# taz.de -- Am Samstag ist Christopher Street Day: Happy Pride! Berliner CSD wi… | |
> In vier Jahrzehnten hat der CSD viele Bedeutungswandel erfahren. Er war | |
> immer auch Spiegel der Gesellschaft. Dieses Mal wurde die AfD ausgeladen. | |
Bild: Alle zusammen: Beim Berliner CSD 1995, damals waren es rund 40.000 Teilne… | |
Es waren wütende Worte, die David Eckert, der Chef der Berliner | |
Jugendorganisation der AfD, am 13. Juli in seine Videokamera sprach. Zuvor | |
hatte der CSD den Rechtspopulisten die Teilnahme an der [1][diesjährigen | |
CSD-Parade] verweigert. Mit der Absage würden Menschen ausgegrenzt, die | |
sich als Bollwerk gegen die Bedrohung durch illegale Einwanderer | |
verstünden, „von denen ein großer Teil die Scharia als | |
Gesellschaftsaufforderung befürwortet. In einigen Herkunftsländern werden | |
Schwule an Baukränen aufgehängt!“ | |
Genutzt hat ihm die Tirade nichts. Der 40. Berliner CSD wird am Samstag | |
ohne Rechtspopulisten durch Berlin rollen. Zu Recht, findet der | |
LGBT-Aktivist Bernd Gaiser: „Ich denke die wollen einfach nur, dass wir uns | |
streiten. Die AfD fördert Kräfte wie Pegida, die Beifall klatschen, wenn | |
Menschen im Mittelmeer ertrinken und das hat auf dem CSD nichts verloren. | |
So was muss man bekämpfen. Es gehörte immer schon zum CSD, dass wir uns | |
auch mit anderen solidarisch zeigen.“ | |
*** | |
Er muss es wissen. Gaiser, der heute im schwulen [2][Mehrgenerationenhaus | |
„Lebensort Vielfalt“] wohnt, hat 1979 den ersten Berliner CSD | |
mitorganisiert: ganze 500 Leute auf dem Kufürstendamm! Doch auch das war | |
nicht der Anfang der Berliner Schwulenbewegung. Die erste Demo gab es schon | |
sechs Jahre zuvor, 1973 – und endete im Krach, im sogenannten Berliner | |
Tuntenstreit. Im Jahr 1979 war die Bewegung zutiefst gespalten: die | |
sozialistischen Hardliner aus der Allgemeine Homosexuelle | |
Arbeitsgemeinschaft – kurz AHA – warfen den Tunten vor, mit ihrem | |
provokativen Auftreten zu schaden und bei den undogmatischen Tunten im | |
SchwuZ gab es tiefes Misstrauen nicht nur gegen die AHA, sondern auch gegen | |
die Lederschwulen vom Motor Sport Club, bei deren „faschistoidem“ Aussehen | |
man eine ähnliche Gesinnung vermutete. | |
In diesem vergifteten Klima erzählte Gaisers Freund Andreas von den | |
Vorbereitungen zum zehnjährigen [3][Stonewall-Jubiläum], die er in New York | |
miterlebt hatte. 1969 hatte eine Razzia in der Szenebar Stonewall Inn | |
stattgefunden; Schwule, Transvestiten und Drag Queens ließen sich das | |
Vorgehen nicht gefallen – die Polizisten wurden gewaltsam vertrieben. | |
Spontan und ohne große Absprachen mit anderen Gruppen meldeten die beiden | |
eine Demonstration an, malten Plakate, zogen durch die Kneipen und hängten | |
sie auf. Nicht Empörung über die Verhältnisse war der Anlass des ersten | |
Berliner CSD, sondern der Versuch, die tiefe ideologische Spaltung einer | |
gelähmten Szene zu überwinden. „Und es kamen sogar ein paar Lesben – obwo… | |
wir zu denen damals allenfalls diplomatische Beziehungen unterhielten“ sagt | |
Gaiser und lächelt verschmitzt. | |
*** | |
Jahrzehntelang gab es zwischen Linken und Bürgerlichen nicht einmal die. Ab | |
1997 fand unter verschiedenen Namen in Kreuzberg ein | |
[4][antikapitalistischer CSD] statt, 2016 zum letzten Mal, weil sich keine | |
Orgagruppe mehr fand. Bis dahin gehörte auch Tülin Duman zu diesem Kreis. | |
Sie ist Mitinhaberin des [5][Südblock] am Kottbusser Tor. „Es gab wenig | |
Berührungspunkte zum großen CSD, das waren schon andere Welten“, sagt sie. | |
