# taz.de -- Unkritische Berichte über Wacken-Festival: Rentner lustig entmünd… | |
> Zwei Senioren besuchen nachts das Wacken-Festival. Die Polizei eskortiert | |
> sie ins Altersheim zurück. Ist das als selbstverständlich hinzunehmen? | |
> Nein. | |
Bild: Diese ließ man bleiben: ältere Festival-Besucherinnen in Wacken | |
Bremen taz | Dass zwei alte Männer nachts das Wacken-Festival in | |
Schleswig-Holstein besucht haben, ist am Wochenende vielen Medien eine | |
Meldung wert gewesen. Mit welchem Recht die Polizei die Beiden aber zurück | |
in ihr Altenheim eskortierte, wurde nicht hinterfragt. Die Entmündigung | |
scheint selbstverständlich, medial herrschte Einvernehmen. Korrigiert wurde | |
dieser Eindruck in einem seltenen Anfall von Vernunft in den | |
Online-Kommentarspalten. | |
„[1][Die verrückte Irrfahrt der Heavy-Metal-Rentner]“ titelte etwa Spiegel | |
Online: „Offenbar verwirrt“, seien die „betagten Herren“ gewesen und aus | |
ihrem Altersheim „ausgebüxt“, heißt es in der Unterzeile. Die Sprache | |
signalisiert: Hier darf sich amüsiert werden, nicht mit, sondern über die | |
Irren, die man nicht ernst nehmen muss. Denn „ausgebüxt“ seien sie und das | |
ist ein Wort, mit dem man [2][zuletzt das Schwein beschrieb, das im | |
Hamburger Elbtunnel aus einem Schlachttransporter floh.] | |
Andere Medien machten es ähnlich: „[3][Wacken: Polizei bringt Metal-Fans | |
zurück ins Altenheim]“, formulierte die HAZ. „[4][Sie wollten nach Wacken: | |
Senioren hauen aus Heim ab]“, lockte uns die Bild-Zeitung. „Gegen drei Uhr | |
kümmerte sich eine Streife um zwei betagtere Herren, die an dem | |
Metal-Festival offenbar Gefallen gefunden und sich aus einem Dithmarscher | |
Altenheim auf den Weg gemacht hatten“, hieß es in [5][dem Polizeibericht]. | |
„Natürlich vermisste man sie in ihrem Zuhause und organisierte rasch einen | |
Rücktransport, nachdem die Polizei die Senioren aufgegriffen hatte“, | |
schrieb die Polizei weiter. „Die Männer machten sich allerdings nur | |
widerwillig auf den Heimweg, so dass ein Streifenwagen das beauftragte Taxi | |
vorsorglich begleitete“. | |
## Unhinterfragtes Kuriosum | |
Das Kuriosum, dass ältere Herren ein Festival für vermeintlich „junges“ | |
Publikum besuchen, war vielen Zeitungen mindestens eine Meldung wert. | |
Hinterfragt, ob die Senioren, die anscheinend immerhin „widerwillig“ waren, | |
eigentlich von der Polizei zur Rückfahrt gezwungen wurden – und wenn, mit | |
welchem Recht – haben die wenigsten. Der NDR immerhin zitierte eine | |
Polizeisprecherin: Die Beiden hätten „desorientiert und apathisch“ gewirkt. | |
Eine echte Erklärung ist das nicht. Denn „desorientiert und apathisch“ ist | |
ein Zustand, der sich von dem anderer Wacken-Besucher wohl kaum | |
unterschied, die vielleicht delirant in ihren Zelten vegetierten, | |
vielleicht im Dreck lagen und drohten, an ihrem Erbrochenen zu ersticken. | |
Oder was man sonst eben so auf Festivals treibt. | |
Die Rentner aber waren angeblich zu verwirrt für Wacken und wurden | |
vermisst. Doch muss man sie dafür wie kleine Kinder behandeln? Das fragten | |
auch viele LeserInnen in den Kommentarspalten, denen das Problem auffiel, | |
das sich bei den wenigen Informationen ergab, die berichtet wurden. | |
„Wieso darf ein Bewohner eines Altenheim nicht dort hingehen, wo es ihm | |
gefällt?“, fragte ein HAZ-Leser. „Ein Pflegeheim ist keine JVA“, bemerkte | |
ein Leser bei Spiegel Online. „Wer bestimmt, ob alte Menschen kein Heavy | |
Metal Konzert besuchen dürfen?“, fragte eine Frau auf NDR.de. | |
Für den Juristen Peter Winterstein sind das die richtigen Fragen. Er war | |
Vizepräsident des Oberlandesgerichts Rostock und kümmert sich als | |
Vorsitzender des „Betreuungsgerichtstages“ um Fragen betreuungsrechtlicher | |
Praxis. Auch er wundert sich über die Medienberichte. „Von alten Menschen | |
wird erwartet, dass man sie bevormundet. Das ist völlig falsch“, sagte | |
Winterstein der taz. „Auf Festivals sind viele Leute mit drogeninduzierten | |
Verwirrtheitszuständen und es kommt keiner. Bei alten Menschen sind wir | |
leider nicht so tolerant wie bei jungen. Die elementaren Menschenrechte | |
sind noch nicht in den Köpfen der Menschen angekommen.“ | |
## Es geht um Freiheitsentzug | |
Letztendlich gehe es um die Frage, ob hier ein Freiheitsentzug | |
