# taz.de -- Plädoyer für eine Institution: Schwimmbäder schließt man nicht! | |
> Es ist der große Pool für alle, ein Soziotop, ein Glück. Eine städtische | |
> Pflicht. Wer meint, dass Freibäder zu teuer seien, hat nichts verstanden. | |
Bild: Hellblau schimmerndes Wasser, formschöne Fliesen: eine Komposition aus A… | |
Wie geht Kapitalismus? Zumal in Zeiten weltweiten Geldverkehrs? Ungefähr | |
so: Im Süden der USA verwüstet ein Hurrikan, nennen wir ihn „Katrina“, | |
weite Teile einer stattlichen Metropole, und wenige Jahre später schließen | |
in München oder Hannover zwei oder drei Schwimmbäder. Sie denken, da gibt | |
es keinen Zusammenhang? Doch, den gibt es. | |
Viele der in New Orleans stehenden, dann naturkatastrophenbedingt nicht | |
mehr stehenden Gebäude sind versichert; die Versicherungen, die den | |
Besitzern der Immobilien eine Gewähr versprochen haben, haben sich bei | |
anderen Versicherungen gegen diese möglichen, jetzt reellen Schäden, für | |
die sie aufkommen müssen, versichern lassen; diese zweiten Versicherungen, | |
sie heißen Rückversicherungen, haben wiederum irgendwo ihre Sitze, sagen | |
wir in München oder Hannover, wofür sie Gewerbesteuer abtreten müssen; | |
diese Gewerbesteuer wird kompliziert berechnet, sie hängt von der Rendite | |
oder den Verlusten der Unternehmen, hier also der | |
Rückversicherungsanstalten ab – und die Gemeinden von den Einnahmen durch | |
die Gewerbesteuer. | |
Fallen diese Einnahmen nun geringer aus, weil die | |
Rückversicherungsanstalten wegen „Katrina“ Verluste gemacht haben, muss die | |
Gemeinde irgendwo wieder Kosten einsparen. Und wo geht das am einfachsten? | |
Bei der Kultur und bei öffentlichen Einrichtungen. Wie zum Beispiel bei | |
Schwimmbädern. | |
Noch mal in einfach: Geld fehlt, Schwimmbad macht zu. Bereits 2016 wurde | |
für Deutschland ein breites „Bädersterben“ diagnostiziert. Die Argumente | |
sind immer dieselben: Die Kosten sind zu hoch, die Kommunen sind klamm, | |
auch die ohne Rückversicherer, es muss gespart werden. Allein 2017 wurden | |
laut Deutscher Lebensrettungsgesellschaft 175 Schwimmbäder geschlossen, | |
darunter 62 Freibäder. | |
## „Bäder rechnen sich nicht, sie kosten“ | |
Nun benötigt so ein Schwimmbad ja tatsächlich eine Menge Geld: Personal, | |
Strom, Wasser, Wasserreinigung, Unterhalt, Pflege, die ganze Technik, dazu | |
noch dies und das – und das sind nur die laufenden Kosten, die entstehen, | |
wenn das Freibad schon fertig gebaut ist. „Bäder rechnen sich nicht, sie | |
kosten“, so hat das ein Hamburger Bäderchef einmal in der Welt formuliert: | |
„Sie sind noch nicht einmal kostendeckend zu führen (…) Kein Unternehmer | |
ist so blöd und investiert in einen Bereich, bei dem Verluste zum | |
Geschäftsmodell zählen.“ | |
Über die Eintrittspreise kann so ein Bäderchef nur lachen. Die decken | |
höchstens die Hälfte der Unkosten, müssten also eigentlich viel höher | |
angesetzt werden – sind aber auch so schon hoch für normale Stadtbewohner. | |
Und erschwinglich sollte so ein Badetag doch sein, vor allem im Sommer. Das | |
Freibad ist der Badesee der einfachen Bevölkerung, das Mallorca im Kleinen, | |
der große Pool für alle, das Thermalbad für die Arbeiterklasse. Es ist | |
günstiger als die Pauschalreise in den Süden und weitaus weniger | |
klimaschädlich. Es ist kulturhistorisch eine Utopie, die in den | |