Welten, die sich nicht mal mehr verstehen wollen. Für die einen stehe der | |
Kampf gegen Homophobie allein und für sich, die anderen können ihn nicht | |
mehr denken ohne den Kampf gegen Rassismus, Unterdrückung, Ausbeutung und | |
Krieg. | |
„Queer ist zu einem Modewort geworden“ sagt Duman, „alles ist heute | |
queerfreundlich: queerfreundliche Unternehmen, queerfreundliche Polizei. | |
Aber wenn du keine weiße Haut hast, dann hilft dir leider auch die | |
queerfreundliche Polizei nichts.“ | |
*** | |
1984 ist die Polizei von Freundlichkeit so oder so noch meilenweit | |
entfernt. In Kampfmontur, Helm, Schild, Schlagstock läuft sie links und | |
rechts des CSD Spalier. Vier Jahre Häuserkampf, Straßenschlachten, | |
Wasserwerfer, Tränengas und ein toter Demonstrant haben das politische | |
Klima in der Halbstadt geprägt. | |
Auf dem Bürgersteig stehen im Schutz der Polizisten die Gaffer, viele | |
ungläubig, manche feindselig. „Wir sind die schwulen Tanten und grüßen die | |
Passanten, huhu!“, rufen ein paar SchwuZ-Tunten im Trümmer-Outfit. Einer | |
der Angesprochenen spuckt ihnen ins Gesicht: „Unter Hitler haben sie Leute | |
wie euch noch vergast.“ Die Antwort lässt nicht auf sich warten: „Nachbarn, | |
lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!“ | |
Wir sind zu viele geworden, um noch Angst zu haben. Ein paar Tausend laufen | |
jetzt den Ku’damm runter – darunter zum ersten Mal auch ich – Lesben, | |
Tunten, Lederkerle, wenigstens an diesem Tag alle gemeinsam. | |
Erst 12 Stunden zuvor war ich aus der Provinz nach Westberlin gezogen, | |
pünktlich um beim CSD dabei sein zu können. Das Gefühl überwältigte mich. | |
Schon bei der Hinfahrt brachte mich der Anblick eines CSD-Plakats in der | |
U-Bahn fast zum Heulen, so etwas hatte ich noch nie im Leben gesehen. Ich | |
spürte zum ersten Mal: Ich kann stolz sein auf meine Liebe, meine | |
Sexualität, meinen Lebensentwurf. Für ein paar Stunden war die Angst kein | |
Begleiter mehr. | |
Ob das jungen Menschen auf ihrem ersten CSD heute noch so ähnlich geht? Ist | |
es vielleicht dieses Gefühl, das sich hochholen lässt, wenn der Alltag | |
einen wieder klein und zur Minderheit macht, für das allein es sich schon | |
lohnt auf die Straße zu gehen, ob auf den Ku’damm, an die Siegessäule oder | |
nach Kreuzberg? Dieses Gefühl, das alle teilen und beschreiben können, die | |
je auf einem CSD waren? | |
*** | |
Bernd Gaiser erinnert sich an viele Phasen, die der Berliner Christopher | |
Street Day durchlebt hat. Versöhnung stand am Anfang, Sichtbarkeit prägte | |
die frühen Achtziger, dann folgten Trauer und Wut während der Aidskrise. In | |
den Neunzigern schließlich wurde der CSD mehr und mehr zu einer | |
Machtdemonstration. Mit dem Einfluss der immer selbstbewussteren Schwulen | |
und Lesben stiegen auch die Teilnehmerzahlen erst in die Zehn-, dann in die | |
Hunderttausende. | |
Gleichzeitig veränderte sich der Charakter der Demonstration radikal, | |
Techno-Trucks ersetzten die Megafone, die Spaßgesellschaft hielt Einzug. | |
Immer mehr Gruppen, Vereine, Parteien, Unternehmen, Bars und Clubs sprangen | |
auf den rollenden Wagen und nutzten die Demo für ihre Zwecke. Für seine | |
Veranstalter, drei kleine schwul-lesbische Vereine, wurde die Ausrichtung | |
des CSD immer mehr zu einem unkalkulierbaren finanziellen Risiko. | |
Der Ruf nach Professionalisierung wurde laut, der [6][CSD e. V.] gründete | |
sich. Und ein neuer Bruch begann sich abzuzeichnen: hier die | |
schwul-lesbischen Bürgerrechtlerinnen, die den Kampf um die Ehe für alle zu | |