stattgefunden hat, dem aber enge Grenzen gesetzt wären, so Winterstein. | |
„Ein Altenheim kann nicht bestimmen, dass Bewohner wieder zurückzukommen | |
haben.“ Dafür bräuchte es einen vom Gericht bestellten Betreuer, der | |
ausdrücklich das Aufenthaltsbestimmungsrecht haben muss. Auch über | |
sogenannte Vorsorgevollmachten könne man sich selbst in Abhängigkeit | |
begeben, etwa von einem nahen Verwandten. Aber: „Wenn damit ein | |
Freiheitsentzug verbunden ist, braucht es dazu eine ausdrückliche | |
gerichtliche Genehmigung“, sagte Winterstein. „Wenn die beiden Männer mit | |
Gewalt ins Taxi gezerrt wurden, gibt es ein Problem“. | |
Eine Ausnahme wäre eine Notmaßnahme der Polizei. Bei akuter Gefahr einer | |
Selbstgefährdung habe sie die Befugnis, einzuschreiten. In jedem Fall fehle | |
bei den Berichten eine Schilderung, auf welcher Grundlage gehandelt wurde. | |
Auf Nachfrage erklärte ein Pressesprecher der Polizeidirektion Itzehoe am | |
Montag zu den beiden alten Männern in Wacken: „Sie sind aus einer | |
Pflegeeinrichtung entwichen“. Die Männer seien „als hilflose Personen | |
aufgefallen“ und von einer Streife zunächst zu Sanitätern auf das Gelände | |
gebracht worden. „In Rücksprache mit der Pflegeeinrichtung wurde ein Taxi | |
bestellt, damit sollten die Beiden zurückfahren.“ Einer der Männer habe | |
aber lieber mit einem Shuttlebus zurückfahren wollen. „Er wurde nicht unter | |
Zwang weggebracht. Sie wollten zurück“, erklärte der Polizeisprecher. Auf | |
Nachfrage, ob die beiden einen gesetzlichen Betreuer hatten, erklärte er: | |
„So lese ich das heraus.“ | |
Für Rolf Dieter Hirsch, Gerontopsychiater und früher Chefarzt der | |
Rheinischen Kliniken Bonn, ist der Fall und vor allem die Berichterstattung | |
darüber keine Überraschung. „Leider ist es gesellschaftlich fast | |
selbstverständlich, dass man alle ab einem bestimmten Alter für verwirrt | |
hält.“ Wenn ältere Menschen als sonderbar auffielen, werde oft die Polizei | |
gerufen „und dann läuft die Maschinerie“. Dass Menschen das Heim verlassen, | |
ist für Hirsch hingegen „das normalste von der Welt“: „Ich bin auch nicht | |
gern da drin.“ | |
6 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/kultur/musik/wacken-open-air-die-abenteuerfahrt-der-h… | |
[2] https://www.mopo.de/hamburg/vom-tiertransporter-ausgebuext-schweine-alarm-a… | |
[3] http://www.haz.de/Nachrichten/Panorama/Uebersicht/Wacken-Polizei-bringt-Met… | |
[4] https://www.bild.de/regional/hamburg/wacken-open-air/rentner-machen-sich-au… | |
[5] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/52209/4026139 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
## TAGS | |
Polizei Schleswig-Holstein | |
Polizei | |
Schleswig-Holstein | |
AGG | |
Betreuung | |
Altern | |
Wacken | |
Heavy Metal | |
Psychiatrie | |
Freiheitsentzug | |
Alten- und Pflegeheime | |
Heavy Metal | |
Gleichbehandlungsgesetz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Slayer-Konzert in Berlin: Das Ende ist da | |
Die Metal-Institution Slayer ist gerade auf Abschiedstournee. Niemand | |
versteht es so gut wie sie, Katastrophisches in Pop zu übersetzen. | |
Kommentar Urteil zur Fixierung: Fesseln verliert an Attraktivität | |
Die Fixierung von Psychiatrie-Patienten ist demütigend. Genutzt wird sie | |
bislang oft bei Personalmangel. Dem beugt Karlsruhe jetzt indirekt vor. | |
Verfassungsgerichtsurteil zu Psychiatrie: Fixierung bleibt möglich | |
Karlsruhe stuft die Fixierung von psychisch Kranken nicht als Folter ein. | |
Das Gericht fordert Richtervorbehalt und „Eins-zu-eins-Betreuung“. | |
Pflegemängel in privaten Heimen: Wer kümmert sich um die Senioren? | |
Um die Pflegeheime in Bremen steht es nicht zum Besten – auch, weil deren | |
Betreiber am Personal sparen. Zu ihnen gehört die Altenheim-Kette Alloheim. | |
Metal-Festival „Elbriot“: Naserümpfen war einmal | |
Metal ist längst zu einer mehrheitsfähigen Musik geworden. Seit inzwischen | |
fünf Jahren bringt das Festival „Elbriot“ die Größen des Genres nach | |
Hamburg. | |
Zehn Jahre Gleichbehandlungsgesetz: Es müsste viel mehr Klagen geben | |
Die Geschichte des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist eine | |
Erfolgsgeschichte. Trotzdem greift es oft nicht. So ist die Klagefrist viel | |
zu kurz. |