center Giulio Onesti erstreckt | |
| sich eine Wiese größer als ein Fußballplatz – und die dominierenden Farben | |
| sind Gelb-Rot. Dutzende Kids im Vereinstrikot von AS Rom sind mit | |
| Feuereifer dabei, üben in kleinen Grüppchen. | |
| Schon dass sie an der Fußballschule AS Rom trainieren dürfen, empfinden die | |
| Jungs als Ritterschlag. Schließlich wollen sie einmal in die Fußstapfen des | |
| „Capitano“ treten, des in Rom hoch verehrten Francesco Totti, der erst 2017 | |
| mit 41 Jahren seine aktive Karriere beendete – und mit dem Italien die | |
| Weltmeisterschaft 2006 gewann. | |
| Ihr Held entstammt gloriosen italienischen Fußballzeiten, aber die sind | |
| vorbei. Die Auswahl des Landes hatte sich nicht einmal für die WM in | |
| Russland qualifizieren können, ist letztlich an Schweden gescheitert, einem | |
| für das gewöhnliche italienische Fußballselbstbewusstsein Zwerg der | |
| Sportart. Und diesmal? Guckt das Land Fußball-WM, die TV-Quoten sind prima: | |
| Und dann sieht das Publikum, wie andere Teams vorzüglich spielen. | |
| Italien steckt in einer Fülle von Krisen, die fußballerische zählt dazu. | |
| Auch schon 2010 und 2014 lief es alles andere als gut: Die Squadra azzurra | |
| scheiterte jeweils in der WM-Gruppenphase. | |
| Stark präsent war und ist Italien dennoch beim WM-Turnier, denn immerhin 58 | |
| Spieler aus italienischen Vereinen durften sich über das Ticket nach | |
| Russland freuen, unter ihnen gleich sechs der Finalisten [1][aus Kroatien] | |
| sowie ein Franzose. | |
| ## Noch krasser | |
| Fußball in Italien, das ist heutzutage nur noch am Rande italienischer | |
| Fußball. Und deshalb ist das mit den Träumen des AS-Rom-Nachwuchses auch so | |
| eine Sache. Im A-Team Roms dominieren Namen wie Džeko, Schick, El Shaarawy, | |
| nur 7 der 22 Spieler des Kaders sind Staatsbürger des Landes. Aber es geht | |
| noch krasser – im Jahr 2016 waren beim Spiel Inter Mailand gegen Udine im | |
| Stadion in San Siro ausnahmslos alle Spieler auf dem Platz Nichtitaliener. | |
| Ausländer, die die Arbeit machen – das kennt Italien auch aus ganz anderen | |
| Sektoren, am anderen Ende der Gesellschaft – nicht mit Millionengehältern, | |
| sondern als Erntehelfer auf den Tomatenfeldern Süditaliens oder als | |
| Putzfrauen und Pflegekräfte in den Haushalten. | |
| Gleichsam als Dank obendrauf dürfen die Millionen Migranten sich mit einem | |
| – durch Innenminister Matteo Salvini in diesen Wochen weiter kräftig | |
| angeheizten – Rassismus abkämpfen. Und sie müssen, wie gerade erst die | |
| Staatsanwaltschaft Turin feststellte, mehr und mehr Beleidigungen, | |
| Bedrohungen und Übergriffe hinnehmen. | |
| In Italien ist der Fußball ein exakter Spiegel der Verhältnisse. Unter den | |
| Ultras von Lazio Rom, Inter Mailand oder Juventus Turin gehört es zum guten | |
| Ton, dunkelhäutige Spieler mit Affenlauten zu empfangen, ohne dass die | |
| Clubs sich allzu sehr damit abmühten, das zu verhindern. | |
| Die Arbeitskraft wird im Fußball eingekauft, bei den Firmen dagegen | |
| beherrscht der krisenbedingte Ausverkauf ins Ausland das Bild. Über zwei, | |
| drei Jahrzehnte hinweg schmückten sich italienische Großunternehmer mit dem | |
| Besitz eines Clubs, die Familie Sensi hielt den AS Rom, die Erdöldynastie | |
| Moratti Inter Mailand – und seit 1986 Silvio Berlusconi den AC Milan. | |
| Vornean stand dann noch der Clan der Fiat-Familie Agnelli, Inhaber von | |
| Juventus Turin. | |
| ## Treuer Fan | |
| Und heute? Der AS Rom ging an eine US-Investorengruppe, bei Inter stieg das | |
| chinesische Großunternehmen Suning ein, und Berlusconi verscherbelte den AC | |
| an einen chinesischen Businessman, der sich allerdings als zahlungsunfähig | |
| erwies. Jetzt hält ein US-Investmentfonds den Club. | |
| Auf einen treuen Fan darf der AC weiter zählen – Innenminister Salvini. Der | |
| räumt in diesem Fall sogar ein, „auch ein Eskimo oder ein Neuseeländer“ s… | |
| ihm als Investor recht, solange er den Verein wieder nach vorne bringe. | |
| Aber auch im Fußball geht dem strammen Nationalisten sein „Italiener | |
| zuerst!“-Motto nicht aus dem Kopf, setzt er doch gleich nach, es würde ihn | |
| „freuen, wenn nicht auch noch der Fußball an den Erstbesten aus dem Ausland | |
| verscherbelt“ werde. | |
| Ans Verkaufen denken vorerst wenigstens die Agnellis nicht, die mit | |
| Juventus Turin den erfolgreichsten Klub des Landes halten – seit 2012 | |
| gewinnt er ununterbrochen die Meisterschaft. Im Gegenteil: Juve blätterte | |
| 112 Millionen Euro auf den Tisch, um [2][Cristiano Ronaldo] von Real Madrid | |
| anzuheuern, garantiert dem Portugiesen zudem 30 Millionen Gehalt pro Jahr | |
| bis 2022. Angeblich soll der Ronaldo-Spaß die Juve-Einkäufer am Ende | |
| mindestens 340 Millionen Euro kosten. | |
| Das stieß der linken Basisgewerkschaft USB sauer auf. Anders als Salvini | |
| bewegt die Gewerkschafter die Frage aber keinen Deut, ob da nun Ausländer | |
| als Investoren einsteigen oder nichtitalienische Stürmer eingekauft werden. | |
| ## Aufruf zum Streik | |
| Stattdessen macht sie ganz altmodisch die Klassenfrage auf. „Unakzeptabel“ | |
| sei es, dass den Fiat-Beschäftigten „seit Jahren enorme ökonomische Opfer | |
| abverlangt“, zugleich aber hunderte Millionen Euro für den Ronaldo-Transfer | |
| locker gemacht würden. Schlimm auch, dass die einen „den Gürtel enger | |
| schnallen müssen“, während „für eine einzige Humanressource so viel Geld | |
| investiert wird“, „schließlich sind wir alle Beschäftigte des gleichen | |
| Chefs“. | |
| Von Sonntagabend bis Dienstag früh ruft die USB jetzt die Arbeiter des | |
| Fiat-Werks im süditalienischen Melfi zum Streik auf – und so könnte Italien | |
| zum Ende der WM dann doch die Schlagzeilen bestimmen: mit dem ersten Streik | |
| in der Geschichte gegen einen Spielertransfer. | |
| 13 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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