ihrer wichtigsten Forderung erhoben, dort eine kleinere, aber radikalere | |
Schwulen- und Lesbenbewegung, die sich immer stärker den Gedanken der | |
aufkommenden Queer-Theorie und der Interesektionalität verbunden fühlte. | |
Was als Zeichen der Versöhnung begann, endete erneut in der Spaltung. | |
*** | |
Viele, die früher nach Kreuzberg gingen, bleiben dieses Jahr lieber zu | |
Hause. [7][Brigitte Oytoy], radikale Berliner Polittunte, geht einen | |
anderen Weg. Sie hat auf dem CSD dieses Jahr eine Fußgruppe angemeldet – | |
die „Übergalaktische Allianz“ –, um gemeinsam gegen „Rassismen, | |
Weiblichkeitsfeindlichkeiten und Transfeindlichkeit in der Szene und der | |
heteronormen Gesellschaft“ zu demonstrieren. | |
Dazu nutzt die Gruppe auch neue, erweiterte Regenbogenfahnen: Schwarz und | |
Braun für People of Color, Weiß, Hellblau und Rosa für Menschen mit | |
trans*-Erfahrung. Die Farben sollen daran erinnern, dass Vertreter*innen | |
dieser Minderheiten von Anfang an an der Spitze der LGBT-Bewegung gekämpft | |
haben. „Ihr Ausschluss ist eine direkte Folge einer Mentalität, die Weiße | |
und cis-geschlechtliche Menschen in allen Lebensbereichen bevorzugt“, sagt | |
Oytoy. Sie und ihre „Übergalaktische Allianz“ sehen Rassismus und | |
Transfeindlichkeit auch und gerade innerhalb der eigenen Szene – und | |
dagegen wollen sie etwas tun. | |
Das bleibt nicht unwidersprochen. Gerade die Erweiterung des Regenbogens um | |
zusätzliche Farben ruft bei vielen eher bürgerlichen LGBT-Menschen | |
Verärgerung hervor. Für sie steht der Regenbogen schon für ein „All | |
Inclusive“, das Sichtbarmachen einzelner Gruppen auf der Fahne sehen sie | |
eher als Rückschritt, als „Identitits“. | |
*** | |
Tülin Duman geht auch deshalb weiterhin nicht auf den „großen“ CSD. Im | |
Grunde sei Konsenssuche mit Bürgerlichen reine Energieverschwendung, findet | |
sie. „Beim Thema Rassismus ist zum Beispiel selbst der Fußball weiter als | |
große Teile LGBT-Szene: „Im Stadion sind rechte Symbole verboten, auf dem | |
Lesbisch-schwulen Stadtfest nicht.“ | |
Aber trotzdem habe der Tag als Symbol nach wie vor eine große Bedeutung: | |
„Er steht für das, was wir erreicht haben und was wir noch erreichen | |
müssen, für unsere Präsenz, aber auch unsere Unsichtbarkeit.“ Nicht zuletzt | |
politisiert er auch junge Menschen, die nicht die ganze Geschichte selbst | |
erlebt haben. | |
*** | |
Bernd Gaiser findet es gut, dass der CSD in den letzten Jahren wieder | |
politischer geworden ist, dass mehr Menschen sich mit ihren eigenen | |
Anliegen präsentieren. Er selbst fährt zum 40. CSD mit einer | |
Senioren-Rikscha-Gruppe durch Berlin. Und in zehn Jahren, zum 50. Jubiläum | |
wünscht er sich, dass LGBT-Menschen weitere Fortschritte feiern können, | |
dass es kein Transsexuellengesetz in dieser Form mehr gibt, dass der | |
Artikel 3 im Grundgesetz um den Aspekt Sexualität erweitert wurde, zum | |
Beispiel. | |
Und die Streitereien? Gaiser lacht gelassen: „Zoffen werden wir uns weiter, | |
aber nur wenn Meinungen aufeinanderprallen, kann etwas Positives daraus | |
entstehen.“ | |
28 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://csd-berlin.de/category/demo-2018/ | |
[2] https://www.schwulenberatungberlin.de/lebensort-vielfalt | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Stonewall | |
[4] https://transgenialercsd.wordpress.com/ | |
[5] https://www.suedblock.org/wp/ | |
[6] http://csd-berlin.de/impressum/ | |
[7] https://www.facebook.com/FrauOytoy | |
## AUTOREN | |
Dirk Ludigs | |
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