Wirtschaftswunderjahren erst möglich wurde, ja mithin eine | |
ursozialdemokratische Errungenschaft. | |
So ein Freizeit- und Hallenbad ist ein Soziotop. Ein Glück. Eine | |
Kulturleistung. Eine städtische Pflicht. Wie sonst vielleicht nur die | |
Leihbücherei, das Museum oder das Stadttheater, Einrichtungen, die ähnlich | |
schief angeschaut werden heutzutage, wenn vielleicht auch aus anderen | |
Gründen. | |
## Wer Schwimmbäder schließt, tötet auch Hundewelpen | |
Kurzum: Schwimmbäder schließt man nicht. Schwimmbäder gehören naturgemäß | |
zur Stadtkultur. Wer Schwimmbäder schließt, aus welchen finanziellen | |
Zwängen auch immer, der schließt auch Tierheime. Der hat das mit dem | |
Sozialen und dem Zugang zur Kultur für alle nicht verstanden oder will es | |
nicht verstehen. | |
Wie schön zum Beispiel so ein Freibad ist! Hellblau schimmerndes Wasser, | |
formschöne Fliesen, eine Komposition aus Architektur und Geometrie. Alles | |
ist, zumindest am Anfang des Tages, sauber und ordentlich; sattgrüner | |
Rasen, gepflegt und getrimmt, bietet Verweilmöglichkeit, optimalerweise | |
sogar im Schatten mittelalter Bäume. Stattliche Sprungtürme ragen in den | |
starkblauen Sommerhimmel und bieten einen weiten Blick über lustiges | |
Menschengewimmel; ganz davon abgesehen, dass hier Mut und Akrobatik endlich | |
einmal zur Entfaltung finden können. Kurzum: Ein gutes Freibad ist Ausweis | |
einer Stadt. | |
Aber es ist mehr als das. Hier trifft man sich, hier zeigt man sich. Sie | |
wollen Studien zur Körperkultur vornehmen? Die neusten Tattoo-Trends, der | |
Körper als Vorzeigeobjekt: Hier findet man alles. Ein Freibad ist außerdem | |
ein Ort zum Erwachsenwerden. Hier lernt man schwimmen, hier lernt man auch | |
sich zu behaupten, nicht nur auf dem Sprungturm, sondern auch unten, im | |
Wasser und auf den Wiesen. | |
Natürlich gibt es auch Schattenseiten. Es kommt zu Konflikten, das ist nur | |
logisch, denn ein Freibad bildet auch die Gesellschaft ab. In | |
Baden-Württemberg verprügelte neulich ein Badegast einen Bademeister, weil | |
er keine Chips am Beckenrand essen durfte (also der Badegast jetzt). An | |
anderen Orten fehlt es genau daran: an Bademeistern. Der Fachkräftemangel! | |
Es mangelt auch an Schwimmern, weil es an guten Schwimmlehrern mangelt. An | |
Sicherheitspersonal mangelt es, weil das schlecht bezahlte Jobs sind, die | |
meist gern von den Verwaltungen an Fremdfirmen ausgelagert werden. Es | |
mangelt an vielem. | |
Und es gibt noch ein Problem: die Eventisierung. Wie viele tolle Freibäder, | |
die noch in Zeiten des Brutalismus gebaut wurden und jetzt nicht mehr als | |
schön gelten, müssen jetzt „Badewelten“ oder „Freizeitbädern“ weiche… | |
dann wie im niederrheinischen Goch „GochNess“ heißen! Das „Spaßbad“ i… | |
Trend, der das Event und den Kommerz im Blick hat, selten aber das | |
Gemeinwohl oder den schlichten Ansatz, Kindern (und Erwachsenen) das | |
Schwimmen beizubringen. | |
Schuld auch daran ist, wie immer, natürlich der Kapitalismus. Er muss | |
gebändigt werden. Zumindest in unserer Freizeit. Oder, andere Idee: Die | |
Kommunen rückversichern sich gegen Gewerbesteuerausfälle. Das wäre die | |
Schraube einfach noch mal weitergedreht. | |
20 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
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