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# taz.de -- Kriminalität in der Kurve: Gegen die eigenen Fans
> Juventus Turin geht gegen Anhänger vor, die teils Verbindungen zur Mafia
> haben. Sie verdienen am Tickethandel und drohen mit rassistischen
> Gesängen.
Bild: Mächtige Fans: Bei Juve üben die Anhänger Druck auf die Klubführung a…
Turin taz | Die Stimmung in der Bar Black & White in Turin ist gedrückt.
Das Black & White ist das Stammlokal der Fangruppe Tradizione. Ein paar
Trikots von Juve-Spielern hängen im Raum. Das von Außenstürmer Federico
Bernadeschi ist sogar mit einer Widmung verziert. Seit 1977 gibt es den
Fanclub schon, damals noch unter dem Namen „Fighters“. Nach der Tragödie im
Brüsseler Heyssel-Stadion waren englische Clubnamen aber nicht mehr
opportun, die Gruppe nannte sich in Tradizione um. Etwa 300 Mitglieder
zählen sie, hinter den dominierenden Drughi (600 eingeschriebene Anhänger)
der zweitwichtigste Club in der Curva Sud.
Nur wenige Mitglieder hatten sich ein paar Stunden vor dem
Champions-League-Spiel gegen Bayer Leverkusen eingefunden. Große
Choreografien oder die Abfolge der Sprechchöre besprachen sie nicht. Denn
ihre Transparente wurden von der Polizei während der Operazione „Last
Banner“ im September beschlagnahmt. Nicht einmal die Lust, überhaupt ein
Juventus-Trikot überzustreifen, ist zu verspüren. „Was soll man einen
Verein unterstützen, der die eigenen Leute anzeigt und in den Knast
bringt“, sagt einer der Tradizione-Ultras der taz. Der Anführer der
Tradizione und auch Chef des Black & White, Umberto Toia, wurde im Rahmen
von „Last Banner“ verhaftet.
Den zwölf verhafteten Fananführern wird Erpressung von Juventus,
Gewaltanwendung gegenüber opponierenden Fans und Erpressung des
Barpersonals im Stadion zur Herausgabe von Freigetränken vorgeworfen. Die
Begründung der Haftbefehle skizziert ein düsteres Bild. Bei mehreren
Treffen mit dem Fanbeauftragten von Juventus, Alberto Pairetto, wurde
dieser bedroht und beschimpft, weil er nicht mehr die geforderte Menge an
Freikarten herausgeben wollte.
Pairetto, Sohn von Pierluigi Pairetto, einem der verurteilten
Schiedsrichter des Betrugsskandals von 2006, hatte in früheren Jahren bis
zu 100 Karten pro Fanklub verteilt. Andrea Puntorno, Anführer des Fanklubs
Bravi Ragazzi und mittlerweile wegen Drogenhandels in Sizilien
festgenommen, sprach öffentlich von Einnahmen zwischen 20.000 und 40.000
Euro allein für ihn pro Spieltag. Turins Antimafiaanwälte überprüften die
Angaben und bestätigten der taz dieses Geschäftsvolumen.
## Präsident trifft Mafiosi
Die Antimafiaermittler kamen ins Spiel, weil auch ein ’Ndrangheta-Clan im
Ticketgeschäft mitmischte. Ein Spross des Dominello-Clans wurde sogar von
Juventus als Vermittlerfigur der Fans akzeptiert und traf sich mehrfach mit
Andrea Agnelli. Der Spross der Industriellendynastie aus Turin ist nicht
nur Juventus-Präsident, sondern auch Chef der European Club Association.
Die ECA bastelt seit Jahren schon an der europäischen Superliga. Der
Einpeitscher dieser Millionario-Liga trifft sich mit einem Mafioso – ein
tolles Geschäftsumfeld. Wegen seiner Treffen mit dem mittlerweile
verurteilten Rocco Dominello wurde Agnelli zunächst vom Sportgericht
gesperrt; die Sperre wurde dann auf eine Geldstrafe reduziert.
Nach dem Mafiaprozess „Alto Piemonte“, bei dem die Geschäfte des
Dominello-Clans nur eine Randgeschichte waren, versuchte Juventus offenbar
die Ticketvergabe zu ändern. Die Ultras aber fühlten sich herausgefordert.
Aus „Last Banner“ geht hervor, dass die Chefs der Fanclubs als
Erpressungsmittel auch rassistische Fanchöre androhten. Ihr Kalkül: Gibt
Juventus die Tickets nicht heraus, muss der Verein eben Sanktionen
fürchten. Sogar die Sperrung der Fankurve für zwei Spieltage als Strafe
wegen rassistischer Ausfälle wurden von den Fananführern als Triumph
gewertet – in der Hoffnung, dass Juventus klein begebe.
Das tat der Klub in diesem Falle aber nicht. Noch nicht einmal die Drohung
des bedeutendsten der Fanchefs, Drughi-Boss Dino Mocciola, die Telefonate
publik zu machen, die der frühere Fanbetreuer Raffaello Bucci auf seine
Anweisung hin aufgezeichnet hatte, vermochten den Klub einzuschüchtern.
Bucci, einst selbst Mitglied der Drughi, kam im Juli 2016 ums Leben –
ausgerechnet einen Tag vor seiner geplanten Aussage vor den Ermittlern von
„Alto Piemonte“. Bucci waren die ’Ndrangheta-Verbindungen und das illegale
Ticketgeschäft bekannt. Die Staatsanwaltschaft Cuneo, geleitet von einem
früheren Antimafiaermittler aus Sizilien, geht mittlerweile von Mord aus.
„Alto Piemonte“, „Last Banner“ und der Mordfall Bucci lassen die
verstörenden Verhältnisse innerhalb der Juventus-Kurve deutlich zutage
treten. Ob sich viel verändert, ist allerdings fraglich. Zwei der
Verhafteten wurden wieder freigelassen. Und die Anwälte der Fananführer
zeigen sich gegenüber der taz optimistisch, dass die Beweislage ohnehin
nicht für eine Verurteilung ausreiche.
10 Oct 2019
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Fußball
Fans
Juventus Turin
Mafia
Frauen-WM 2019
Cristiano Ronaldo
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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